Lebensphilosoph Rudolf Eucken: Der ganze Mensch im Blick

Hier und da sieht man in Ostfriesland noch ein Straßenschild mit seinem Namen. Doch die Wenigsten wissen heute, mit wem sie es da eigentlich zu tun haben. Dabei war Rudolf Eucken zu seiner Zeit ein berühmter Mann – und das nicht nur in Aurich, seinem Geburtsort, sondern in der ganzen Welt. Vor allem in Skandinavien und angelsächsischem Raum war er bekannt und geschätzt. Zu Anfang des letzten Jahrhunderts war Eucken ein außerordentlich populärer Philosoph, der nicht im vergeistigten wissenschaftlichen Elfenbeinturm wirkte, sondern ein echter Lebensphilosoph war. In diesem Sinne war er durchaus vergleichbar mit einem Richard David Precht der heutigen Tage.

Er war ein Philosoph für den Alltag, ein philosophischer Publizist. Jedenfalls wirkte er weit über die Öffentlichkeit der reinen philosophischen Wissenschaft hinaus. Mehr als 1.000 Schriften und Aufsätze hat er verfasst. Sein publizistischer Höhepunkt war die Verleihung des Literaturnobelpreises, den er 1908 „auf Grund des ernsten Suchens nach Wahrheit, der durchdringenden Gedankenkraft und des Weitblicks, der Wärme und Kraft der Darstellung, womit er in zahlreichen Arbeiten eine ideale Weltanschauung vertreten und entwickelt hat“ erhielt. Das war Richard David Precht noch nicht vergönnt.

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Literatur-Nobelpreis: 8 Deutsche unter 118 Preisträger:innen

Den Nobelpreisträger für Literatur ernennt die „Schwedische Akademie“, die bereits 1786 nach dem Vorbild der Académie française gegründet wurde. Die Schwedische Akademie besteht aus insgesamt 18 Mitgliedern, die auf nummerierten Stühlen Platz nehmen. Daher ist sie auch unter dem Namen De Aderton (deutsch: Die Achtzehn) bekannt. 2018 kam es nach Austritten mehrerer Jurymitglieder zu einer Krise, die die Akademie handlungsunfähig machte. Nach Änderungen der Statuten sind alle Plätze des rein schwedischen Gremiums nunmehr wieder besetzt. Der Nobelpreis für 2018 wurde zeitgleich mit der Verleihung für 2019 nachträglich vergeben.

Seit der ersten Verleihung 1901 haben insgesamt 118 Schriftsteller den Literatur-Nobelpreis erhalten. Darunter befinden sich 102 Männer (86 %) und 16 Frauen (14 %). Bisher wurde noch niemand mehrfach mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Viermal wurde der Preis zwischen zwei Personen aufgeteilt (1904, 1917, 1966 und 1974). Sieben Mal wurde er – meistens kriegsbedingt – nicht verliehen.

Es waren auch beileibe nicht immer Schriftsteller, denen ein Literaturnobelpreis verliehen wurde. So ist etwa auch der Politiker Winston Churchill unter den Literaturpreisträgern zu finden. Er erhielt 1953 die Auszeichnung „für seine Meisterschaft in der historischen und biographischen Darstellung sowie für die glänzende Redekunst, mit welcher er als Verteidiger von höchsten menschlichen Werten hervortritt“.

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Eine Museumsleiterin mit Mission: Die Ära Brigitte Junge

Seit 30 Jahren leitet sie nunmehr die Geschicke des Historischen Museums in Aurich. Und man mag es gar nicht glauben, wenn man sie so zart, fast mädchenhaft, vor ihrem Büro in der Alten Kanzlei stehen sieht:  Sie ist gerade 65 geworden, und in gut zehn Monaten, zum 1. September 2022, ist es tatsächlich so weit – sie geht ganz offiziell in Rente. In ihrem Fall ist der Ruhestand mehr als wohlverdient. Mit Brigitte Junge geht auch eine Ära zu Ende, sie hat für ihr Museum viele neue Wege beschritten und deutliche Spuren hinterlassen. Die Gelegenheit für Ostfriesland Reloaded, sich mit der großen Kennerin ostfriesischer Geschichte und Kultur zu unterhalten – so lange sie noch in Amt und Würden ist und unermüdlich wie gewohnt ihre Ausstellungen und zahlreichen Veranstaltungen plant.     

Ostfriesland Reloaded im Gespräch mit Brigitte Junge

Ostfriesland Reloaded: Können Sie sich eigentlich noch an die Anfänge in Aurich erinnern, an Ihren Start als Leiterin des Historischen Museums?

Brigitte Junge: Sehr gut sogar. Ich war damals 34 Jahre alt und konnte nicht wie geplant zum Januar, sondern erst zum 1. März 1991 meine neue Stelle antreten. Ich hatte noch letzte Verpflichtungen in Delmenhorst, wo ich bei der Stadt angestellt war und ein Konzept für das noch zu gründende Stadtmuseum erstellte. Doch dann ging es sofort los! Nur wenige Wochen später, bereits am 20. April des Jahres, habe ich mit „Ostfriesland – Völsprakenland“ meine allererste Sonderausstellung als Museumsleiterin eröffnet.

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Dichtung und Wahrheit: der “echte” Gauß

Zum 200. Jubiläum der „Königlich Hannoverschen Landvermessung“ wird der komplette Briefwechsel zur historischen Mission unter Leitung von Carl Friedrich Gauß erstmals in transkribierter Form veröffentlicht. Mehr als tausend Briefe zeichnen ein neues Bild vom berühmtesten Vermesser der Welt. Geplant hatte er anfangs mit etwa 400, am Ende sind es genau 1072 handschriftliche Briefe in altdeutscher Schrift, die nun für jedermann lesbar in Druckschrift und ins Hochdeutsche transkribiert vorliegen. Das zunächst überschaubare Unterfangen nahm im Verlauf immer gewaltigere Dimensionen an. Neue Korrespondenz von und an Gauß tauchte auf, so wurden 200 verschollen geglaubte Briefe zwischenzeitlich entdeckt. Der letzte aus Washington D.C. erreichte André Sieland noch Anfang 2021.

Sieland ist Vermessungsexperte wie Gauß, Fachgebietsleiter im Landesamt für Geoinformation und Landesvermessung Niedersachsen (LGLN) in Hannover, und damit zuständig für die Festpunkte der Gegenwart. In dieser Funktion erhielt er 2017 in Vorbereitung auf das bevorstehende Jubiläum eine Anfrage der Kollegen vom Landesamt für Denkmalpflege nach den alten Gauß’schen Messpunkten in Niedersachsen. Nur etwa 17 nachgewiesene seien ihnen bekannt. Doch schon erste Überprüfungen Sielands ergaben, es sind einige mehr. Schnell hatte er 120 gelistet, und bekam zunehmend Spaß an den Nachforschungen. Er investierte immer mehr Freizeit und schließlich jede freie Minute in das Projekt, unternahm Exkursionen und Wanderungen am Wochenende, traf auf leidenschaftliche Heimatkundler und konnte manch originalen alten Messpunkt neu verorten wie auf der Insel Langeoog oder sogar wiederentdecken wie auf dem Haußelberg in der Lüneburger Heide.

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Unbeschreiblich weiblich: Ein *Innenblick auf die bunte Welt der regionalen Literatur

Über Ostfriesland schreiben viele: Es gibt unendlich lange Bücherregale voll mit Reiseliteratur über Inseln, Küste und das ostfriesische Festland. Man findet jede Menge Krimis, die in einem Land spielen, wo es in der Realität eher friedlich zugeht. Auf jeder ostfriesischen Insel, in nahezu jedem ostfriesischen Ort werden unablässig Morde begangen, die dann von einer ganzen Riege mehr oder weniger bekannter fiktiver Ermittlerteams aufgeklärt werden. Nicht zu reden von den historischen Werken, Liebesromanen, Kurzgeschichtensammlungen oder Biographien, die in großer Zahl veröffentlicht werden. Das kleine Ostfriesland ist definitiv ein Land, in dem die Literatur ganz groß geschrieben wird.

Dabei haben auch immer schon die Frauen eine wichtige Rolle gespielt, sogar ganz berühmte. Wie etwa Tania Blixen, die Autorin von „Jenseits von Afrika“, die einer ihrer großartigen Kurzgeschichten, „Die Sintflut von Norderney“, auf einer ostfriesischen Insel spielen lässt.

Unter den aktuellen Schriftstellerinnen wäre etwa Rieke Husmann zu nennen, die sich für den Emons-Verlag in ihrer mörderischen Reihe über die sieben Inseln schreibt. Oder die Wilhelmshavenerin Christiane Franke, die seit über zwanzig Jahren Romane verfasst, das Romane schreiben lehrt, Anthologien herausgibt und gerade zusammen mit Cornelia Kuhnert im Rowohlt-Verlag einen neuen Küstenkrimi veröffentlicht hat. Zu nennen wäre hier auch die viel zu früh verstorbene Kinderbuchautorin und Stern-Reporterin Hilke Rosenboom, die auf Juist begraben liegt. Oder Herta Bleeker aus Hage, die mit ihren “Daje”-Romanen erfolgreich in Ostfriesland unterwegs ist.

Auch ein wichtiger ostfriesischer Literaturpreis ist nach einer Frau benannt: der Wilhelmine-Siefkes-Preis, den die Stadt Leer alle vier Jahre vergibt. Nicht zu vergessen, die vielen Verlegerinnen Ostfrieslands wie etwa Heike Gerdes vom auf Krimis spezialisierten Leda Verlag in Leer (seit 2020 Gmeiner Verlag), die weibliche Doppelspitze Charlotte und Victoria Basse vom SKN Verlag in Norden sowie Inga Söker vom Verlag Enno Söker Esens (ESE).  

In dieser Ausgabe wirft Ostfriesland Reloaded einen Blick auf die weibliche Seite des Phänomens, und stellt Ihnen einige interessante „Buchfrauen“ Ostfrieslands ausführlicher vor:

Gewidmet ist dieses Spezial den Buchhändlerinnen Ostfrieslands, die seit einem Jahr unablässig Corona trotzen. Und den Buchhändlern natürlich auch – soviel Solidarität muss sein, auch bei dieser unbeschreiblich weiblichen Ausgabe von Ostfriesland Reloaded.

Viel Spaß beim Lesen!


Titelbild: Getty Images | Fotograf: Iouri Dovnarovich

Im Portrait: Sandra Lüpkes – ganz oben mit Juist

Ein Spitzentitel. Das hatten sie in der Literaturagentur gleich gespürt: „Die Schule am Meer“ ist ein großer Wurf. Und sie sollten Recht behalten. Der Juist-Roman, mit dem Sandra Lüpkes in 2020 der Durchbruch in die oberste Etage der deutschen Belletristik gelang, spielte vom Start weg in der ersten Liga mit. 20 Wochen war die bewegende Geschichte vom reformpädagogischen Internat an der rauhen Nordsee unter den ersten 20 Titeln der Spiegel-Bestsellerliste zu finden. Wie erlebt die Autorin, die viele Jahre auf Juist lebte und in Ostfriesland ihre literarischen Anfänge machte, diesen großen Erfolg?

Ostfriesland Reloaded im Gespräch mit Sandra Lüpkes

Ostfriesland Reloaded: Frau Lüpkes, auf Ihrer Autorinnen-Website ist zu lesen, dass die Ideen für Ihre Bücher zu Ihnen kommen, man eine richtig gute Geschichte daran erkennt, „dass sie einen nicht mehr los lässt und sich beinahe von selbst zu erzählen scheint“. Wie kam „Die Schule am Meer“ zu Ihnen?

Sandra Lüpkes: Ich lebe zwar nicht mehr auf Juist, sondern mittlerweile in Berlin. Aber bei einer Lesung auf der Insel vor einigen Jahren sah ich im Küstenmuseum, das sich in einem der ehemaligen Internatsgebäude im Inselort Loog befindet, eine vergilbte Schautafel über die historische „Schule am Meer“, die mich neugierig machte. So begann ich mehr darüber in Erfahrung zu bringen. Ich war mir anfangs gar nicht bewusst, und lange auch nicht sicher, dass und ob dieser Stoff einen Roman trägt. Ich habe mich dann im kalten Winter auf Juist vergraben, weiter geforscht und angefangen zu schreiben. Nach etwa achtzig Seiten stand für mich fest, dass diese Geschichte erzählt werden muss.

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Von Langeoog zur Literatur: Gabriele Wohmann

Sie gilt als die unangefochtene „Königin der Kurzgeschichte“. Immerhin hat sie mehr als 600 davon in ihrem Leben geschrieben, immer ganz nah am Zeitgeist und den absurden Dingen, die Menschen im Alltag so treiben. Zu ihren erfolgreichsten Zeiten gehörte sie wie die Schriftstellergrößen Grass und Böll zum literarischen Inventar der Bonner Bundesrepublik.

Die Schriftstellerin mit dem scharfen Blick auf die kleinen Dinge des Lebens war zeitlebens in Darmstadt zu Hause, dem Sitz des PEN-Zentrums und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Hier wurde sie am 21. Mai 1932 geboren, hier starb sie am 22. Juni 2015 im Alter von 83 Jahren. Doch sie, die so fest an ihrem heimatlichen Nest hielt, ist in ihren jungen Jahren Richtung Norden ausgeflogen – nach Langeoog.

Hierhin zog es sie gleich zweimal: 1950 als Abiturientin für ein Jahr und drei Jahre später nochmals zusammen mit ihrem Mann Reiner, den sie gerade geheiratet hatte. 1954 ging es nach dem zweiten Intermezzo auf Langeoog dann wieder endgültig zurück nach Darmstadt. Wie kommt aber ein junges Mädchen dazu, plötzlich auf ein Internat an die ferne Nordsee zu gehen?

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Fürstliche Feder: Caroline von Ostfriesland

Sie wurde mit sechzehn Jahren nach Ostfriesland verheiratet, als zweite Gattin des Fürsten Georg Albrecht. Carolinensiel, der heute so lebendige historische Hafen an der Küste, trägt ihren Namen. Als junge Witwe zieht sie 1740 zu ihrer älteren Schwester, der Königin von Dänemark, nach Kopenhagen. Dort wird ihre große Sammlung von Gedichten erstmals veröffentlicht.

Caroline von Ostfriesland ist eine der wenigen Schriftstellerinnen der Geschichte, auch der ostfriesischen, für die es Belege und Zeugnisse ihres Wirkens gibt. Denn lesen und schreiben, das war über viele Jahrhunderte weitestgehend Männern vorbehalten. Nur in den höchsten Rängen der Gesellschaft beherrschten Frauen das Alphabet. Ihre Bildung beschränkte sich zumeist auf sehr Gottesfürchtiges, dem Studium der Bibel. So wundert es nicht, dass sich auch Caroline von Ostfriesland als Schriftstellerin eher den frommen Themen widmete: „Geistliche Gedichte“ ist der Titel und Inhalt ihres Buches, das 1756 am dänischen Hofe herausgegeben wird.

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Alles aus Bronze: Von großer Kunst im weiten Raum

Sie gehören einfach zu Ostfriesland wie Deiche, Dünen und Doornkaat: Figuren aus Bronze. In wohl keiner Region Deutschlands gibt es so viele davon zu sehen, wenn man jedenfalls all die Denkmäler herausrechnet, die hierzulande Bismarck und den kaiserlichen Wilhelms gewidmet sind. In ostfriesischen Breiten sind es mit wenigen Ausnahmen nicht die Herrscher, sondern die Menschen des Landes, denen man die Skulpturen widmete: etwa den Fischern wie im romantischen Kutterhafen von Neuharlingersiel oder wie in Emden, wo sich mittlerweile drei “Delftspucker” am historischen Hafen versammeln. Weiterlesen “Alles aus Bronze: Von großer Kunst im weiten Raum”