Am Anfang der langen Geraden steht noch ein kleiner Grenzstein, ganz unscheinbar im Grün. Ihn zu finden, war nicht so einfach wie gedacht. Von der Spurensuche nach der berühmten Grenze zwischen Ostfriesland und Oldenburg, der „Goldenen Linie“, erzählt diese Geschichte: Was sieht man heute noch von ihr? Wo ist ihr Ausgangspunkt, wie ist ihr Verlauf? Ein Ausflug mit kleinen Irrwegen, ein Trip mit überraschenden Ergebnissen und Eindrücken von unterwegs.
Spurensuche, die Erste: Der originale Messpunkt
Wo stand eigentlich dieser Pfahl? Die Spitze des Dreiecks, von der die Vermessung der Goldenen Linie ihren Ausgang nahm? Soviel vorab: Ein Wegweiser führt nicht dort hin. Also, erst einmal schlau gemacht zu den historischen Fakten. Laut denen geht es rund zehn Kilometer vom Küstenort Carolinensiel ins Landesinnere: zum “Pfahldeich” nördlich des Enno-Ludwigs-Grodens. Bis dahin reichte damals das Land. Dort haben die Vermessungsingenieure 1666 gestanden, und die für beiden Länder und heutigen Landkreise so wichtigen Linien zur Bestimmung der Grenze gezogen.
Nun mache man aber nicht den Fehler wie Ostfriesland Reloaded und fahre von Carolinensiel aus südlich nach Wittmund und biege von der B461 in Höhe von Neufunnixsiel in eine schmale Straße mit dem Namen „Pfahldeich“ ein. Lage und Entfernung von der Küste stimmen, der Name ist vielversprechend, doch diese Staße ist eine Sackgasse. Nach wenigen Metern endet die Spur an einem Anwesen und danach kommt nur noch der „Pfahldeichsschloot“… Ab in den Graben, oder besser wieder auf die Bundesstraße und ein Stückchen in nördlicher Richtung zurück gefahren.

Die nächste Piste probiert, der „Gross Charlottengroden“ heißt, und ja, hier gibt es nach einigen schnurgeraden Kilometern eine kleine Straße zur Rechten, die wieder südlich zurück führt, und zwar immer geradeaus zur Reitsportanlage „Ponyhaus“, oder direkt auf den – Juchhu!– „Pfahldeichsweg“. Und auf dem liegt man dann gold(!)richtig, denn der bringt einen sogleich zum „Pfahlhaus“. Was man glücklicherweise daran erkennt, dass der Name in großen Lettern am Gebäude prangt. Dabei handelt es sich jedoch nicht um ein historisches Zollhäuschen, wie vermutet, sondern um ein modernes Backsteindomizil mit Solarmodulen auf dem Dach.


Hier ist also das Zonengrenzgebiet! Ein wenig wie im Niemandsland hat sich auch immer der aktuelle Bewohner des Pfahlhauses gefühlt: „ Eigentlich steht das Pfahlhaus selbst im Wangerland, auch zur Schule bin ich dort gegangen – aber gemeldet bin ich in Wittmund.“ Ein Wanderer zwischen den Welten, zwischen Ostfriesland und Oldenburg, oder neuzeitiger zwischen den Landkreisen Wittmund und Friesland. Aber auf jeden Fall einer, der weiß, wo sich der alte Grenzstein befindet. Denn ohne seinen netten Tipp, wäre auch dieser kaum zu finden gewesen. Dabei ist man ihm schon so nahe. Kein Pfeil, nirgends.
Zwar steht noch vor dem Pfahlhaus am Wegesrand eine etwas verwitterte Informationstafel zur „Goldenen Linie“. Doch diese führt den Besucher auch leicht in die Irre. Denn wenn man vor ihr steht und über sie hinweg über die Weite der Landschaft der imaginären Linie entlang Richtung Küste blickt, dann befindet sich der Grenzstein etwa zehn Meter hinter einem, auf der ganz anderen Seite vom “Pfahldeichsweg”. Wirklich sehr geschickt positioniert diese Tafel, dazu ohne jeglichen Hinweis auf den Stein im Rücken, dem Ausgangspunkt von allem, und wegen dem man ja eigentlich her gekommen ist.
Auch der Grenzstein selbst ist so unerwartet niedrig und klein, nämlich nur etwa 10 mal 10 Zentimeter in der Grundfläche und 15 Zentimeter in der Höhe, dass man Mühe hat, ihn überhaupt an einem schmalen, etwas abschüssigen Stichweg zwischen dem „Deichhaus“ und dem „Pfahlhaus“, neben einer Brennnessel und einem hölzernen Gartenzaun zu entdecken. Hier ist er also endlich: der originale Ausgangspunkt der berühmten Vermessung der „Goldenen Linie“. Das „O“ steht übrigens nicht für Ostfriesland, sondern weist nach Oldenburg. Das „P“ auf der anderen Seite markiert das ostfriesische Territorium und steht für Preußen, dessen Provinz Ostfriesland 1744 wurde.
Gefunden! Aber auch ein bisschen enttäuscht. Hier hätte man doch mehr erwartet, an diesem für Ostfriesland wie Oldenburg historisch so bedeutenden Punkt. Vielleicht ein bisschen mehr Gold hier und da, Schilder und Tafeln, die wirklich und in die richtige Richtung weisen. Hier ist noch ein wenig touristisches und kulturhistorisches Potential, um es mal vorsichtig zu formulieren.
Spurensuche, die Zweite: An der Küste, Richtung Inseln
Auch am anderen Ende der Grenzlinie ist der Eindruck hinsichtlich der Präsentation des Kulturguts nicht wirklich überzeugend. In Carolinensiel-Harlesiel ist heute das Festlandende der „Goldenen Linie“. Damals, vor mehr als 350 Jahren, war das alles noch kein Land, existierte weder der eine, noch der andere Siel. Aber die Grenze gab es schon, auch wenn sie zu dieser Zeit über Wasser lief. Eine Straße der Gemeinde trägt heute ihren Namen, aber sie folgt nicht dem originalen, mit dem Lineal gezogenen Verlauf.
Im Hafen von Harlesiel findet man dann doch noch einen Hinweis und sogar ein kleines Stück „Goldene Linie“. Aber auch hier muss man ein wenig suchen. Auf dem direkten Weg von Abfertigungsgebäude am „Anleger Harlesiel Ost“ hinauf zum Hafendeich passiert man die schon bekannte Informationstafel vom Museumsweg Carolinensiel und blickt sich wieder suchend um. Wo ist sie denn nun hier, die „Goldene Linie“? Da! Da ist sie! Man traut seinen Augen kaum: Auf dem Parkplatz, zehn Meter vor einem, läuft sie als Messingband-Intarsie von zirka 15 Metern Länge über den Asphalt: zweckentfremdet als Streifen für parkende Autos.


Das östliche Hafengelände von Harlesiel wird gerade im großen Stil umgestaltet. Vielleicht würde es sich lohnen, in diesem Zusammenhang über eine ansprechende Präsentation der „Goldenen Linie“ neu nachzudenken.
Spurensuche, die Dritte: Im Landesinneren
Im Landesinneren hat man sich ein wenig mehr Mühe gemacht in Sachen historischer Erinnerung an die „Goldene Linie“, besonders in Middoge im Wangerland. Denn der idyllische Flecken in der weiten Landschaft ist ein „Grenzort“, wenn auch nur ein ganz kleiner. Seit Anfang der tausender Jahre wird dies auch weithin sichtbar demonstriert: mit einem kleinen blau-weißen Grenzhäuschen am westlichen Ortseingang. Das steht natürlich nur symbolisch dort, und die Schranke ist auch immer offen.

Geschlossen wurde sie nur ganz zu Beginn, für eine Veranstaltungsreihe, mit der an die ehemaligen preußischen Zeiten Ostfrieslands erinnert wurde. Ein Friedrich der Große-Double wurde damals in die oldenburgischen Schranken gewiesen. Der kostümierte Grenzposten war Manfred Schmidt, dessen Tochter heute das gemütliche „Hofcafé No. 19“ mit Biergarten und Teestube daneben betreibt, und sich noch gut an den Spaß erinnern kann.
In dem kleinen Grenzhäuschen ist es nicht nur gemütlich und windgeschützt, sondern es ist mit vielen Informationstafeln rund um die Geschichte zur „Goldenen Linie“ und des Küstenverlaufs im Laufe der Jahrhunderte auch ein sehr anregendes Örtchen. Was ein Grenzhäuschen erzählt, das hat Ostfriesland Reloaded in einem zweiten, historischen Beitrag zum Thema, notiert.
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Hinweis: Der schnellste Weg zum „Pfahlhaus“ und dem alten Grenzstein führt von Carolinensiel nicht über die Strecke Richtung Wittmund, sondern über die L808 Richtung Jever. In Neugarmssiel biegt man von der Landstraße rechts Richtung Neufunnixsiel ab. Nach etwa einem Kilometer zweigt links in einer Kurve der „Pfahldeichsweg“ ab und führt ans Ziel.
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