Zu einer Grenzziehung besonderer Art ist es 1666 zwischen Oldenburg, als dem damaligen Besitzer des Jeverlandes, und Ostfriesland gekommen: nicht vorhandenes, sondern erst entstehendes Land galt es untereinander aufzuteilen.

Die Harlebucht reichte zu Beginn des Deichbaus, also in der Zeit um 1000 n. Chr., tief ins Landesinnere hinein, etwa bis Funnix und Berdum. Schwere Sturmfluten haben sie im 14. Jahrhundert teilweise noch bis Esens, Burhave und Wittmund vergrößert. Doch seit dem 15./16. Jahrhundert verlandete die Harlebucht allmählich. Es begann eine Epoche langsam voranschreitender Eindeichungen, bis mit dem Elisabethgroden von 1895 der heutige Zustand einer geraden Küstenlinie erreicht war, der nichts mehr von der alten Bucht erahnen lässt.

Das Gebiet südlich der Harlebucht gehörte teils zu Ostfriesland, teils zum Jeverland. Mit der zunehmenden Verlandung, mit dem Voranschreiten der Einpolderung erhob sich im 17. Jahrhundert der Streit, wo im anwachsenden Land die Grenze zwischen den beiden Territorien verliefe. Da vor der Harlebucht die ostfriesische Insel Spiekeroog und die jeverländisch-oldenburgische Wangerooge liegen, einigte man sich am 22. Dezember 1666 schließlich auf eine Grenzlinie, die die Mitte zwischen beiden Inseln anpeilte.

Jede Seite beauftragte einen Ingenieur, die Ostfriesen den aus den Niederlanden stammenden „beeidigten und am Hofe von Holland promovierten“ Ingenieur Johann von Honart, die Oldenburger den jeverschen Ingenieur Falke. Das Ergebnis ihrer Vermessungen hält die hier abgebildete Karte fest:

Ausgangspunkt war der ostfriesisch-jeverländische Grenzpfahl auf dem 1658 erbauten Deich zwischen Neufunnixsiel und Neugarmssiel. Mit den beiden „Baken“, die man auf dem Rand der hohen Dünen im Osten von Spiekeroog und dem Westen von Wangerooge setzte, bildete er ein rotes Vermessungsdreieck. Von diesem Grenzpfahl aus zog man eine „goldene Scheitlinie“ zur Mitte der Verbindungslinie zwischen den beiden Baken. Die Farbe der „Scheitlinie“ auf dieser Karte gab der Grenze ihren Namen: „Goldene Linie“, die laut dem Vertragstext „von nun an und fürters zu ewigen Tagen sollte gehalten und geachtet werden.“

Und in der Tat hat sie bis heute wenigstens im Bereich des festen Landes Bestand. Die Karte enthält noch zwei weitere Linien, die von dem Grenzpfahl ausgehen. Das eine ist die Peillinie auf den Wangerooger Kirchturm. Nach ostfriesischer Auffassung hätte nach altem Herkommen diese die Grenzlinie sein sollen – ihr entsprach ja auch die Grenze des 1658 angelegten Enno-Ludwigs-Groden (während die Oldenburger die auf Spiekeroog zulaufende Kapte-Balje links neben dem linken Dreiecksschenkel als Grenze ansahen). Um die besser begründeten ostfriesischen Ansprüche endlich abzufinden, ist bei der erst Jahrzehnte später erfolgten Ratifizierung des Grenzvergleichs im Jahre 1743 den Ostfriesen eine Entschädigung von 11 000 Reichstalern zugestanden worden. Die andere Linie, die über die Wangerooger Dünen hinwegführt, zeigt die Himmelsrichtung nach Norden an. Die Beschriftung vermerkt, dass von ihr die „Goldene Linie“ um 20 Grad abweicht.

Dank der genauen Vermessungen, trägt diese Karte dazu bei, den Zustand der Küste, die Lage der Inseln vor gut dreihundert Jahre zu rekonstruieren, und sie lässt im Vergleich mit modernen Karten erkennen, wie stark sich die Inseln infolge der Meeresströmungen seither ostwärts verlagert haben: Die „Golden Linie“ verläuft heute über den Ostteil von Spiekeroog.

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Dieser Beitrag ist eine wortgetreue Abschrift von Texten, die im “Grenzhäuschen” von Middoge im friesischen Wangerland angebracht sind.

Ein Gedanke zu „Was ein Grenzhäuschen aus dem Wangerland erzählt

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