Ein Blick hinter die Kulissen mächtiger Sieltore im Deich

Das flache Land hinter den Deichen ist eigentlich wie eine große Badewanne. Wenn man nicht täglich den Stöpsel zieht und Wasser aus dem Binnenland in die Nordsee laufen lässt, dann läuft sie unweigerlich irgendwann voll. Damit das nicht passiert, hat man in Ostfriesland über Jahrhunderte ein ausgeklügeltes Entwässerungssystem entwickelt – eine kulturelle Hochleistung, die vielleicht noch mit den Terrassen der Inkas zu vergleichen ist, und den Menschen erlaubte, auf dem fruchtbaren Land hinter den Deichen zu siedeln und Ackerbau zu betreiben.

Zur automatischen Entwässerung bediente man sich eines Sieles. Dabei handelt sich um ein schweres Tor mit zwei Flügeln, die sich durch den Druck des bei Ebbe auslaufenden Wassers automatisch öffnen. Dadurch kann das Wasser aus dem Hinterland ablaufen. Bei Flut schließen sich dann die Tore durch den steigenden Wasserdruck wieder, so dass kein Salzwasser ins Landesinnere eindringen kann. Beim Auslaufen des Wassers vom Landesinneren in die Nordsee entstanden an den Sieltoren nach und nach sehr tiefe Rinnen im vorliegenden Watt. Entlang dieser schiffbaren Wasserwege bildeten sich dann die malerischen Sielhäfen, die heute die Küste Ostfrieslands prägen. Am Hafen von Neßmersiel kann man heute dieses Prinzip und die natürliche Ablaufrinne zur Nordsee noch gut erkennen.

Steigender Meeresspiegel: Die Zeitfenster werden immer enger

Häufig liegt die eigentliche Gefahr für die deutsche Küste nicht wie oft angenommen vor, sondern hinter den Deichen: Besonders in regenreichen Jahren säuft das Land hinter der Nordsee zunehmend ab. Vielleicht erinnert sich noch jemand an das Jahr vor dem Hitzesommer des letzten Jahres, als 2017 das gesamte Hinterland unter Wasser stand, die Kartoffeln auf ihren feuchten Äckern verfaulten, die Tiere nicht mehr im Freien grasen konnten, da sie mit allen Vieren knöcheltief im Nass standen.

Johann Meinen ist Siel- und Schöpfwerksmeister beim Entwässerungsverband Esens und verantwortlich für insgesamt fünf Siel- und Schöpfanlagen an der Nordseeküste. Auch für das von Dornumersiel, das aus historischen Gründe noch den Namen des alten Accumersiels trägt. Allein im Siel- und Schöpfwerk von Dornumersiel wird über ein 154 Kilometer langes Gewässernetz ein 14.000 Hektar großes Binnenland entwässert. Rund 60 Millionen Liter Süßwasser gelangen über das Siel bei jeder Niedrigwassertide hinaus in die Nordsee, das zweimal am Tag für zwei bis drei Stunden.

Ein Siel ist Teil eines Deiches und hat in diesem Gebilde eine doppelte Funktion: Es soll nach außen schützen und nach innen entwässern. Meinen: „Ich bin der Wächter zwischen süß und salzig.“ Manchmal ist aber soviel Wasser innen im Land, dass die Zeit nicht reicht. Dann muss er nachhelfen und pumpen. Er blickt auf mehr als 25 Jahre Berufserfahrung und war schon häufiger davon Zeuge, dass das Land hinter dem Deich unter Wasser stand.

Den Klimawandel kann Meinen jeden Tag an seinem Arbeitsplatz im Siel- und Schöpfwerk von Dornumersiel beobachten. Das Außenwasser vor dem Deich und den Sieltoren steht immer höher. Das Zeitfenster, in dem Wasser aus dem Inneren in die Nordsee lassen kann, wird dagegen immer kleiner. „Wir brauchen zur Entwässerung des Landes immer mehr und leistungsfähigere Pumpen. Auch muss die Statik der Sieltore auf die gewaltigeren Kräfte des Meeres abgestimmt sein.“

Der Entwässerungsverband rüstet derweil auf: Für die 60 Jahre alten Bauwerke steht eine Modernisierung dringend an. Die drei Pumpen von Dornumersiel wurden bereits erneuert, aber auch für Bensersiel sieht der Entwässerungsexperte Handlungsbedarf: Das mit zwei Deichläufen geschützte Innentief reiche allein bald nicht mehr aus, damit das Wasser gespeichert werden kann. Neuharlingersiel habe zwar zwei Pumpen, aber die seien beim Dauerregen des Herbstes 2017 auch nicht mehr nachgekommen.

Mangelndes Problembewusstsein

Es wird immer mehr Geld und immer mehr Energie nötig werden, um sich vor den Folgen des Klimawandels und steigender Meeresspiegel zu wappnen, darin sind sich die Experten einig. Dabei kommt den Salzwiesen in den Zukunftsszenarien des Küstenschutzes eine wichtige Rolle zu. Denn statt die Deiche und mit ihnen die Sieltore kostspielig zu erhöhen und zu verstärken, kann auch das Deichvorland genutzt werden. 300 Meter Salzwiese entsprechen in ihrer Wirkung ungefähr einem Meter Deichhöhe. Dieser Ansatz fügt sich auch gut in eine Strategie, die nicht mehr wie früher auf Landgewinnung und Eindeichen setzt, sondern auf Renaturierung von Salzwiesen und Zurückweichen.

Seit Jahrhunderten heißt es an der Nordseeküste: Wer nicht will deichen, der soll weichen. „Doch wie hoch wollen wir die Deiche noch bauen? Ab wann rentiert sich der Aufwand nicht mehr? Wie viele Pumpen wollen wir zu hohen Energiekosten in den Sielwerken noch laufen lassen? Ab wann ist es sinnvoller zu weichen?

Fragen, die sich Meinen immer wieder stellt. Das wäre für viele Küstenbewohner an der Nordsee ein totaler Umdenkungsprozess, meint er, doch für ihn durchaus ein mögliches Szenario der Zukunft. Er wünscht sich daher auch mehr Interesse von Einheimischen für seine regelmäßig stattfindenden Führungen: „Touristen, die bei mir waren, wissen oft mehr über Zusammenhänge als der Großteil der Bevölkerung, die von den Entwicklungen immerhin direkt betroffen ist.“

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Führungen durch die Schöpfwerksanlage Dornumersiel

Wer mehr erfahren will, der sollte die in der Saison fast jede Woche stattfindenden Führungen von Johann Meinen nicht verpassen. Hier kann man direkt vom Experten viel über die Zusammenhänge von Entwässerung und Küstenschutz erfahren.

Termine 2019: jeweils donnerstags um 17:00 Uhr am 06.06., 13.06., vom 04.07. – 19.09. und 10.10. – 31.10. 

Dauer: 1,5 – 2 Stunden

Treffpunkt: Schöpfwerkanlage, Haupttor, 26553 Dornumersiel

Kosten: 3,00 €, Kinder bis 12 Jahre frei

Mindestteilnehmerzahl: 5 Personen

Anmeldung: erforderlich

Tel. 04933-91110 (TI Dornumersiel)

Tel. 04933 – 879980 (TI Nessmersiel)

Kontakt:

Siel- und Schöpfwerkanlage
Hafenstraße
26553 Dornumersiel

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Ein Gedanke zu „Ein Blick hinter die Kulissen mächtiger Sieltore im Deich

  1. Sehr informativer Beitrag und ein toller Tipp ! Diese Führung werde ich beim nächsten Urlaub einmal mitmachen !

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