Revival für Willrath Dreesen, Direktor und Dichter zugleich

Der junge Mann aus Norden konnte nicht nur gut schreiben und dichten, sondern hatte auch ausgesprochene Managerqualitäten. Die setzte er auch immer wieder für die Literatur ein: in jungen Jahren als Verlagsdirektor bei Reclam in Leipzig, später dann als Leiter für Schrifttum bei der Ostfriesischen Landschaft und kurz vor seinem Tod als Organisator der ersten ostfriesischen Dichtertagung 1950 auf Langeoog. Dort lenkte er von 1924 bis 1928 als Bürgermeister und später als Kurdirektor erfolgreich auch die Geschicke der Insel.

Doch im Grunde seines Herzens war er immer ein Schriftsteller. Lyrik, Prosa und Dramen prägten ihn in jungen Jahren und dann wieder ganz spät im Alter, als er nach einem bewegten Leben, das von zwei Weltkriegen gezeichnet war, mit 70 Jahren als Pensionär nach Langeoog zurückkehrte und für kurze Zeit nochmals Kurdirektor der Insel wurde.

Man könnte viel über den Politiker Dreesen schreiben, der in den Zwanziger Jahren an der Spitze der Verwaltung wegweisende Entscheidungen für die Insel traf: Die Gemeinde übernahm damals selbst das Tourismusgeschäft und wurde ebenfalls zum Betreiber der Schifffahrt. Aber im Mittelpunkt dieses Beitrags soll der die Literatur liebende und schreibende Willrath Dreesen stehen.

Die Wiederentdeckung in den Medien

Denn nach vielen Jahren der Stille um Ostfrieslands vergessenen Dichter, erlebte er in 2022 ein regelrechtes Revival. In kurzer Abfolge erschienen gleich drei längere Artikel über ihn: In der Beilage zur Ostfriesen Zeitung stellte Paul Weßels im April in seiner Rubrik “Buch des Monats” Willrath Dreesen und ausgewählte Werke aus seiner Feder vor. Ein weiterer, sehr lesenswerter Beitrag über Willrath Dreesens unterschiedliche Lebensstationen inklusive der Abbildung vieler Buchtitel wurde von ihm, dem Bibliotheksleiter der Ostfriesischen Landschaft, im Juni des Jahres im “Blog für ost-friesische Geschichte” veröffentlicht. Es ist die bisher umfangreichste Würdigung Dreesens.

Im Langeooger Inselmagazin “de Utkieker” war kurz vorher, im Mai, bereits eine ausführliche Darstellung vom Wirken dieses facettenreichen Mannes zu lesen, mit seltenen Bildern aus dem Privatarchiv der Familie. Darunter auch eine Aufnahme vom Bau seines kleinen Hauses in den Dünen 1926, in das sich der resolute Kurdirektor so gerne zum Schreiben zurückzog. Nun stellt auch Ostfriesland Reloaded zum Ende des Jahres diese bemerkenswerte Figur der ostfriesischen Literatur nochmals vor. 2022: Das war definitiv das Jahr der Wiederentdeckung Willrath Dreesens.

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“Am Strand erklingt ein eigen kalter Ton”, wenn es Herbst wird an der rauhen Nordsee. Es sind zeitlose Eingangszeilen, die mit wenigen Worten die Stimmung der letzten Tage eines Jahres einfangen – oder eines Lebens. Denn dieses Gedicht von Willrath Dreesen ist durchaus auch persönlich zu verstehen: melancholische Gedanken eines alternden Dichters.

NUN MAG ES HERBSTEN

Am Strand erklingt ein eigen kalter Ton,
Um unsre Knie zieht der Nebel schon. –
So wirds der letzte schöne Tag wohl sein,
Daß hüllenlos wir stehn im Abendschein.

Von deinen Schultern glänzt ein sanftes Rot,
Das schöner noch aus deinen Augen loht –
Nachglanz des Sommers, der hinuntersank,
Und schmerzvoll – süß ein stummes „Habe Dank!“

Der Wind wird kalt und bläst die Wellen kraus.
Du schmiegst dich an mich, deutest still nach Haus.
Nun mag es herbsten, bald auch mag es schnein –
Wir gehn in einen langen Sommer ein.

Von Willrath Dreesen,
aus „Der Eisvogel und andere Gedichte“ (posthum 1953).

Zeltlager anno 1936: Der Jugendkult der Nazis

Wenn man von Weitem auf die Szenerie blickt, unterscheidet sie sich abgesehen vom Schwarz-Weiß der Aufnahmen, gar nicht mal so sehr von einem Zeltlager heutiger Tage. In einem weiten Dünental verteilen sich viele weiße Rundzelte im Kreis. In der Mitte befindet sich ein großer Freiplatz mit einer gehissten Fahne: ein typisches Zeltlager. Es unterscheidet sich äußerlich nicht wesentlich von dem, das etwa der Sportbund Niedersachsen aktuell jedes Jahr im Sommer am Fuß der Melkhorndüne für Jugendliche auf Langeoog organisiert. Nur das dieses ein ganz spezielles ist: Es ist das Zeltlager der Hitlerjugend, das die Nationalsozialisten 1936 im Pirolatal der Insel, direkt am Meer, aufgeschlagen hatten. Hier sollte der Nachwuchs geformt werden, ganz im Sinne der Partei-Ideologie.

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Ein Literatur-Nobelpreisträger aus Ostfriesland: Rudolf Eucken, der Richard David Precht von 1908

Heute, am 10. Dezember, wird in Stockholm der Literatur-Nobelpreis verliehen. Zum 118. Mal. 2021 geht die renommierte Auszeichnung an Abdulrazak Gurnah, einen 72jährigen Schriftsteller aus Tansania “für sein kompromissloses und mitfühlendes Durchdringen der Auswirkungen des Kolonialismus und des Schicksals des Flüchtlings in der Kluft zwischen Kulturen und Kontinenten.“

Der Literaturnobelpreis ist immer ein Ausdruck seiner Zeit. Das war auch 1908 nicht anders, als mit Rudolf Eucken ein Philosoph zum König der Literatur ausgerufen wurde, der es verstand, die Nöte der Menschen beim Aufbruch in die Moderne zu thematisieren – ausgelöst durch die vielen neuen Maschinen und Technologien, das Tempo und den schnellen Takt der Industrialisierung. Er erklärte, und er bot einen Ausweg mit seiner Philosophie des Lebens, die der überforderten Seele fern von allem Materiellen Heilung versprach. Er war der Richard David Precht der frühen Moderne – und er war gebürtiger Ostfriese. Gute Gründe also, ihn in der neuesten Ausgabe von Ostfriesland Reloaded genauer vorzustellen:

Aurich: Heimatstadt eines Literatur-Nobelpreisträgers

Lebensphilosoph Rudolf Eucken: Der ganze Mensch im Blick

Literatur-Nobelpreis: 8 Deutsche unter 118 Preisträger:innen

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Aurich: Heimatstadt eines Literatur-Nobelpreisträgers

Auch wenn er die längste Zeit seines Lebens, 52 Jahre lang, in Jena wohnte und wirkte, die norddeutsche Landschaft seiner Kindheit hat er nie vergessen. Als er im Alter von 75 Jahren 1921 seine „Lebenserinnerungen“ veröffentlicht, widmet der Philosoph und Nobelpreisträger Rudolf Christoph Eucken viele Seiten seinen ersten Jahren in Ostfriesland. Er schildert ausführlich Land und Leute: „Bemerkenswert ist dabei, dass die Friesen die Freiheit über alles liebten, dass sie aber keineswegs Anhänger einer völligen Gleichheit waren.“ Auch die Residenz- und Beamtenstadt Aurich, in der er am 5. Januar 1846 in der Osterstraße 27 geboren wird, beschreibt er mit viel Liebe, als einen ruhigen und friedlichen Ort, eine Idylle umgeben von „anspruchsloser, aber anmutiger Natur“. Die pure Behaglichkeit strömt aus seinen Worten.

Die wird für ihn als Kind jäh zerstört als sein Vater Anfang 1851 plötzlich während eines gemeinsamen Aufenthalts der Familie auf Norderney stirbt. Er kann sich noch als alter Mann gut daran erinnern, wie die Leiche seines Vaters von der Insel im Wagen durch das Watt nach Aurich transportiert wird. Da war er noch nicht sechs Jahre alt. Er hatte kurz vorher auch seinen Bruder verloren, so dass er von nun allein mit seiner verwitweten Mutter lebte, die mit dem Jungen in das Haus der Großmutter auf dem Zingel außerhalb der Stadtmauer zog, ganz in die Nähe der stattlichen Windmühle.

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Lebensphilosoph Rudolf Eucken: Der ganze Mensch im Blick

Hier und da sieht man in Ostfriesland noch ein Straßenschild mit seinem Namen. Doch die Wenigsten wissen heute, mit wem sie es da eigentlich zu tun haben. Dabei war Rudolf Eucken zu seiner Zeit ein berühmter Mann – und das nicht nur in Aurich, seinem Geburtsort, sondern in der ganzen Welt. Vor allem in Skandinavien und angelsächsischem Raum war er bekannt und geschätzt. Zu Anfang des letzten Jahrhunderts war Eucken ein außerordentlich populärer Philosoph, der nicht im vergeistigten wissenschaftlichen Elfenbeinturm wirkte, sondern ein echter Lebensphilosoph war. In diesem Sinne war er durchaus vergleichbar mit einem Richard David Precht der heutigen Tage.

Er war ein Philosoph für den Alltag, ein philosophischer Publizist. Jedenfalls wirkte er weit über die Öffentlichkeit der reinen philosophischen Wissenschaft hinaus. Mehr als 1.000 Schriften und Aufsätze hat er verfasst. Sein publizistischer Höhepunkt war die Verleihung des Literaturnobelpreises, den er 1908 „auf Grund des ernsten Suchens nach Wahrheit, der durchdringenden Gedankenkraft und des Weitblicks, der Wärme und Kraft der Darstellung, womit er in zahlreichen Arbeiten eine ideale Weltanschauung vertreten und entwickelt hat“ erhielt. Das war Richard David Precht noch nicht vergönnt.

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Literatur-Nobelpreis: 8 Deutsche unter 118 Preisträger:innen

Den Nobelpreisträger für Literatur ernennt die „Schwedische Akademie“, die bereits 1786 nach dem Vorbild der Académie française gegründet wurde. Die Schwedische Akademie besteht aus insgesamt 18 Mitgliedern, die auf nummerierten Stühlen Platz nehmen. Daher ist sie auch unter dem Namen De Aderton (deutsch: Die Achtzehn) bekannt. 2018 kam es nach Austritten mehrerer Jurymitglieder zu einer Krise, die die Akademie handlungsunfähig machte. Nach Änderungen der Statuten sind alle Plätze des rein schwedischen Gremiums nunmehr wieder besetzt. Der Nobelpreis für 2018 wurde zeitgleich mit der Verleihung für 2019 nachträglich vergeben.

Seit der ersten Verleihung 1901 haben insgesamt 118 Schriftsteller den Literatur-Nobelpreis erhalten. Darunter befinden sich 102 Männer (86 %) und 16 Frauen (14 %). Bisher wurde noch niemand mehrfach mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Viermal wurde der Preis zwischen zwei Personen aufgeteilt (1904, 1917, 1966 und 1974). Sieben Mal wurde er – meistens kriegsbedingt – nicht verliehen.

Es waren auch beileibe nicht immer Schriftsteller, denen ein Literaturnobelpreis verliehen wurde. So ist etwa auch der Politiker Winston Churchill unter den Literaturpreisträgern zu finden. Er erhielt 1953 die Auszeichnung „für seine Meisterschaft in der historischen und biographischen Darstellung sowie für die glänzende Redekunst, mit welcher er als Verteidiger von höchsten menschlichen Werten hervortritt“.

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Wasserreich Ostfriesland: Geschichte und Geschichten zwischen Ems und Jade

Ostfriesland ist ein einzig Wasserreich – nicht nur wegen seiner maritimen Lage und der Nordsee direkt vor seiner Küste. Mit der Ems und dem Dollart ganz im Westen und dem Jadebusen im Osten umschließt Wasser die Halbinsel gleich von drei Seiten. Sie verbindet ein breiter Kanal: der Ems-Jade-Kanal. Er ist die wichtigste Wasserader einer Region, die von einem Netz unzähliger kleinerer Kanäle und Tiefs durchzogen ist. Um Geschichte und Geschichten zu diesem Wasserweg dreht sich viel im neuen Schwerpunkt von Ostfriesland Reloaded.

Das Portrait der aktuellen Ausgabe stellt Ihnen die Leiterin des Historischen Museum in Aurich, Brigitte Junge, vor. Sie weiß ziemlich genau, welche Anstrengungen es gekostet hat, den mehr als 70 Kilometer langen Ems-Jade-Kanal durchs Land zu schlagen. Davon erzählt auch sehr anschaulich der Auricher Beitrag zur Gemeinschaftsausstellung “Dat löppt!, die der Museumsverbund Ostfriesland in insgesamt elf beteiligten Museen verteilt über die Region präsentiert. Ein bißchen Holland, ein bißchen Venedig ist über die Jahrhunderte hinweg in Ostfriesland entstanden. Wie, wann und warum, das lässt sich äußerst kurzweilig nachlesen in “Klöster und Klinker, Kanäle und Kanonen”, einem Kapitel aus dem Geschichte(n)-Buch Ostfriesland. Ein schneller Ritt durch Raum und Zeit. Der Geschenk- und Lesetipp für Sie zu Weihnachten.

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Eine Museumsleiterin mit Mission: Die Ära Brigitte Junge

Seit 30 Jahren leitet sie nunmehr die Geschicke des Historischen Museums in Aurich. Und man mag es gar nicht glauben, wenn man sie so zart, fast mädchenhaft, vor ihrem Büro in der Alten Kanzlei stehen sieht:  Sie ist gerade 65 geworden, und in gut zehn Monaten, zum 1. September 2022, ist es tatsächlich so weit – sie geht ganz offiziell in Rente. In ihrem Fall ist der Ruhestand mehr als wohlverdient. Mit Brigitte Junge geht auch eine Ära zu Ende, sie hat für ihr Museum viele neue Wege beschritten und deutliche Spuren hinterlassen. Die Gelegenheit für Ostfriesland Reloaded, sich mit der großen Kennerin ostfriesischer Geschichte und Kultur zu unterhalten – so lange sie noch in Amt und Würden ist und unermüdlich wie gewohnt ihre Ausstellungen und zahlreichen Veranstaltungen plant.     

Ostfriesland Reloaded im Gespräch mit Brigitte Junge

Ostfriesland Reloaded: Können Sie sich eigentlich noch an die Anfänge in Aurich erinnern, an Ihren Start als Leiterin des Historischen Museums?

Brigitte Junge: Sehr gut sogar. Ich war damals 34 Jahre alt und konnte nicht wie geplant zum Januar, sondern erst zum 1. März 1991 meine neue Stelle antreten. Ich hatte noch letzte Verpflichtungen in Delmenhorst, wo ich bei der Stadt angestellt war und ein Konzept für das noch zu gründende Stadtmuseum erstellte. Doch dann ging es sofort los! Nur wenige Wochen später, bereits am 20. April des Jahres, habe ich mit „Ostfriesland – Völsprakenland“ meine allererste Sonderausstellung als Museumsleiterin eröffnet.

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