10 Prozent Erde und 90 Prozent Himmel, das sind 100 Prozent Ostfriesland. Dieser kurze Satz trifft es immer noch ziemlich genau, wenn es darum geht, warum gerade der ostfriesische Himmel einen so nachhaltigen Eindruck hinterlässt. Wobei es eben nicht der makellos blaue Himmel ist, der die größte Wirkung hervorruft. Erst zusammen mit den Wolken entfaltet sich das gewaltige Panorama über dem flachen Land und raubt einem zuweilen den Atem, so betörend schön kann das Schauspiel der Natur sein.
Und im ewigen Wandel: Der Himmel über uns ist immer anders, an keinem Tag gleicht er dem anderen. Da helfen auch keine Versuche, ihm eine Ordnung zu geben, ihn zu kategorisieren, wie es etwa Luke Howard, der “Godfather of Clouds”, Anfang des 19. Jahrhunderts versucht hat oder später der berühmte Cloud Atlas, der 1890 erstmals erschien und bis heute als Internationaler Wolkenatlas von der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) herausgegeben wird. Die WMO unterscheidet dabei zwischen zehn Wolkengattungen, 14 Wolkenarten, neun Wolkenunterarten sowie neun Sonderformen und Begleitwolken. Die neueste Auflage des internationalen Cloud Atlas erschien im Herbst 2017.
Wolken sind Ausdruck der Freiheit und des Zufalls, woran auch die Klimaforscher mit ihren ausgefeilten Modellen und hochperformanter Computertechnik verzweifeln. Es sind nämlich die Wolken und ihre Unberechenbarkeit, die langfristige Prognosen zum Ausmaß des Klimawandels bis heute vereiteln. “Noch immer sind die Vorhersagen zur globalen Erwärmung erstaunlich ungenau”, befand der Spiegel im März 2019. Um sich konkret auf das Kommende vorzubereiten, wie etwa beim Bau von Deichen, seien die Prognosen der Experten nach wie vor nicht geeignet. Die Schwierigkeiten ließen sich dabei in einem einzigen Wort zusammen fassen: Wolken.
Eine Wolke ist im eigentlichen Sinn kein Gegenstand, sondern der sichtbar gewordene Zustand der Atmosphäre. Bei einer Wolke kondensiert der Wasserdampf und wird sichtbar.
Ihre Vielfalt ist enorm: flirrende Cirrus-Wolken, kleine Schäfchenwolken wie bei den Cumulus-Gebilden, Stratus-Wolken so flach wie Bettlaken. Bis in gewaltige Höhen von 13 Kilometer reichen Kumulonimbus-Wolken hinauf, nur in ein bis zwei Kilometer Höhe hängen dagegen die Stratokumulus-Wolken über dem Boden. Jede wirkt anders auf das Klima ein, aber sie “wirken kräftig”. Eine Wolke, die sich vor die Sonne schiebt, kühlt sofort die Umgebung wie jeder aus eigener Anschauung weiß. Sie kann im Winter aber auch wie ein Deckel über dem Boden liegen und ihn wärmen. Für alle wolkigen Effekte gilt: kleine Ursache, große Wirkung.
Ein spezielles Himmelsphänomen ist der Nebel. Er tritt in Ostfriesland häufiger als anderwo auf. Denn Voraussetzung für Nebel ist ein großer Feuchtigkeitsgehalt der Luft. Wenn diese auf die Sättigungsgrenze für Wasserdampf abgekühlt wird, dann entsteht Nebel. Das passiert oft in der kalten Jahreszeit, wenn am späten Nachmittag oder frühen Morgen der Boden extrem abkühlt und sich in den bodennahen Luftschichten dann Strahlungsnebel bildet, der sich am Tag nur sehr langsam auflöst.
Physikalisch gesehen ist Nebel eine Wolke, die den Boden berührt.
Besonders typisch für die Region an der Nordsee ist jedoch der Advektionsnebel. Der entsteht, wenn feuchtwarme Luft durch Wind vom Festland auf das kalte Meer getragen wird, abkühlt und dort Nebel bildet. Ändert sich die Windrichtung, wird dieser wieder zurück aufs Festland getrieben und kann dort selbst im Sommer Küstennebel bilden. Die Flugplätze an der Küste und auf den Inseln sind daher in ständiger Bereitschaft, da diese gefährlichen Wetterlagen sehr plötzlich auftreten können. Dichter Nebel führte einst zu einem der tragischsten Todesfälle im Wattenmeer vor Baltrum.
Vielleicht sind wir Menschen deswegen so fasziniert vom Himmel, weil er in seinem ewigen Wandel uns so ähnlich im Wesen ist. Zu diesem Schluss kommt jedenfalls Florian Illies im Zeit Magazin vom 12. Oktober 2017, das dem Himmel und seinem Gewölk eine eigene Ausgabe gewimet hatte:
Gerade war der Himmel noch blau. Und schon zieht ein Gewitter auf. Oder auch wieder vorüber. Wolken können heiter sein oder melancholisch. Dumpf oder tanzend. Und genau das ist der Grund, warum man so leicht in den Bann dieser Ansammlung von Wassertröpfchen über uns geraten kann: Sie sind ein Spiegelbild unserer selbst.
Wir tragen den Himmel in uns. “Du veränderst Dich ständig, der Himmel verändert sich ständig. Deshalb haben wir Dir diesen Namen gegeben: Sky.” Das sind die Worte einer alten Indianerin im bildstarken Roadmovie “Sky – Der Himmel in mir” mit Diane Kruger in der Hauptrolle einer jungen Frau, deren Leben sich unerwartet immer wieder in neue Richtungen entwickelt.
Veränderung, Wandel, frischer Wind. Ostfriesland Reloaded nimmt sich am Himmel ein Vorbild und pustet nach 50 Themenschwerpunkten einmal ordentlich durch. Vor genau drei Jahren, am 19. September 2016, ging der erste Beitrag online mit einer Bildreportage vom Emssperrwerk in Gandersum. Mit “Cloud Atlas oder der Himmel über Ostfriesland” endet heute ein erfolgreiches Kapitel in der Geschichte des Online-Magazins, das in jeder Ausgabe bestimmt war von einem leitenden Prinzip: ein Thema, beleuchet in vier Geschichten aus vier unterschiedlichen Perspektiven.
Weiter geht’s mit neuem Konzept: Kultur, Kunst und Köpfe
In Zukunft wird sich Ostfriesland Reloaded nicht mehr ganz so streng einem Leitthema unterordnen, sondern in lockerer Folge Menschen vorstellen, die Ostfriesland erst sein einzigartiges Gesicht geben. Seien Sie also gespannt auf unterhaltende Portraits interessanter Persönlichkeiten, die in dieser einmaligen Naturlandschaft ihr Zuhause haben und sie jeden Tag mit Leben und Kultur füllen. Selbstverständlich sind alle, die neuen Portraits wie die bereits erschienenen 200 Artikel, über die chronologische oder Schlagwortsuche auch weiterhin ganz leicht zu finden. Himmlisch, oder?
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