Die Prinzessin und der Prediger: Heimliche Liebe

Was für eine Love Story! Da verliebt sich eine leibhaftige Prinzessin in einen über neun Jahre jüngeren Mann und geht mit ihm heimlich den Bund der Ehe ein. Doch es ist nicht nur der Altersunterschied und die Tatsache, dass die Frau in dieser Beziehung die Ältere ist, sondern vielmehr der Standesunterschied, der hier den größeren Skandal machte. Denn der Auserwählte ist nicht wie sie selbst von hohem Adel, sondern von ganz schlichter bürgerlicher Herkunft: Er ist Pastor. Kein Wunder, dass diese Ehe geheim geschlossen und auch während ihrer gesamten Dauer nie wirklich an die Öffentlichkeit drang. Die Rede ist von Juliane Louise Prinzessin von Ostfriesland und Joachim Morgenweck. Sie sorgten schon vor mehr als dreihundert Jahren für Gesprächsstoff in Hamburg, denn so ganz verborgen blieb es auch nicht, dass es da wohl eine besondere Beziehung der blaublütigen Dame zum Geistlichen der Maria-Magdalenen-Kirche gebe. Nur welche, das ahnten – oder wußten gar – nur wenige.

Juliane Louise wurde am 16. November 1657 als Tochter des regierenden Fürsten von Ostfriesland, Enno Ludwig, und seiner Frau Justine Sophie von Barby am ostfriesischen Hofe, in der Residenz Aurich, geboren. Sie war die ältere von zwei Schwestern. Unter anderen Umständen wäre sie wohl die regierende Fürstin von Ostfriesland geworden. Aber die Zeiten sahen es nun einmal nicht vor, dass auch die Töchter die Thronfolge übernahmen. Wenn Frauen dennoch ab und an regierten in Ostfriesland, dann taten sie das vormundschaftlich für ihre noch zu jungen Söhne. So auch ihre Großmutter, Juliane von Ostfriesland, der sie ihren Namen zu verdanken hatte und die bevor ihr Vater die Amtsgeschäfte 1651 an sich riss, drei Jahre über Ostfriesland herrschte. Sie, die zweite Juliane der Familie, sollte ein ganz anderes Schicksal ereilen.

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Geburtsort der kleinen Juliane: die Residenz in Aurich (Modell: Historisches Museum).

Denn ihr Vater starb jung mit 27 Jahren an den Folgen eines Jagdunfalls. Das sollte das zukünftige Leben der kleinen Prinzessin, die damals noch nicht einmal drei Jahre alt war, schlagartig ändern. Da es keine männlichen Nachkommen gab, übernahm ihr Onkel, Georg Christian, die Thronfolge und wurde zum neuen Regenten Ostfrieslands. Juliane war plötzlich nicht mehr die älteste Tochter des regierenden Fürsten, sondern das Kind einer 24 Jahre alten, trauernden Witwe. Diese musste nun mit ihren Töchtern den Hof in Aurich verlassen. 1660 zog man um in den Witwensitz Burg Berum, der wehrhaften Wasserburg am Rande von Hage. In den schützenden Mauern verbrachte Juliane zusammen mit ihrer zwei Jahre jüngeren Schwester Sophie Wilhelmine ihre gesamte Kindheit und Jugend. Bis im Sommer 1677 ihre Mutter starb.

Toreinfahrt Burg Berum
Burg Berum: behütete Kindheit und Jugend.

Die fast Zwanzigjährige, deren Leben so glanzvoll begann, war vollkommen mittellos. Denn seit dem Tod ihres Vaters hatte die Verwandtschaft der ostfriesischen Cirksena unablässig ums Erbe gestritten. Zuflucht fanden die beiden Schwestern zunächst in Wolfenbüttel bei ihrem Vormund, dem Herzog von Braunschweig-Lüneburg, später dann beim Herzog Johann Adolf von Holstein im Plöner Schloss. Fast zwanzig Jahre dauerte dieser Zustand an, hatten sie nichts außer ihren schönen Titeln. Erst 1695 nahmen die Streitereien um das Erbe Enno Ludwigs ein Ende: Man einigte sich in einem Vergleich darauf, den beiden mittlerweile zu Damen gereiften Fürstentöchtern jeweils 54.000 Reichstaler auszuzahlen. Geld, das sie allerdings erst 1698 erhielten.

Mit vierzig Jahren hatte Juliane Louise nun erstmals ausreichend Kapital, um sich ein eigenständiges Leben aufzubauen. Während ihre Schwester sich mit einem würrtembergischen Herzog vermählte und diesem nach Schlesien folgte, zog es sie nach Hamburg. Dort lebte sie in einer Wohnung am Jungfernstieg, in einem Haus, das ihrem ehemaligen Vormund gehörte und das sie später erwarb. Als Sommersitz kaufte sie sich ein Landhaus mit Elbblick in Ottensen. Die Prinzessin führte ein relativ zurückgezogenes Leben, begleitet von ihrem kleinen privaten “Hofstaat”: einem Hoffräulein, Gertrud Elisabeth von Brobergen, und ihrem Patenkind Juliane Luise Jensen, einer holsteinischen Pastorentochter. Abwechslung boten dem Damentrio die regelmäßigen Gottesdienstbesuche in der Hamburger Maria-Magdalenen-Kirche. Hier musss es dann auch wohl zwischen dem jungen Geistlichen, den “eine seltene Kraft und Eindringlichkeit der lebendig warmen Rede” auszeichnete, und der Adligen gefunkt haben. Joachim Morgenweck war 1698 gerade erst zum Pastor des Waisenhauses und der angeschlossenen Kirche berufen worden. Er wurde Julianes neuer Beichtvater, nachdem ihr alter 1699 verstorben war. Sie soll sich sofort zu dem Gottesmann hingezogen gefühlt haben. 1700 haben sie in aller Heimlichkeit geheiratet, er 34 und sie 43 Jahre alt.


Wer in den Jahren um 1705 in Hamburg sonntags die Waisenhauskirche besuchte um eine Predigt des beliebten Pastor Morgenweck zu hören, der konnte auch sicher sein, als die andächtigste unter den andächtigen Zuhörerinnen in der vordersten Reihe eine vornehme Dame von edler Erscheinung und Haltung zu gewahren, die mit gespanntester Aufmerksamkeit der ebenso glaubenstreuen als geistreichen und mit hinreißender Beredtsamkeit vorgetragenen Predigt folgte. Wenn diese dann zu Ende war, und die Dame sich erhob, um mit einer sehr kleinen zarten Gesellschafterin zu ihrer draußen harrenden Carosse zu gehen, so wollten scharfsinnige Beobachter in ihren fast verklärten Gesichtszügen auch denjenigen Ausdruck erkennen, der das Antlitz so mancher guten Pfarrersfrau nach besonders gelungenem Sermon ihres Gatten durchleuchtet; (nach Silke Arends, 2016)


Ganz geheim halten konnten die beiden Liebenden ihre Beziehung dennoch nicht. Als die Kirchenkanzel umgebaut werden sollte,  wunderten sich die Vorgesetzten des Pfarrers um die angekündigte Spende einer “gottesliebenden Seele” in Höhe von 4.000 Talern. Dahinter steckte natürlich Juliane. Um Erklärung gebeten, lüftete man das Geheimnis. Da die Beziehung aber rechtmäßig war, beließ man es dabei, schwieg und freute sich sicherlich auch darüber, dass sich die Prinzessin von Ostfriesland ihre Kirche für das eigene Grabmal ausgesucht hatte. Juliane hatte dem Gotteshaus testamentarisch zudem auch 3.000 Taler vermacht, von dessen Zinsen die Bewachung ihres bereits bezahlten Grabes im Grabgewölbe unter der Maria-Magdalenen-Kirche beglichen werden sollte: Ihre Ruhe dort sollte niemals gestört werden und ewig dauern!

Das Glück des ungleichen Paares sollte fast fünfzehn Jahre währen, bis zu ihrem Tod. Am 30. Oktober 1715, kurz vor ihrem 58. Geburtstag, starb Juliane Louise von Ostfriesland in Hamburg, wahrscheinlich an der Pest. Wieder einmal kam es zu Erbschaftsstreitereien, diesmal mit der erbberechtigten Nichte der kinderlosen Prinzessin. Die 3.000 Taler für das von ihr verfügte Grabgewölbe in der Maria-Magdalenen-Kirche konnten daher zunächst nicht ausgezahlt werden. Rund 16 Monate stand ihr Sarg in der Diele ihrer Wohnung am Jungfernstieg. Dieser war mit dem fürstlichen Wappen verziert und muss sehr prunkvoll gewesen sein: Sie wurde “in einem kupfernen, stark vergoldeten Sarg beigesetzet”, so schrieb Ostfrieslands Chronist Tilemann Wiarda später. Erst im Mai 1717 fand die Beisetzung statt, bei der zeitgleich auch ihre treue und mittlerweile ebenfalls verstorbene Kammerfrau von Brobergen begraben wurde. Neun Monate nach der Beerdigung vermählte sich Witwer Morgenweck mit dem Patenkind der Prinzessin, mit Juliane Luise Jensen, die später seine Haushälterin wurde.

“So lange der Wind wehet und der Hahn krähet”

– so lange dürfe ihre Gruft nicht geöffnet werden, das war der innigste Wunsch von Juliane Louise von Ostfriesland, und dafür hatte sie testamentarisch auch alle erdenkliche Vorsorge getroffen, sogar Geld so investiert, dass sie ihre Grabwächter noch posthum zahlen konnte. Selbst der letzte Pastor der Maria-Magdalenen-Kirche, Barthold Nikolaus Krohn verfügte, dass er neben ihr begraben werden solle, und beide Gewölbe mit einem Gitter zu schließen seien. So wollte er noch im Tode die Sicherheit des ihm anvertrauten Grabes gewährleisten.

Noch nicht einmal hundert Jahre währte die ewige Ruhe. Als die Maria-Magdalenen-Kirche 1807 abgerissen wurde, wurden die Gebeine der Toten im Grabgewölbe auf dem Begräbnisplatz vor dem Dammtor umgebettet. 1924 wurde ihr Grab sogar nochmals verlegt: auf den Ohlsdorfer Friedhof. Dort fand sie ihre bisher letzte Ruhestätte. Das Grabmal ist eines der ältesten auf dem Hamburger Parkfriedhof. Es wurde 2010 restauriert. Die alte Inschrift im Schlangenkreis mahnt bis heute: “Ruhestätte, die nie zu eröffnen ist”.

Vor was hatte die ostfriesische Prinzessin nur so eine Angst, dass sie dermaßen stark – im Testament, selbst auf dem Grabstein – davor warnte, ihr Grab anzurühren, sogar einen eigenen Wachdienst zum Schutze ihres Grabes bezahlte? Dass man sie im Tode zurück in die ostfriesische Gruft der ungeliebten fürstlichen Cirksena-Verwandschaft in Aurich bringen würde, wie schon einmal ihrer Großmutter, der ersten Juliane von Ostfriesland geschehen?


Und noch etwas

Der Grabstein der Juliane Louise Prinzessin von Ostfriesland befindet sich auf dem Ohlsdorfer Friedhof, Fuhlsbüttler Straße 756, Grab: Bi 56, 577 am Teich.

Weder von der ostfriesischen Prinzessin noch von Pastor Joachim Morgenweck gibt es Bilder. Auch von Julianes Mutter und ihrer Schwester liegt kein Material vor. Diese Geschichte kann leider nicht mit Portraits illustriert werden.

Quellennachweise:

  1. Sämtliche Geburts- und Sterbedaten wie auch die Höhe der Erbschaft sind aus den Angaben des Chronisten Ostfrieslands zitiert: Tileman Dothias Wiarda ( Secretair der ostfriesischen Landschaft): Ostfriesische Geschichte: Fünfter Band von 1648 bis 1668, Aurich, bei August Friedrich Winter, 1795. (Hier wird noch nach altem julianischen Kalender der 6. November 1657 als Julianes Geburtsdatum angegeben; als Erbe wird eine Summe von 54.000 Reichstalern genannt, nicht 59.000, wie in anderen Quellen häufiger zu lesen.)
  2. Arends, Silke: Eine Liebe in Hamburg: Über die Grabsteine von Juliane Louise Prinzessin von Ostfriesland und Harbert Dirk Haberts auf dem Ohlsdorfer Friedhof In: Ohlsdorf, Zeitschrift für Trauerkultur, Ausgabe Nr, 133, II, Mai 2016
  3. Stadt Hamburg, http://www.hamburg.de: Datenbank Frauenbiografien. Juliane Louise Prinzessin von Ostfriesland.

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