Carl Edzard, der letzte Fürst von Ostfriesland: War es doch Mord?

Kalte Buttermilch soll es gewesen sein, die zum Ende der fast 300 Jahre währenden Herrschaft der Cirksena über Ostfriesland führte. Danach verlangte es jedenfalls den letzten Fürsten, Carl Edzard, als er nach langem Fußmarsch am 16. Mai 1744 in seiner Sommerresidenz, dem Jagdschloss Wilhelminenholz in Sandhorst bei Aurich, ankam. Dort wartete bereits seine Frau Wilhelmine Sophie auf ihn, die vier Tage zuvor eine Fehlgeburt erlitten hatte. Die Hoffnung auf einen Thronfolger hatte sich damit für beide zerschlagen.

Nach diesem Besuch und dem Genuß der Buttermilch fühlte Carl Edzard sich nicht gut. Sein Zustand wurde nicht besser, anfangs wohl auch nicht ernst genommen. Was im Folgenden geschah, schildert ein Chronist so:

Der Arzt vermuthete, daß der Fürst sich durch starkes Spazierengehen erhitzet und durch den Genuß kalter Buttermilch geschadet habe. Erst des Abends am 24. Mai fand er die Unpäslichkeit des Fürsten bedenklich, wie sich erst ein gelindes frostiges Zeichen und Schaudern ohne alle äußerliche Kälte, und bald darauf Convulsionen einstellten. An dem folgenden Tage hatte der Arzt die beste Hoffnung und sah auch keine Gefahr mehr ein, wie ein zurückgetretener Ausschlag und Geschwulst der Hände wieder zum Vorschein kamen. Am Abend des folgenden Tages fanden die Convulsionen sich wieder ein. Auf einmal richtete sich der Fürst aufrecht in dem Bette auf, fiel in horizontaler Lage nieder und verlohr die Sprache, Begriffe und Empfindung. Dies geschah in einem Augenblick gegen 11 Uhr. Vor zwölf Uhr erfolgte schon das selige und sanfte Ende dieses guten Fürsten. (Tileman Wiarda, 1798)

Noch vor Mitternacht des 25. Mai 1744 war es also geschehen um den ostfriesischen Regenten, der noch nicht einmal 28 Jahre alt wurde. Ob es tatsächlich die kalte Buttermilch war, die zu seinem Fieber, den Krämpfen und schließlich zum Tod führte, sei dahin gestellt. Immerhin lagen zwischen dem Trinken des Glases und seinem Sterben neun Tage. Bis heute hält sich der Verdacht, dass der letzte Fürst Ostfrieslands keines natürlichen Todes starb, sondern sein Ableben gezielt herbeigeführt wurde, durch Gift etwa. Beweisen lässt sich dieses letztendlich nicht mehr. Doch ein Verdacht wird immer bestehen bleiben.

Denn es gab nicht wenige, die ein großes Interesse an einem frühen Ende von Carl Edzard hatten, möglichst bevor er männliche Nachkommen in die Welt setzt.

Ein Leben unter dem Damoklesschwert

Das Aussterben der Linie im männlichen Stamm, das war das Thema seines Lebens könnte man sagen. Die Furcht vor diesem Ausgang hat sein ganzes Dasein geprägt. Schon seinen Vater, Fürst Georg Albrecht von Ostfriesland, quälte zeitlebens dieser Gedanke. Mit seiner ersten Frau bekam dieser zwar vier Kinder, doch bis auf Carl Edzard starben alle früh. Als die erste Gattin im April 1723 verschied, Carl Edzard war noch nicht ganz sieben Jahre alt, ehelichte er schnell im Dezember des gleichen Jahres ein zweitesmal. Doch die zweite Ehe mit der jungen, sechzehnjährigen  Sophie Caroline von Brandenburg-Kulmbach blieb glück- und vor allem kinderlos.

So ruhten auf dem Einzelkind Carl Edzard alle Hoffnungen für den Fortbestand der Monarchie. Er musste weiterleben, überleben und – männliche – Nachkommen zeugen. Seine Kindheit war ein goldener Käfig, bestimmt von strengen Stundenplänen aus Herrschaftsgeschichte, Französisch und dem Lesen der Bibel. Das Fürstenhaus war pietistisch-religiös, asketisch fromm und dabei ganz vom barocken Zeitgeist geprägt, der Kindern bei der Erziehung keinerlei Freiheiten zugestand.

Seine Frau hat er sich auch nicht selbst ausgesucht. Das war eine vorausschauende Entscheidung seiner Stiefmutter, die ihm die Tochter ihrer ältesten Schwester schon früh als zukünftige Ehefrau präsentierte. Gerade mal sechzehn Jahre alt wurde er mit Prinzessin Sophie Wilhelmine von Brandenburg-Kulmbach-Bayreuth, der zwei Jahre älteren Stiefcousine aus Süddeutschland, verlobt. Am 25. Mai 1734 wurde dann in der ostfriesischen Burg Berum eilig geheiratet. Sein Schicksalstag: Genau an diesem Tag, zehn Jahre später, sollte er sterben.

Nur drei Wochen nach seiner Hochzeit, am 12. Juni 1734, verstarb sein Vater.

Carl Edzard war noch nicht ganz achtzehn Jahre alt und war der regierende Fürst von Ostfriesland. Der große und leicht korpulente junge Mann aus Aurich hatte noch nicht viel gesehen von der Welt. Er hatte keine Kavaliersreise gemacht oder im Ausland studiert wie sonst üblich in seinen Kreisen. Selbst die größte Stadt seines eigenen Herrschaftsgebiets, das immer etwas widerspenstige Emden, hat er zeitlebens nie betreten, sondern nur von außen gesehen. Bei seinem Amtsantritt war er zu jung und zu unerfahren, um sich den Entwicklungen entgegenzustemmen, die das Ende der Cirksena-Herrschaft über Ostfriesland besiegeln sollten.

Viele und mächtige Gegner

Seit 1694 gab es bereits eine vom Kaiser Leopold I. verbriefte Anwartschaft Preußens auf Ostfriesland, für den Fall, dass die männliche Linie des Herrschergeschlechts der Cirksena aussterben sollte. Nun sah man seine Zeit gekommen, diesen Anspuch umzusetzen und sich Ostfriesland einzuverleiben. In der Stadt Emden, dem Widerstandnest der “Renitenten”, keimte Hoffnung auf neue Unabhängkeit vom ostfriesischen Hof. Als gefährlichster Widersacher der Cirksenas sollte sich jedoch Sebastian Anton Homfeld erweisen. Der Anwalt der ostfriesischen Landstände plante einen regelrechten Feldzug gegen die Cirksena. Schon früh knüpfte der gut vernetzte Auricher zu Preußen enge Bande, weilte bereits 1724 in Berlin um mit diesen zu konspirieren und weitere Schritte für eine mögliche Machtübernahme Preußens zu besprechen.

Er war ein Agent der Preußen, der spätestens seit dem Tod des alten Fürsten sowie dessen erfahrenen Kanzlers Brenneysen im Jahr 1734 ganz gezielte “Untergrundarbeit” im Sinne Preußens machte. Er bereitete mental, in Emden wie auch bei den ostfriesischen Ständen, den Boden für das Ende der Cirksena-Herrschaft und eine preußische Übernahme. Bereits 1742 übermittelte Homfeld Friedrich II. den Entwurf für eine Konvention, in der die Emder dem Preußenkönig die Gefolgschaft zusagten, wenn er im Gegenzug unter anderem ihre alten Ständerechte und damit eine große Unabhängigkeit wieder gelten ließe. Die Emder Konvention wurde am 14. März 1744 von beiden Parteien unterschrieben.

Man hatte für die Machtübernahme schon alles in der Schublade. Interessant dabei: Bereits im März 1744 lagen Besitzergreifungspatente vor, die mit dem Aussterben des Hauses Cirksena begründet wurden. Zwei Monate vor dem überraschenden und mysteriösen Tod des regierenden Fürsten Carl Edzard und seiner zu diesem Zeitpunkt schwangeren Frau. Hat man vielleicht doch ein bißchen nachgeholfen, so kurz vor dem Ziel? Ein Mann mit wenig Skrupel scheint Homfeld jedenfalls gewesen zu sein, glaubt man seinen Biografen. Die beschreiben ihn als “einen überragenden, arbeitsamen Juristen … und einen Meister der Diplomatie”, aber eben auch als einen “Integranten, einen korrupten … Politiker und Beamten.” (Stefan Pötzsch).

Mit Sicherheit eine tragische Figur

Carl-Edzard HW-Stiftung Leer

Der Fall Carl Edzard von Ostfriesland – er wird wohl nie mehr zu klären sein. Fest steht aber: Er war “ein Kind ohne Kindheit, ein Landesherr ohne Macht. .. Schon früh dazu verurteilt, möglichst bald von der politischen Bühne zu verschwinden.” Nochmals sein Biograf Joachim Pötzsch: “Er war sicherlich einer der unglücklichsten Figuren in der ostfriesischen Geschichte.”Nach dem Tod des Fürsten ging es jedenfalls ganz schnell. Von Emden ausgehend, wurde Ostfriesland ohne Widerstand von den Preußen besetzt. Am 23. Juni 1744 huldigte das Land der neuen Krone. Ostfriesland war von nun an eine preußische Provinz.

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Und noch etwas

Die Witwe Carl Edzards starb fünf Jahre nach ihm im Alter von 35 Jahren am 7.9.1749 in Aurich. Der Sarg der Sophie Wilhelmine von Ostfriesland steht heute im Mausoleum der Cirksena.

Seine Stiefmutter Caroline von Ostfriesland lebte noch lang. Bereits vor dem Tod Carl Edzards war sie 1740 zu ihrer Schwester, der Königin von Dänemark und Nordwegen, nach Kopenhagen gezogen. Dort starb sie am 7.6.1764, dreißig Jahre nach ihrem Mann. Der ihr lebenslang zugesicherte Witwensitz Burg Berum ging erst danach in die Hände Friedrich des Großen über, zwanzig Jahre nach der Übernahme Ostfrieslands. Er schleifte das Schloss und versteigerte sämtliches Inventar.

Quellennachweise:

  1. Tileman Dothias Wiarda ( Secretair der ostfriesischen Landschaft): Ostfriesische Geschichte: Achter Band von 1734 bis 1758, Aurich, bei August Friedrich Winter, 1798.
  2. Ostfriesische Landschaft, Biografisches Lexikon: Carl Edzard (verfasst von Stefan Pötzsch)
  3. Ostfriesische Landschaft, Biografisches Lexikon: Sebastian Anton Homfeld (verfasst von Stefan Pötzsch)
  4. Portrait Carl Edzards (unten): Künstler unbekannt, Datierung: 1744, Technik: Öl/Leinwand, 63,7 cm Breite x 81,6 cm Länge, Hilke und Fritz Wolff Stiftung, Leer

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