… Johann Saathoff, Ostfrieslands Stimme in Berlin. Seine Rede auf Plattdeutsch im Deutschen Bundestag hat ihn vor einem Jahr bundesweit bekannt gemacht: Damit konterte er in öffentlicher Debatte gewitzt einen Gesetzesantrag der AfD, die Deutsch als Landessprache festlegen wollte. Ostfriesen haben eben Humor. Schön, wenn er so intelligent daher kommt wie in diesem Fall. „Zukunft Ostfriesland“ ist seine Mission und steht in großen Lettern unter seinem Namen auf der persönlichen Webseite des SPD-Politikers. Wen kann man zum Thema Zukunft und Wandel in Ostfriesland also besser fragen als den Bundestagsabgeordneten Johann Saathoff?
Ostfriesland Reloaded: Herr Saathoff, werden Sie heute eigentlich noch auf Ihre legendäre Rede vom 2. März 2018 im Deutschen Bundestag angesprochen? Hat das Plenum in Berlin Sie damals überhaupt verstanden?
Johann Saathoff: Auch die, die nicht Plattdeutsch sprechen, haben mich schon verstanden: dass es gerade die Vielfalt an Sprachen ist, die den Reichtum Deutschlands ausmacht. Das Überraschende für mich am Rednerpult war, dass nicht nur die eigene Fraktion Beifall gab, sondern dass plötzlich von ganz links bis zum konservativen Flügel der CSU der Beifall aus fast allen Fraktionen kam. Noch viel beeindruckender waren aber die Reaktionen, die nach der Rede entstanden sind. Ich habe Tage gebraucht, um auf meine sozialen Netzwerke wieder zugreifen zu können, habe unendlich viele Mails und Briefe bekommen. Dieser Zuspruch war überwältigend für mich.
Ostfriesland Reloaded: Neben dem Plattdeutschen als Schlüsselqualifikation eines Politikers in Ostfriesland haben Sie noch andere, recht ungewöhnliche Talente – wie beispielsweise das Schlickschlittenfahren. Wie wird man denn zum mehrfachen Weltmeister in dieser seltenen Disziplin?
Johann Saathoff: Als ich 2003 Bürgermeister der Krummhörn wurde, war mir sehr wichtig, dass die Verwaltung die „Schlickschlittenrennen Wältmeisterschaften“ in meiner Gemeinde nicht nur begleitet, sondern sich auch aktiv daran beteiligt, mich mit eingeschlossen. Was das ZDF in einem Fernsehbeitrag damals zu dem Einstieg brachte: „Kaum sechs Wochen im Amt, schon hat er die Karre im Dreck“. Seitdem bin ich jedes Jahr mit dabei, wenn die große Benefizveranstaltung am Außendeich von Upleward startet. Anfangs war das alles noch bescheiden, mittlerweile ist das Event im Schlick ja Kult, eine Attraktion in Ostfriesland. 2018 hat das Team „Rathaus“ übrigens nicht so gut abgeschnitten wie im Jahr zuvor, als wir als Gesamtsieger aus dem Watt stiegen. Mit über 50 Jahren ist der Spaß heute auch deutlich anstrengender für mich. Da kommt schon manchmal der Gedanke ans Aufhören, aber ist dann auch schnell wieder weg.
Ostfriesland Reloaded: Die Region des historisch-politischen Ostfrieslands wird heute in drei Wahlkreisen im Deutschen Bundestag repräsentiert. Ihr Wahlkreis 24 umfasst den Landkreis Aurich und Emden. Die ostfriesische Stadt Leer und Borkum gehören aber zum Wahlkreis Unterems und damit zum Emsland. Wittmund und Harlingerland sind wiederum Teil eines großen Wahlkreises, der Wilhelmshaven, Friesland, Jever und Varel umfasst. Das sind alles nicht gerade ur-ostfriesische Gebiete. Ein ganz schönes Ostfriesland-Puzzle, oder?
Johann Saathoff: Ja, es ist auch so, dass sich Wahlkreise zum Teil überschneiden, wenn man den Zuschnitt für die Bundestagswahl in Berlin und den für die Landtagswahl in Hannover betrachtet. Insgesamt ist aber die Anzahl der Personen, die in den überregionalen Parlamenten Ostfriesland vertreten, überschaubar. Man kennt sich, man redet miteinander, man versteht sich auf Platt. Übrigens finden sie nicht nur im Berliner Parlament, sondern auch in den Ministerien, mindestens einen, der aus Ostfriesland kommt. Am Ende gibt es eine ostfriesische Solidarität, wenn es um die Durchsetzung ostfriesischer Interessen geht, das können unsere Wähler auch erwarten. Zudem sehe ich es auch als meine Aufgabe an, dafür zur sorgen, dass es bei der Ausbalancierung unterschiedlicher Interessen einen ostfriesischen Weg gibt.
Ostfriesland Reloaded: Ihr Wahlkreis gehört zu den eher dünn besiedelten Flecken Deutschlands. Mit Emden, Aurich und Norden gibt es darin nur wenige, relativ kleine Städte. Die meisten Ihrer Wähler leben auf dem Land. Wie kann man deren Anliegen in Berlin vertreten, ihnen eine Stimme geben?
Johann Saathoff: Ich bin im Landwirtschaftsausschuss zuständig für die Entwicklung ländlicher Räume. Ein zentrales Thema ist dabei die „Wertschöpfung“. Das bedeutet, dass landwirtschaftliche Produkte, die in einer Region produziert werden, wie Milch oder Fleisch, zu etwas Höherwertigem veredelt werden. Es geht um landwirtschaftliche Ernte, aber über diese hinaus um die Verarbeitung und Aufwertung des von Land und Tier Gewonnenen. Für Produkte aus ostfriesischer Landwirtschaft dreht es sich letztendlich darum, eine Marke „Made in Ostfriesland“ zu entwickeln: Ostfriesischer Käse oder Ostfriesischer Joghurt etwa, die ihren Mehrwert aus dem regionalen und ökologischen Anbau erzielen und deren Qualität durch gutes Marketing bekannt wird – in Ostfriesland und darüber hinaus.
Das Produkt Milch steht also am Anfang einer Wertschöpfungskette, die am Ende mehr ist als die Liter gemolkene Milch. Das ist nur ein Beispiel. Wir müssen so etwas wie eine ostfriesische Marketingstrategie entwickeln. Auf politischer Ebene haben wir schon einige Förderprojekte und Initiativen auf den Weg gebracht, die diesen Ansatz zur Wertschöpfung unterstützen wie beispielsweise BULE (Bundesprogramm Ländliche Entwicklung).
Ostfriesland Reloaded: Ländliche Räume haben die gesunde Umwelt naturgemäß als großen Pluspunkt vorzuweisen. Auf dem Dorf leben kann heute eine durchaus moderne und attraktive Alternative sein, vorausgesetzt das Internet und der Mobilfunk machen mit. Wie stehen hier die Dinge in Ostfriesland?
Johann Saathoff: Politik für ländliche Räume ist mehr als nur Politik für die Landwirtschaft. Wer gutes Leben und Arbeiten auf dem Land gewährleisten will, der muss sich auch um die Infrastruktur vor Ort kümmern: um den Ausbau von Straßen, Wege und Plätze. Vor allen Dingen gehört dazu heute auch eine leistungsfähige IT-Infrastruktur wie Breitband-Technologien für privates wie berufliches Internet. Denn gerade die Digitalisierung bietet für ländliche Räume erhebliches Potential, Firmen und kreative Menschen zum Arbeiten in eine Gegend zu locken, in der man sonst nur Urlaub macht.

Es ist in Ostfriesland mittlerweile möglich, jede Ausbildung zu bekommen bis hin zum Universitätsabschluss. Doch nach dem Studium zieht es die Absolventen mangels beruflicher Möglichkeiten meist weg. Das war bei meinen eigenen Kindern nicht anders. Das gilt es zu ändern, es gilt Startups und innovative Unternehmen für Ostfriesland zu begeistern. Die Digitalisierung ist hier eine große Chance um junge Menschen nicht nur eine gute Ausbildung, sondern auch interessante berufliche Optionen in ihrer Heimat zu ermöglichen. Das ist ein Schlüsselthema der Zukunft.
Ostfriesland Reloaded: Der demografische Wandel in Deutschland macht auch nicht vor Ostfriesland halt. Wie begegnen Sie der Alterung Ihres Wahlkreises? Was sind die größten Herausforderungen?
Johann Saathoff: Die Auswirkungen des demografischen Wandels sind in Ostfriesland noch andere als beispielsweise in Städten. Dort geht der Wandel auch einher mit Entwicklungen wie Individualisierung, manchmal auch Vereinsamung. Wir haben in Ostfriesland schon eine stärkere Sozialstruktur als das zum Beispiel in meinem Zweitwohnsitz in Kreuzberg der Fall wäre. Der demografische Wandel stellt uns in Ostfriesland besonders bei der Mobilität unserer Bevölkerung vor eine große Zukunftsaufgabe. Denn es muss auch im ländlichen Raum möglich sein, Entfernungen zu meistern, und das in jedem Alter. Das ist ein Teil öffentlicher Daseinsvorsorge. Hier sind wir auch gefordert mit innovativen Modellen voran zugehen. Ich denke da etwa an Mitfahrmodelle und ähnliche Konzepte.
Ostfriesland Reloaded: Zu ihrem Wahlkreis gehört mit Aurich auch der Landkreis, der bundesweit die höchste Dichte an Windenergieanlagen vorweist. Wie sehen Sie die weitere Entwicklung der Windkraft für Ostfriesland? Welche Chance steckt darin für die Region? Wie verträglich wird dieses für Umwelt und Bevölkerung sein?
Johann Saathoff: Es stehen nicht nur viele Windenergieanlagen in Ostfriesland, es werden hier auch jede Menge davon produziert. Windenergie ist ein ostfriesischer Exportschlager und darauf können wir stolz sein. Mich freut es jedenfalls immer, wenn ich im Berliner Umfeld eine Anlage sehe, die aus Ostfriesland stammt. In Ostfriesland selbst sind natürlich auch viele Anlagen zu finden. Ich würde auch sagen, dass wir in Ostfriesland an der ein oder anderen Stelle durchaus die Grenze des Zubaus an Windenergieanlagen erreicht haben. In anderen Teilen gibt es aber durchaus noch Potentiale, die erschlossen werden können.
Allerdings haben wir im neuen Jahrzehnt rund um die Windenergie auch viele neue Herausforderungen zu meistern. Laut dem Erneuerbaren Energien-Gesetz werden bald Windenergieanlagen aus der Förderung herausfallen, nicht jede kann und wird durch neue ersetzt werden. Da gilt es Mittelwege zu finden in Rücksprache mit den Gemeinden, auch und ganz besonders in Ostfriesland.
Deutschlandweit, ich bin ja für Energiepolitik in ganz Deutschland zuständig, spielt die Windenergie für die Energiewende in Bayern und Baden-Württemberg eine große Rolle. Wenn dort alle Kohle- und Atomkraftwerke abgestellt sind, werden da riesige Bedarfe an erneuerbaren Energien entstehen. Wenn dort aber weiterhin kaum zugebaut wird, dann werden wir eine geteilte Preisentwicklung für Strom in Zukunft haben: in Norddeutschland sauber und extrem billig, und in Süddeutschland nicht sauber und extrem teuer.
Die erneuerbaren Energien, und hier ganz besonders die Windenergie, sind für Ostfriesland eine großartige Perspektive. Denn das lässt sich festhalten: Industrie folgt Energie. Das sieht man auch an der Geschichte des Ruhrgebiets. In den nächsten Dekaden wird es Norddeutschland sein, das durch seine ungeheuren erneuerbaren Energiereserven einen wirtschaftlichen Aufschwung erfährt.
Ostfriesland Reloaded: Nicht nur in Sachen Windenergie, auch in Fragen der Elektromobilität scheint sich Ostfriesland zu einer Modellregion zu entwickeln. Wie stehen Sie zu der Ankündigung des Volkswagenkonzerns, die ersten Elektromodelle in Ostfriesland zu produzieren?
Johann Saathoff: Ich begrüße es, dass VW sich entschlossen hat, die Stadt Emden zum Leitwerk für die zukunftsweisende Elektromobilität zu machen. Auch vor dem Rahmen europäischer Gesetzgebung und Emissionsrichtlinien geht die Zukunft der Automobilbranche in diese Richtung, verspricht das Elektro-Einstiegsmodell aus ostfriesischer Produktion vielleicht sogar der neue „Volkswagen“ zu werden. Außerdem, nicht nur das Auto aus dem Hause VW ist dann umweltschonend, auch die Produktion desselben. Denn die wird mit Energie aus Windkraft gefertigt.

Ostfriesland Reloaded: Wenn Sie die Augen schließen und sich zehn Jahre voraus in die Zukunft denken, ins Jahr 2030. Welches Ostfriesland sehen Sie da vor sich?
Johann Saathoff: Ich sehe ein Ostfriesland, dass eine Vorbildregion für Erneuerbare Energien ist. Eine Region, die nicht zu Lasten anderer Generationen Energie produziert. Ich sehe eine Region, in der Menschen gerne Urlaub machen wollen. Ich sehe vor allen Dingen auch eine Region, in der junge, innovative Unternehmer erkannt haben, dass Ostfriesland eine gute Perspektive ist, weil sie in einer gesunden Umwelt leben, vernünftige Menschen um sich haben und mit einem guten ökologischen Fußabdruck wirtschaften können. Ich sehe eine florierende Gegend, in der es Spaß macht, zu leben. Eine Region, die aber ihre ostfriesischen Besonderheiten bei aller Weiterentwicklung Richtung Zukunft und Moderne immer auch behält.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Saathoff!
Und noch etwas
Johann Saathoff ist seit 2013 im Deutschen Bundestag. Am 24. September 2017 wurde der SPD-Politiker mit 49,6 Prozent direkt wieder in das Berliner Parlament gewählt. Sein Wahlkreis 24 erstreckt sich auf ausschließlich ostfriesischem Gebiet: Er zieht sich die ganze Küste entlang von Emden im Süden über die Krummhörn nach Norddeich bis Dornumersiel, umfasst die drei ostfriesischen Inseln Juist, Norderney und Baltrum sowie den Landkreis Aurich mit Norden. Der 51jährige und fünffache Familienvater wurde in Emden geboren. Der Diplom-Verwaltungswirt lebt heute in Pewsum in der Krummhörn, deren Bürgermeister er von 2003 an für viele Jahre war. Seit dem 19. Februar 2018 ist er Vorsitzender der Landesgruppen Niedersachsen / Bremen in der SPD-Bundestagsfraktion. Außerdem hat er einen Sitz im Ausschuss für Landwirtschaft und Ernährung sowie im Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Dort ist er der stellvertretende Sprecher der Arbeitsgruppe und energiepolitischer Koordinator der SPD-Bundestagsfraktion. Zudem ist er Berichterstatter für Maritime Wirtschaft.
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Bei dem gepriesenen Einstieg in die Elektromobilität wurde leider nicht erwähnt, dass dann mehr als 7000 Arbeitsplätze in Hannover und Emden wegfallen. Eine Katastrophe für die Region Ostfriesland. Wie man die missglückte “Energiewende” die so teuer ist, dass letztes Jahr 340 tausend Haushalte mit einer Stromsperre belegt wurden, und die ostfriesische Landschaft massiv zerstört hat, so preisen kann, mag verstehen, wer will. Das alles im Namen des CO2 von einem , der gerne und viel fliegt………