Mit dem Nachnamen hat man es über viele Jahrhunderte in Ostfriesland nicht so genau genommen, denn sie waren bis Napoleon sie einführte, einfach nicht gebräuchlich. Man rief sich beim Vornamen, und wenn es dann doch mehrere Frauen oder Männer gleichen Vornamens gab, dann half der Name des Vaters, den man dann einfach hinten dran hing: Es herrschte die so genannte patronymische Namensvererbung. Bei diesem Prinzip ist der Vorname des Vaters entscheidend und wird als Bestandteil des Nachnamens weitergeführt. So wurde beispielsweise aus einem Peter, dessen Vater Jan hieß, ein Peter Jans-sen (Jans seiner).
Bis heute haben viele Ostfriesen noch Nachnamen, die Abwandlungen von männlichen Vornamen sind wie etwa Johanssen (von Johann), Eilerts (von Eilert), Dirks (von Dirk), Hinrichs, Harms, Oltmanns oder Martens. So wird zum Beispiel aus dem Sohn von Jan Oltmanns ein Dirk Janssen und aus dessen Sohn dann später ein Eilert Dirks. Aus dem Nachnamen sind für Ahnenforscher also nur schwer familiäre Zusammenhänge zu erkennen. Das galt im Übrigen auch für die ostfriesischen Töchter. Die Vererbung des väterlichen Vornamens war nicht an das männliche Geschlecht gebunden, sondern war gleichermaßen für die weiblichen Nachfahren üblich. So wurde beispielsweise aus einem Gretchen, dessen Vater Oltmann hieß, Gretchen Oltmanns.
Einer der häufigsten Nachnamen in Ostfriesland ist Janssen oder Jansen. Wenn man(n) dann auch noch den sehr geläufigen Vornamen Hans oder Johannes trägt, dann wird es mit der Unterscheidung schwierig und der Ostfriese erfinderisch:
Berühmt, weil er seine Uhrmacherwerkstatt dem Heimatmuseum in Esens vermacht hat, ist Hansi Tick-Tack, dessen amtlicher Name eigentlich Johannes Janssen lautete. Wie heißt also ein Hans Janssen, der ein Fahrradgeschäft betreibt? Logisch, Hansi Rad. Es gab in Esens auch noch einen Johannes Jansen alias Hannes Büro, da dieser seinen Schreibtisch bei einem Rechtsanwalt hatte, oder einen zweiten Mann gleichen Namens, der unter dem Spitznamen Hannes Montan eine Tankstelle betrieb. Dann war da noch ein Mann mit Namen Johann Jansen, der Bauer war. Der hieß dann Janbur. Ebenfalls sehr sprechend auch der Name Hugo Banan (mit Betonung auf der zweiten Silbe). Der stand für Hugo Jansen, der, jawohl, durch sein Obst- und Gemüsegeschäft bekannt wurde und hoffentlich auch viele Bananen verkaufte.
So außergewöhnlich wie die Vererbung des väterlichen Vornamens an die nächste Generation sind auch die ostfriesischen Namen selbst. Von Aafke bis Zetje reicht eine lange Liste weiblicher Vornamen, von denen sich viele in den Ohren der meisten Deutschen doch sehr gewöhnungsbedürftig anhören. Beene, Fee, Feuke oder Jantje sind weitere klingende Beispiele alter ostfriesischer Frauennamen. Für Männer gibt es ähnlich ungewöhnliche Vornamen wie etwa Deeke, Fokke, Göke oder Ubbo. Heute findet sich in Ostfriesland der gleiche Namen-Stilmix wie im Rest der Republik, auch hier gibt es selbstverständlich eine Leonie oder einen Maximilian. Doch hin und wieder tauchen sie noch auf – die uralten Namen, die so fremd klingen und an ferne germanische Welten und alte Wikingergeschlechter erinnern. Wer genauer wissen will, was sich hinter der Namengebung in Ostfriesland verbirgt, dem empfiehlt sich ein Buch von Manno Peters Tammena, das im Detail deren Ursprung, Entwicklung, Niedergang beschreibt.
Plattdeutsch – eine Art Schlüsselqualifikation in Ostfriesland
Sprache prägt, Sprache verbindet, Sprache grenzt andere auch aus: Ostfriesland hat seine eigene Sprache, das Platt, das Identität und Zugehörigkeit stiftet. Klar, deutlich, jedermann verständlich bedeutet Plattdeutsch im ursprünglichen Sinne. Die erste Erwähnung des Wortes findet sich in einem Neuen Testament 1524 in Delft gedruckt. Es war „im goede(n) platten duytsche“ verfasst, in der Sprache des Volkes eben und nicht in Latein. Platt hat also begrifflich nichts mit dem Wort flach oder platt wie das Land zu tun und schon gar nichts mit einer platten, heißt einer primitiven oder dummen Ausdrucksweise, wie manchmal fälschlich interpretiert.
Legendär ist der Auftritt von Johann Saathoff im Deutschen Bundestag, der im März 2018 einen Antrag der AfD, die Deutsch als Landessprache per Gesetz festschreiben wollte, höchst amüsant auf Plattdeutsch konterte : “Düütschland word nich armer durch anner Spraken.” Die Rede des SPD-Abgeordneten aus dem Wahlkreis Aurich – Emden brachte Plattdeutsch und Ostfriesland bundesweit für einen kurzen Moment in die Schlagzeilen des Tages. Saathoff erklärte dem schmunzelndem Parlament in Berlin weiter: “Dat dat beter is, wenn man mit de Lüü, de direkt mit een to doon hebben, ok in Plattdüütsch proten kann. Dat is so en Aard Slötelqualifikation; man mutt en gemeensaam Spraak hebben, daarmit man sük tegensiedig ok unnerhollen kann un mitnanner ok proten kann un sük versteiht.”
Plattdeutsch, das zur Familie der niederdeutschen Sprachen gehört, verstehen und sprechen in Ostfriesland noch immer viele Menschen, aber nicht mehr jedes Kind: 60 bis 87 Prozent der über 40jährigen beherrschen Platt, doch nur noch 21 Prozent der unter 20jährigen. Wenn es auch immer weniger sprechen, so verstehen es aber noch die meisten – auch die Jungen. Bei einer Umfrage an Gymnasien in Ostfriesland von 2002 bis 2006 gaben immerhin 80 Prozent der Schüler an, Platt zu verstehen. 2012 wurden im Rahmen eines Modellprojektes in ausgewählten Grundschulen sogar wieder einige Fächer auf Plattdeutsch unterrichtet.
Wobei Platt nicht gleich Platt ist. In nahezu jedem Ort wird ein anderes Plattdeutsch gesprochen, gibt es andere Wörter, eine andere Aussprache. Generell kann man zwei Hauptgruppen unterscheiden: Das Harlingerländer Platt ist im östlichen Teil von Ostfriesland anzutreffen. Hier heißt es plattdeutsch schnacken, wenn von sprechen die Rede ist. Im westlichen Teil Ostfrieslands kommt das Platt dem niederländischen, dem Groninger Platt, sehr nahe. Dort ist das plattdeutsche Wort für sprechen dann auch proten, was dem praten der Niederländer sehr ähnelt.
Wer möchte, kann sich auch auf Plattdeutsch trauen lassen. Eine Predigt auf Platt ist heute nicht der Standard und etwas, was nicht mehr viele Pastor*innen beherrschen. Dennoch, ab und an kann man solch eine Trauung auch heute noch erleben – in der Sprache, in der in Ostfriesland seit Jahrhunderten Paare den Bund fürs gemeinsame Leben eingingen. Ja, die „Levste“, die Liebe, ist immer noch die größte unter allen und größer als Glaube und Hoffnung.
Plattdeutsch – gelebtes Kulturgut bis heute
Wie auch in anderen Teilen Deutschlands hat man die Bedeutung der lokalen Dialekte wieder erkannt und versucht diese als einmalige Kulturgüter einer Region vor ihrem Untergang zu bewahren. Das gilt auch für das ostfriesische Platt. Es gibt mittlerweile in allen Gemeinden, Kreisen und Städten Ostfrieslands Plattdeutschbeauftragte. Besonders die Ostfriesische Landschaft kümmert sich sehr intensiv darum, ostfriesisches Kulturgut und damit insbesondere die Sprache in das Bewusstsein der Bevölkerung zu bringen.
Schon kleine Kinder werden mit der plattdeutschen Sprache vertraut gemacht, wie etwa mit “Mark di dat”, einem Gedächtnisspiel für Kindergärten und Grundschulen, das 2017 herausgebracht wurde. Sehr praktisch ist auch der Online-Übersetzer, das Plattdeutsch-Hochdeutsche Wörterbuch der Ostfriesischen Landschaft, quasi das “LEO” für Ostfriesland. Das Programm des Plattdüütskbüros reicht von Sprachkursen für jedermann, speziellen Schulangeboten bis zu großen Veranstaltungsreihen, die die ganze Region mobilisieren. So immer im September, dem Plattdüütskmaant, dem Monat des Plattdeutschen. Es werden sogar Poetry-Slams auf Plattdeutsch veranstaltet.
Sehr sichtbar zeigen auch die in der Region immer öfter anzutreffenden zweisprachigen Straßenschilder: Wir befinden uns im Tweespraakenland. Ein Trend, der schon seit geraumer Zeit zu beobachten ist, so die Ostfriesische Landschaft. Die Doppelnamen sollen die starke Identität der Ostfriesen mit Kultur und Geschichte ihrer Region ausdrücken. Mehrere Ortschaften in der Krummhörn wollen laut einem Bericht der dpa nun nachziehen, und ihre Straßenschilder mit hoch- wie plattdeutschen Namen versehen, wie etwa Greetsiel oder Pilsum. Eines demonstrieren die vielen Initiativen und Projekte auf jeden Fall: Plattdeutsch ist in Ostfriesland lebendiges und vor allen Dingen gelebtes Kulturgut.
***
_______________________
Kleiner Exkurs für Nicht-Ostfriesen
Wer in Ostfriesland unterwegs ist, der wird es ständig hören: das Moin. Damit begrüßt man sich zu jeder Tages- und Nachtzeit. Moin bedeutet nicht Morgen, wie oft vermutet wird. Der Begriff stammt vom moi, einem plattdeutschen Wort, das gut oder schön bedeutet. Mit Moin wünscht der Ostfriese also seinem Gegenüber zur Begrüßung alles Gute für den Tag.
In das Plattdeutsche haben sich auch französische Begriffe aus der Zeit Napoleons eingeschlichen. So heißt es beispielsweise: Daar gifft keen Pardon för. Das heißt übersetzt: Das kann man nicht entschuldigen.
Viele plattdeutsche Wörter lassen sich eigentlich ganz gut verstehen. So wird aus einem au einfach ein u, das Haus somit auf plattdeutsch zu einem Hus. Oder aus einem ei wird ein i/ie, aus einem z ein t, was aus dem Wort Mahlzeit dann etwa ein Mahltied macht. Das pf wird zum p, wie das Pferd zum Perd, das ch zu k, wie das ich zu ik. Schwieriger wird es schon mit Begriffen, die keine Entsprechung im Hochdeutschen haben. Bottervögel sind beispielsweise Schmetterlinge, hinter Sünnuptreken versteckt sich der Sonnenaufgang. Wer sich auf platt verabschiedet, der wirft fröhlich in den Raum:
Holl di munter! Bleib gesund!
***
Der digitale Hut: Ostfriesland Reloaded gefällt mir!
Ostfriesland Reloaded ist nicht kommerziell. Durch den Verzicht auf Werbung können Sie sich ganz auf den Inhalt konzentrieren: Auf spannende Themen, unterhaltsame Texte und faszinierende Bilder. Gefällt Ihnen Ostfriesland Reloaded? Dann können Sie freiwillig dafür 1 Euro spenden – oder auch mehr. Die Anzahl der Euros können Sie über die Pfeile steuern oder direkt im Kasten ändern. Vielen Dank für Ihre Wertschätzung.
1,00 €