Pioniere der Altenrepublik: Blick ins Seniorenparadies Hage

Wenn man von Hage nach Norden fährt, dann kann man am Ortsausgang einen ganz besonderen Fuhrpark bewundern: Ein Elektro-Mobil nach dem anderen steht da, schön in Reih und Glied aufgereiht vor einem Privatgrundstück entlang des Fahrradwegs. In glänzendem Weinrot oder edlem Silber präsentieren sie sich, solide gebaut mit Sitzen aus schwerem Leder. Verkauft werden sie von Peter Krause im Rentner-Nebenerwerb. Gekauft werden die komfortablen Roller auf vier Rädern vor allen Dingen von Senioren. Sie wirken wie Vorboten auf eine Zeit, die uns bald alle in Deutschland einholen wird: Wir werden zur Republik der Alten. Und Mobilität wird ihr Problem, besonders auf dem Land, besonders in Ostfriesland.

Muehle Hage HochformatBesonders in Hage möchte man sagen. Denn der kleine Ort mit der höchsten Windmühle Ostfrieslands wird den demografischen Wandel sehr stark zu spüren bekommen. Davon gehen sämtliche Prognosen aus. So unterschiedlich sie im Detail sein mögen, alle Zahlen bestätigen den Trend: Die Senioren übernehmen – und das besonders stark in Hage in der Nähe von Norden.

Schon in 2016 betrug hier der Altersmedian 51,0 Jahre. Das ist ein statistischer Mittelwert, der das Alter und das Altern einer Bevölkerung anzeigt. Wer unter diesem Wert liegt, gehört zum jüngeren Teil der Bevölkerung, wer darüber liegt zum älteren. Das heißt, ein Fünfzigjähriger kann sich in Hage bereits heute zu den Jungen zählen.

Die Prognose für 2030 zeigt die weiter voranschreitende Alterung der Hager Bevölkerung: Denn bis dahin wird laut einem Demographiebericht der Bertelsmann Siftung der Altersmedian in Hage auf sagenhafte Höhen von 58,1 Jahre schnellen. Solche Zahlen hat noch nicht einmal Japan vorzuweisen, die am stärksten alternde Nation der Welt mit einem errechneten Altersmedian von 48,2 Jahren in 2020.

Eine starke Alterung geht meistens einher mit einer besonders starken Schrumpfung der Bevölkerung. Die kann ausgelöst sein durch eine Sterberate, die viel höher ist als die Zahl der Geburten. Das ist in Hage auch der Fall: 2016 standen 13,1 Sterbefällen pro tausend Einwohner 7,8 Geburten gegenüber, was zu einem Minussaldo von 5,3 pro tausend Einwohner führt. Geht es nur nach der Natürlichen Bevölkerungsentwicklung würden es also immer weniger Köpfe. Doch Hage schrumpft nicht.

Denn im Fall von Hage kommt ein anderes Phänomen dazu: ein ausgesprochen positiver Wanderungssaldo. 2016 standen 81,3 Fortzügen pro tausend Einwohner 92,8 Zuzüge gegenüber: ein sattes Plus von +11,5 pro tausend Einwohner. Hage hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten zu einem ländlichen Zentrum entwickelt mit sehr guten Einkaufs- und Freizeitangeboten. Hier zieht man gerne hin. Nicht nur Einheimische, sondern auch viele ehemalige Urlauber haben im Alter hier ihren Ruhesitz gefunden.

Und so kommt es, dass die Relative Bevölkerungsentwicklung für Hage insgesamt eine positive ist und auch weiter anhält: Laut der Bertelsmannprognose wird Hage zwischen 2012 und 2030 um fast sechs Prozent wachsen. Diese Entwicklung liegt im deutlichen Gegensatz etwa zum Gesamttrend im Landkreis Aurich, der einen Rückgang der Bevölkerungszahl in Höhe von 1,5 Prozent sieht. Auch für ganz Niedersachsen wird ein Bevölkerungsschwund in Höhe von 1,8 Prozent für den gleichen Zeitraum erwartet.

Jung und alt im Wandel

Community der aktiven Alten: Treffpunkt HeimatHafen

Hage entwickelt sich zunehmend zur Sun City Deutschlands. Viele Alte tummeln sich in einem Freizeit-, Ruhestands- und Ferienparadies, das sich optimal auf ihre speziellen Bedürfnisse eingestellt hat. Der ostfriesische Ort ist erfreulicherweise nicht ganz so exklusiv und kostspielig wie die amerikanische Rentneroase in Arizona. Hier kann man es sich gut einrichten und ist mehr oder weniger unter sich: Denn die Jungen sind bereits heute nur noch schwach vertreten und werden immer weniger: Von 2012 bis 2030 soll laut der Bertelsmann-Demografiestudie der Anteil der unter 18-Jährigen in Hage von 14,7 auf 12,9 Prozent fallen, der von 65-Jährigen und älter von 27,6 auf 37,2 Prozent steigen. Nur gut ein Zehntel ist dann noch jung, weit mehr als ein Drittel gehört schon zur alten Garde und die Zahl der ganz Alten hat auch erheblich zugenommen: Zwischen 2012 und 2030 wird Hage bei der ältesten Altersgruppe, der Generation 80+, einen Anstieg von fast 120 Prozent verzeichnen.

Helenenstift HageEine gewaltige Änderung der Altersstruktur für Hage, die sich heute bereits abzeichnet. So ist es eigentlich auch ganz stimmig, dass sich das lokale Pflege- und Betreuungszentrum für Senioren, das Helenenstift, mitten drin im Ort befindet und nicht abseits vom Geschehen. Fährt man durch die verkehrsberuhigte lang gezogene Hauptstraße des Ortes begegnen einem häufig die Elektro-Mobile von Herrn Krause. Es gibt viele Apotheken und einen sehr netten EDV-Dienstleister, der den mehrheitlichen Senioren im Ort gerne bei Problemen mit WLAN, Smartphone und Laptop zur Seite steht.

Das Helenenstift hat einen schönen Vorplatz, eine kulturell engagierte Leitung und so trifft man sich in Hage gerne zu Open-Air-Events vor dem Bau der Pflegeeinrichtung. Ein anderer Treffpunkt liegt gleich gegenüber: HeimatHafen heißt der und ist ein überaus gut besuchtes Café-Bistro, das im September 2017 unter der Regie des lokalen Pflege- und Betreuungszentrums eröffnet wurde. Es ist Teil eines Pilotprojektes mit dem Titel Wohn- und KulturRaum Hage, das als Antwort auf den demographischen Wandel ein integratives Wohn- und Beschäftigungszentrum im Ortszentrum etablieren will. Dazu gehören barrierefreie Wohnungen sowie offene Werkstätten – und der HeimatHafen als zentraler Anlaufpunkt.

Der Café-Bistro war von Anfang nicht nur auf die Teilnehmer des Pilotprojektes und deren Angehörige beschränkt, sondern öffentlich für jedermann. Damit wurde der HeimatHafen schnell zu einem Kommunikationszentrum für den ganzen Ort. Das Ambiente ist modern, die Preise für Getränke und Essen günstig, es gibt einen täglichen und erschwinglichen Mittagstisch, dazu Kurse und Veranstaltungen. So kann jeder, wenn er möchte, egal ob alt oder jung, dabei sein, und damit mitten drin im Leben.

Denn genau das ist es, was alle Konzepte rund um den demografischen Wandel sicher stellen müssen: die soziale Integration der Menschen. In Hage kann man wie unter einem Brennglas den demografischen Wandel und seine Folgen beobachten. Wie lebt es sich in einer Gemeinschaft der Alten? Was macht es mit den Menschen? Auch mit den Jungen? Welche Infrastruktur braucht es in 2030 für ein gelunges Gemeinwesen aus lauter Greisen, um es mal ein wenig überspitzt zu formulieren?

Hage leistet da echte Pionierarbeit, ein einziger großer Feldversuch. Eins ist sicher: Die Wissenschaft wird bald neugierig werden auf diesen kleinen Flecken in Ostfriesland.

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Alter-ein Puppenspiel

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Quellen und Zahlen

Demographiebericht: Ein Baustein des Wegweisers Kommune, wegweiser-kommune.de, Bertelsmann Stiftung, 2013

 

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