“Puppa” – der Name will eigentlich so gar nicht zu ihr passen. Denn von einem “Püppchen” kann bei Elisabeth Peters nun wirklich keine Rede sein. Dazu ist sie zu resolut, zu willensstark, gewöhnt daran, sich als einzige Frau in einem Shantychor aus lauter Männern durchzusetzen. Ihre Stimme wird überall gehört. Nicht nur bei den Flinthörners, ihrem Shantychor auf Langeoog. Viele Jahrzehnte war sie in den verschiedenen Verbänden des Shantygesangs aktiv: im Vorstand bei der International Shanty and Seasong Association oder als Leiterin der Musikkommission im nationalen Fachverband der Shantychöre Deutschland. Als Frau in einer Männerwelt, das wurde ihr gewissermassen auch in die Wiege gelegt.
Kindheit im Tanzlokal: Puppas musikalische Anfänge
Als Elisabeth Peters am 30. Januar 1947 in Esens an der Nordseeküste geboren wird, ist sie die Jüngste der Familie – und das einzige Mädchen. “Ich durfte mich einfach nicht unterkriegen lassen”, so erinnert sie sich noch heute an das Grundgefühl ihrer Kindheit. Der um nur ein Jahr ältere Bruder war es, dem sie ihren Spitznamen zu verdanken hat. “Puppa” nannte er die neugeborene Schwester mit seinem Kindermund, weil er Elisabeth noch nicht aussprechen konnte. So war ihr Name, mit dem sie von nun an jeder rufen sollte, in der Welt. “Es gab Zeiten in meiner Kindheit, da wusste ich gar nicht von meinem richtigen Namen. Jeder sagte Puppa zu mir.”
Ihre Eltern waren Gastwirte, betrieben in Esens sehr erfolgreich die bekannten “Peters Gaststätten”. Das war in den Sechzigern ein sehr beliebtes Lokal für Familienfeste, aber auch für Tanzveranstaltungen, Mißwahlen und für viele Bands, die hier große Auftritte feierten: “Peters Gaststätten in Esens war zu damaliger Zeit einer der angesagten Beatschuppen in Ostfriesland” weiß man aus jenen wilden Tagen zu berichten, als der Rock’n Roll und der Beat nach Deutschland kamen. Das Elternhaus war somit wohl auch kein Ort für zartbesaitete Mädchen, sondern eher eine gute Schule für die rauhen Töne der Gastronomie und des Musikbusiness.

Musik bestimmte von klein an ihr Leben. Die Familie der Mutter wie auch die des Vaters waren sehr musikalisch, und so erhielt Puppa Peters mit zehn Jahren ihren ersten Klavierunterricht. Der Beginn einer großen Liebe zu dem Instrument und für die Musik. Sie habe in jeder freien Minute gespielt und geübt. Dabei kannte sie anfangs gar keine Noten und den Klavierlehrern sei es auch erst gar nicht aufgefallen. Sie habe fünf Jahre rein nach Gehör gespielt, ganze Sonaten, Beethoven, Mozart. Ein Talent, von dem sie später sehr profitieren sollte. “Ich kann unabhängig von den Noten sehr schnell reagieren auf meine Chöre, sehr schnell improvisieren und unterstützen.” Auch ihre vielen Shanties, die sie heute auf dem Akkordeon bei den Flinthörners spielt, beherrscht sie aus dem Kopf. Das sind immerhin 200, die sie im Repertoire hat und jederzeit frei intonieren kann.
Darunter ist ein französischer Walfangsong, der ihr besonders gefallen dürfte. Denn mit 18 Jahren ging es für die auch äußerst Sprachbegabte in die französische Schweiz. In Genf arbeitete sie ein halbes Jahr als AuPair, was damals noch eine ausgesprochen seltene Erfahrung für ein junges Mädchen war. Neben Musik und Sprachen war es dann der Sport, der sie beruflich in den Bann zog: Sie zog nach Oldenburg um dort ihren Abschluss als staatlich geprüfte Gymnastiklehrin zu machen – auch das mit viel Musik, wie sie etwa bei der Rhythmischen Sportgymnastik notwendig ist. Danach führte sie der Weg in den Schuldienst und wieder zurück in ihre alte Heimatstadt Esens an die dortige Förderschule für lern- und geistige Entwicklung, die ihr für viele Jahrzehnte, bis zur Rente in 2012, eine berufliche Heimat werden sollte.
Ein Leben für den Shanty: Die Geburtsstunde der Flinthörners

Sie war 38 Jahre alt, als durch einen Zufall der Shanty in ihr Leben trat und sie nie mehr wieder loslassen sollte. Zu diesem Zeitpunkt leitete sie bereits seit fünf Jahren einen Frauenchor in Esens. Doch bald sollten viele Herren eine Hauptrolle bei ihr spielen. Ausgelöst hat das Ganze ein Shantychor, der im Mai 1985 auf Langeoog gastieren sollte.
Und irgendwie in lustiger Runde mit Puppa in Esens kam man auf die Idee, Inseloriginal Els Sanders war auch dabei und nicht ganz unbeteiligt, mit einer eigenen Gesangseinlage die Gäste zu begrüßen und zu überraschen. Gesagt, getan, geprobt – und ein neuer Shantychor war geboren. Auch wenn damals noch keiner ahnen konnte, welches Kind sie da aus der Taufe gehoben hatten. Weil der Akkordeonspieler der Sponti-Gruppe das Instrument immer verkehrt herum hielt, sprang Puppa auf der Bühne ein und übernahm – für die nächsten 35 Jahre.
Das Kind bekam dann auch relativ schnell einen originellen Namen: de Flinthörners, so unverwechselbar und so unverkennbar Langeoog, mit seinem markanten Flinthörn, dem Sandhaken an der südwestlichen Ecke der langen Insel. Aus den ersten Liedern entwickelte sich ein regelrechtes Programm, es kamen die ersten und dann immer mehr Auftritte, auf der Insel, auch Gastspiele außerhalb, CDs und Studioaufnahmen. Heute ist der Langeooger Shantychor eine wahre Institution, auch dank seiner Chorleiterin, die mit einer C-Prüfung beim Deutschen Sängerbund für diese Aufgabe sehr viel Kompetenz mit in die Proben und die Programmplanung einbringt. Anfangs wurde der Männerchor mit der Dame vom Festland ein wenig skeptisch beäugt auf der Insel, erinnert sich Puppa Peters: Die Ehefrauen der frisch gebackenen Sänger waren ein wenig mißtrauisch, mit wem ihre Männer da so regelmäßig zusammen kamen und anscheinend viel Spaß hatten. “Das hat sich dann aber schnell gelegt”, schmunzelt sie.

Der heimliche Kapitän der Flinthörners überlässt meistens ihren Männern die große Bühne. Sie steht oder sitzt meistens ganz rechts am Rand mit ihrem Akkordeon, die sichere Bank, die Leiterin des mittlerweile sehr erfahrenen Shanty-Ensembles. Denn Chor mag man es kaum noch nennen, was die zwanzig Männer und ihre “Dompteuse” aufführen. Es ist ein wahres Shanty-Musical, was von März bis Oktober alle zwei Wochen im Haus der Insel auf Langeoog zu sehen ist. Normalerweise. Denn jetzt ist natürlich Ausnahmezustand, wegen des Corona-Virus kann live nichts mehr stattfinden. Und auch virtuell nur eingeschränkt, wie etwa ein Solo-Heimauftritt von Gerrit Agena, der auf dem Youtube-Kanal der Langeoog News zu sehen ist. Zusammen im Chor geht momentan nichts mehr. Puppa Peters war vor drei Wochen das letztemal auf Langeoog: “Erst der Sturm, dann die Schutzmaßnahmen wegen des Virus. Ich habe meine Männer jetzt schon ein Weilchen nicht mehr gesehen”. Die Premiere für 2020 am 30. März musste abgesagt werden.
Ihre Mission oder “das etwas andere Shantyfestival”
Auch wenn die äußeren Umstände momentan alles andere als optimal sind, geht der Blick Richtung Zukunft: Denn am Horizont steht das 1. Shantyfestival Langeoog. Das ist für den 30. Oktober bis 1. November 2020 geplant, mit hoffentlich genug Abstand zur Corona-Pandemie. Es ist als “das etwas andere Shantyfestival” angekündigt – und das hat seinen guten Grund. Denn vieles, was unter dem Namen Shanty firmiert, ist in Wahrheit gar keiner. Oft sind es Schlager, maritimes Liedgut, Seemannslieder.
Allesamt schön anzuhören, nur sind das eben keine Shanties! Auf dem Festival wird es um das gute, echte, wahre Shanty gehen – um die alten Arbeiterlieder der Seefahrt, als es viel Muskelkraft brauchte, um die Segel zu setzen und die Anker zu lichten, und die Shanties hier den Rhythmus vorgaben. Rund zwölf Gruppen und Chöre des originalen Shantygesangs aus Deutschland und den Niederlanden haben sich angekündigt. Eine Art Fachtagung, um sich gegenseitig zu inspirieren, kennenzuleren und Erfahrung und Wissen rund um das Original auszutauschen.

Denn das ist die eigentliche Mission von Puppa Peters: Seit Jahrzehnten betreibt sie hier Grundlagenarbeit in den nationalen und internationalen Gremien des Shantygesangs, ist eine echte Pionierin. Für die International Shanty and Seasong Association hat sie das Musikarchiv mit hunderten CDs von Shantychören aufgebaut. Als langjährige Leiterin der Musikkommission beim Fachverband der Shantychöre Deutschland hat sie vielen Gruppen schon beim Finden originaler Shanties geholfen, ist dabei oft als Chorleiterin eingesprungen. Sie hat unermüdlich recherchiert, Vorträge gehalten, ihr Wissen weitergeben. Auch für Ostfriesland Reloaded hat sie einen Artikel zur Verfügung gestellt zu ihrem Herzensthema: dem originalen Shanty, das weit entfernt ist von frisch gestärkter weißer Matrosenromantik vieler Chöre, sondern sehr viel mit Schweiß und harter Arbeit zu tun hat. Sie gilt heute als eine der führenden Expertinnen dieses Genres, und verhilft ihm durch Freilegen seines wahren Kerns auch zu neuer Blüte.
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