… Rico Mecklenburg, dem Präsidenten der Ostfriesischen Landschaft. Denn wer über Heimat und Ostfriesland nachdenkt, der kommt an dieser in Deutschland einmaligen Institution nicht vorbei: „Die Ostfriesische Landschaft ist berufen, auf der viele Jahrhunderte alten Grundlage der Selbstbestimmung und Selbstverwaltung zum Wohle ganz Ostfrieslands und aller seiner Bewohner überparteilich zu wirken und heimatliche Interessen wahrzunehmen.” So steht es geschrieben in ihrer Verfassung. Ihr Präsident ist sozusagen Ostfrieslands „Heimatminister“. Wen kann man zum Thema also besser fragen als den Amtsinhaber, Rico Mecklenburg?
Ostfriesland Reloaded: Herr Mecklenburg, genau genommen gibt es Ostfriesland ja gar nicht mehr, jedenfalls nicht als eigenständige politische Verwaltungseinheit. Dennoch ist Ostfriesland in den Köpfen sehr präsent und sehr lebendig. Welchen Anteil hat die Ostfriesische Landschaft daran?
Rico Mecklenburg: Ostfriesland hat bundesweit einen hohen Bekanntheitsgrad, und die Bevölkerung hier identifiziert sich mit dem Namen Ostfriesland, der überall präsent ist. Außerdem dürfen wir nicht vergessen, dass jedes Jahr Hunderttausende Urlauber nach Ostfriesland und auf die ostfriesischen Inseln reisen. Auch ihnen ist die Region oft bestens bekannt. Wir fördern dieses, wo es uns möglich ist. Dabei knüpfen wir an eine Tradition als staatliche Vertretung an. Die moderne Landschaft als Höherer Kommunalverband der Landkreise Aurich, Leer, Wittmund und der kreisfreien Stadt Emden fühlt sich verpflichtet, zum Wohle der Region zu wirken.
Unsere Landschaftsversammlung ist eine demokratisch legitimierte, parlamentarische Vertretung der ostfriesischen Bevölkerung. Das ist in Deutschland in dieser Form und mit diesem Hintergrund einmalig. Wir setzen uns für Ostfriesland ein und erfüllen Aufgaben auf den Feldern der Kultur, der Wissenschaft und der Bildung. Wir fördern diese Bereiche, auch mit Mitteln und im Auftrag des Landes Niedersachsen. Die Ostfriesische Landschaft wahrt als Hüterin der friesischen Überlieferung zudem die geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge des friesischen Küstenraumes und pflegt die Verbundenheit mit allen Friesen innerhalb und außerhalb Europas.
Ostfriesland Reloaded: Das Interesse an der Heimat war noch nie so groß wie Heute. Haben Sie auch eine Veränderung bemerkt? Ist das Interesse für die heimische Kultur und Geschichte bei Ostfriesen in den vergangenen Jahren größer geworden? Oder war sie schon immer da?
Rico Mecklenburg: Ja, das ist so. Das Interesse an Heimat, die Orientierung und Vertrautheit bietet, ist in unserer globalisierten und schnelllebigen Welt allgemein größer geworden. In Ostfriesland war das Interesse an heimischer Kultur, Tradition und Geschichte allerdings immer schon groß. Es ist allerdings tatsächlich weiter gewachsen. Einige Beispiele: Flüchtlinge suchen eine neue Heimat – die Landschaft beteiligt sich an dementsprechenden Projekten. FrauenLeben in Ostfriesland: Durch Vorarbeit der Ostfriesischen Landschaft ist eine inzwischen vom Land geförderte Modellregion entstanden. Und auch die Aufwertung, Öffnung und Sanierung historischer Stätten, wie jüngst der Upstalsboom in Aurich, das Großsteingrab in Tannenhausen oder das Steinhaus in Bunderhee stoßen in der Bevölkerung auf eine breite Beachtung und Zustimmung.
Ostfriesland Reloaded: Heimatliche Interessen wahrzunehmen, ist Ihr Auftrag. Wo hat die Ostfriesische Landschaft Schwerpunkte in dem weit gespannten Feld gesetzt?
Rico Mecklenburg: Schwerpunkte der Arbeit sind die Archäologie, und zwar der archäologische Dienst und das archäologische Forschungsinstitut, die Regionale Kulturagentur, der Museumsverbund Ostfriesland, die Volkskunde, Arbeitskreise beim Regionalen Pädagogischen Zentrum (RPZ) und nicht zuletzt im Tweespraakenland (Zweisprachenland) das Plattdüütskbüro. Außerdem ist die Landschaftsbibliothek als wissenschaftliche Regionalbibliothek mit der umfassendsten Sammlung an Ostfrisica zu nennen. Eine enge Zusammenarbeit mit dem Standort Aurich des Niedersächsischen Landesarchivs ergänzt diese Arbeit. Dabei ist uns die öffentliche Präsentation durch Schriften, regelmäßige Vorträge und Veranstaltungen in all diesen Bereichen ein Anliegen.

Ostfriesland Reloaded: Heimatkunde ist das Vergewissern der eigenen Wurzeln, seiner Natur nach also eher historisch angelegt. Gleichzeitig ist Heimat sehr präsent. Wie schafft die Ostfriesische Landschaft den Spagat zwischen Tradition und Moderne?
Rico Mecklenburg: Die Ostfriesische Landschaft ist eine einzigartige Institution mit einer großen Tradition. Zugleich ist sie heute eine zeitgemäße Dienstleistungseinrichtung, in der wenige hauptamtliche Kräfte zahlreiche ehrenamtlich Wirkende auf unterschiedlichen Gebieten einbinden. Die Tradition ist unser Hintergrund, die heutigen Aufgaben sind unsere Herausforderungen, denen wir uns stellen. Eine ganz wichtige Aufgabe ist es, für ein reichhaltiges kulturelles Angebot in der Region zu sorgen, dieses bekannt zu machen und zu fördern. Mit den Gezeitenkonzerten veranstalten wir jährlich im Sommer ein eigenes Festival mit mehr als 30 Konzerten, überwiegend mit Kammermusik in Kirchen und anderen besonderen Orten. Zahlreiche weitere kulturelle Veranstaltungen werden von der Ostfriesischen Landschaft gefördert oder beispielsweise – selbst organisiert – im Landschaftsforum angeboten.
Ostfriesland Reloaded: Zum Überleben einer Kultur gehört ganz wesentlich die Weitergabe des traditionellen Wissens, vor allen Dingen an die nächste Generation. Welche Rolle spielt dieses in Ihrem Haus? Auch das Wissen um die Sprache der ostfriesischen Heimat, das Platt?
Rico Mecklenburg: Im Bildungsbereich besteht seit über 40 Jahren unser Regionales Pädagogisches Zentrum (RPZ), das mit mehr als 30 Arbeitskreisen und dem „Kompetenzzentrum für Lehrkräftefortbildung“ Bildungsarbeit in der Region leistet – zuständig für über 200 Schulen. Auch die Arbeit der „Bildungsregion Ostfriesland“ wird durch das RPZ organisiert und gesteuert.
Für den Erhalt und die Förderung der plattdeutschen Sprache haben wir unser Plattdeutschbüro, das mit Unterstützung zahlloser Ehrenamtlicher und Plattdeutschbeauftragter dafür sorgt, dass Ostfriesland auch in Zukunft zweisprachig bleibt. Dazu gehört Öffentlichkeitarbeit bei Aktionen wie „Septembermaant is Plattdüütskmaant“ „Fredag is Plattdag“ oder „Plattsounds“. Darüber hinaus entwickelt das Plattdeutschbüro viele Projekte und Lehrmaterialien für Kindergärten und Schulen. Die Nachfrage nach Übersetzungsarbeit und Sprachberatung steigt. Das plattdeutsche Internet-Wörterbuch www.platt-wb.de wird mittlerweile hunderttausendfach angeklickt.
Ostfriesland Reloaded: Vor etwa zehn Jahren hat sich die Ostfriesische Landschaft zum Ziel gesetzt, die Institution ein Stückchen mehr nach Außen zu öffnen, die Vielfalt von Aufgaben und Engagement bekannter machen. Ist Ihnen das gelungen?
Rico Mecklenburg:Die Öffnung der Ostfriesischen Landschaft ist uns sehr wichtig. Wir bedienen uns dabei moderner Kommunikationsmöglichkeiten wie einer Internetpräsenz mit unserer Homepage, dem Internet-Landschaftsladen, einem Newsletter, der „Sozial Media“ und einer intensiven Öffentlichkeitsarbeit sowie vielfältiger Publikationen. Die Gremiensitzungen bei uns sind überwiegend öffentlich, Einladungen und Protokolle werden veröffentlicht. Zudem bietet unser Landschaftsforum und unser Steinhaus in Bunderhee Raum für Konzerte, Workshops, Versammlungen, Vorträge, Sitzungen und viele weitere Veranstaltungen. Wir freuen uns über viele Besucherinnen und Besucher, die an unseren Veranstaltungen teilnehmen. Der „Tag der offenen Tür“ im vergangenen Jahr beispielsweise war ein großer Erfolg. Immer wieder nachgefragt werden auch Führungen in der Landschaft und im Steinhaus Bunderhee. Auch die Möglichkeit der standesamtlichen Trauung in unserem Kollegiumszimmer oder im historischen Ständesaal sowie im Steinhaus Bunderhee wird häufig genutzt.
Insofern ist uns die Öffnung der Landschaft verbunden mit der Öffentlichkeitsarbeit Schritt für Schritt gelungen, bleibt aber eine Daueraufgabe.
Ostfriesland Reloaded: Das Herz der ostfriesischen Identität ist die „Friesische Freiheit“ und das schlägt am Upstalsboom, am historischen Versammlungsort der Selbstbestimmung. Welche Rolle spielt dieser Ort öffentlichen Heimatbewusstseins heute?
Rico Mecklenburg: Vorweg erläutert: Die Ostfriesische Landschaft ist aus der Friesischen Freiheit geboren. Als besonderes historisches Phänomen zwischen Ijsselmeer und Weser ist es hier nicht zum Ausbau königlicher Herrschaft und zur Einführung einer Grafschaftsverfassung gekommen. Stattdessen entwickelte sich ein genossenschaftlich geprägtes Rechtssystem freier Individuen, die das volle Verfügungsrecht über die eigene Person, über Haus und Hof behielten und nie leibeigen wurden. Eine vordemokratische „Konsulatsverfassung“ nach dem Muster mittelalterlicher Stadtstaaten garantierte im 13. Jahrhundert gewählte, regelmäßig wechselnde politische Vertreter verschiedener friesischer „Länder“ – symbolisch die „Sieben Seelande“ genannt.
Die Vertreter trafen sich zur Verständigung nach innen und außen am Upstalsboom, einem frühmittelalterlichen Grabhügel einer bedeutenden friesischen Familie in Rahe bei Aurich. Das war ein im Kaiserreich einmaliges politisches System, vergleichbar nur mit der jüngeren Schweizer Eidgenossenschaft. Die damit geschaffene Freiheitstradition war so stark, dass sie seitdem die Zeitläufte überstand, und bis in die Gegenwart in der Form der heutigen Ostfriesischen Landschaft wirksam blieb.
Der Upstalsboom als zentraler Identifikations- und Versammlungsort der Friesen und Ostfriesen ist jüngst von der Stadt Aurich mit erheblichen Mitteln aufgewertet worden. Und ich sagte es schon: Das stößt in der Bevölkerung durchaus auf Beachtung und vernehmbare Zustimmung. Informationstafeln bieten den Besucherinnen und Besuchern endlich aufschlussreiche Einblicke in die Geschichte der Friesischen Freiheit und Ostfrieslands. Wir hoffen somit, dass der Upstalsboom mit seiner Allee inmitten einer Wallheckenlandschaft ein beliebter Anziehungspunkt wird.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Mecklenburg!
Und noch etwas
1464 gegründet, versteht sich die Ostfriesische Landschaft seit mehr als 500 Jahren als die Stimme der ostfriesischen Bevölkerung. Ritter, Bürger und Bauern schickten ihre Vertreter einst in diese Ständeversammlung, um ihre Rechte gegen die jeweiligen Landesherren durchzusetzen. Häuptlinge, Grafen und Fürsten gibt es schon lange nicht mehr, auch fremde Herren aus Frankreich, Hannover und Preußen sind längst Vergangenheit.
Heute bestimmen die Politiker der Landkreise Aurich, Leer und Wittmund sowie der Stadtrat von Emden, wen sie in das zentrale Organ kultureller Selbstbestimmung, die Landschaftsversammlung, senden. Streng nach Proporz und Anteil der Einwohnerzahl: 20 schickt Aurich, 18 Leer, 6 Wittmund und 5 Mitglieder Emden in die Runde. Zusammen mit dem Landschaftskollegium aus 7 Landschaftsräten und einem Präsidenten bilden die 49 Vertreter dieses einzigartige, autonome Kulturparlament. Landschaftspräsident ist seit November 2014 Rico Mecklenburg aus Emden. Die Exekutive der regionalen Behörde für Kultur, Wissenschaft und Bildung führt seit Mai 2008 Landschaftsdirektor Dr. Rolf Bärenfänger. Ihren Sitz hat die Ostfriesische Landschaft mitten in Aurich im Landschaftshaus, einem in Winkelform gebauten Backsteingebäude im Stil der prächtigen Neorenaissance.

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