Juliane von Ostfriesland: Geliebt und verehrt, gehasst und verlassen

Dies ist die unglaubliche Geschichte einer hessischen Prinzessin, die einst über Ostfriesland herrschte. Juliane von Ostfriesland führt mitten in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges ein Leben in Saus und Braus, gönnt sich einen Barockgarten und regiert vom Lustschloss aus das Land. Bis man ihr alles entreißt: Macht, Vermögen – und ihren mutmaßlichen Liebhaber köpft.


In einer kleinen Nische in einem prächtigen Rundbau aus Backstein nimmt alles sein Ende. Das Mausoleum der Cirksena befindet sich auf dem Friedhof von Aurich und bewahrt in seinem zweistöckigen Inneren heute die Särge, Gebeine und das ehrenvolle Andenken an ein ostfriesisches Häuptlingsgeschlecht, das von 1464 bis 1744 über das flache Land am Wattenmeer herrschte. Hier steht auch der Sarg von Juliane: aus Zinn gearbeitet, wenig mehr als zwei Meter lang, am Kopfteil breiter und höher als am Fuß. „Ein schöner Sarg“ heißt es in einem Bestandsverzeichnis der alten Fürstengruft aus dem Jahr 1784. Eingraviert sind auf der rechten Seite die Zeilen zu lesen: “Der Durchlauchtigsten Fürstin und Herrin, Herrin Wittib Juliana, durch Gottes Gnade Landgräfin zu Hessen-Darmstadt, Gräfin von Ostfriesland, Herrin zu Esens, Stedesdorff und Wittmund.”

Als sie am 15. Januar 1659 im Alter von nur 52 Jahren verstirbt, lebt sie weit entfernt im Exil, acht Jahre zuvor im Handstreich entmachtet, auf der Flucht vor ihrem ältesten Sohn, dem Fürsten Enno Ludwig von Ostfriesland. Geradezu zynisch klingt vor diesem Hintergrund eine andere Inschrift ihres Sarges, die auf der linken Seite: Enno Ludwig und seine Brüder Georg Christian und Edzard Ferdinand “widmen der Ehre ihrer unvergesslichen Mutter und zur Aufnahme des Leichnams der Vollendeten diesen Sarg.”

Prunksarg Juliane

Die sterblichen Überreste von Juliane hat man nie darin gesehen. Als in Aurich bei umfangreichen Restaurierungsmaßnahmen im Mausoleum 1984 auch Julianes Sarkophag geöffnet wurde, befand der ausführliche Bericht des Expertenteams: „Irdische Überreste der Gräfin sind in diesem Sarg nicht erhalten.“

Eine Kindheit unter vielen

Ihre Geschichte beginnt 600 Kilometer weiter südlich: in Darmstadt, in der Residenz eines kleineren Zweiges des mehrfach geteilten und zerstrittenen Herrscherhauses der Hessen. Juliane erblickt hier am 14. April 1606 als Tochter des Landgrafen von Hessen-Darmstadt, Ludwig V., das Licht der Welt. Auch in Darmstadt ist es ein Grab, das noch heute Zeugnis von ihrem Leben vor vierhundert Jahren gibt. Denn als die erste Frau Ludwigs, Magdalena, Markgräfin von Brandenburg und Julianes Mutter, stirbt, lässt der trauernde Gatte seine gesamte Familie 1616 in einem Epitaph für die Familiengruft in der Darmstädter Stadtkirche abbilden und verewigen: die Söhne in absteigender Reihenfolge vom Betrachter aus links in immer kleiner werdenden Rahmen, die Töchter spiegelbildlich rechts angeordnet.

Ganz klein ist der Rahmen, der dritte von rechts, der für Juliane reserviert ist: Nur 14,5 Zentimeter in der Höhe und 9,3 Zentimeter in der Breite misst das Bild. Als fünfte von sieben Töchtern des Herrscherpaares, das insgesamt reich mit zwölf Kindern gesegnet wurde, hat sie im familieninternen Ranking nur eine Position am äußeren Rand der dynastischen Hierarchie. Zehn Jahre ist sie alt, als dieses Bild von ihr in Öl auf Kupfer gemalt wird. Sie und ihre Schwestern sehen auf diesen Gemälden alle gleich aus: Sie sind schwarz gekleidet im Stil spanischer Hoftrachten, mit weißen Halskrausen aus Spitze, geschmückt mit Perlenkette und Diadem. Es sind nur die Inschriften, die in goldenen Lettern für jede der Dargestellten die Eckdaten des Lebens anzeigen und an denen sich die jungen Damen mit dem hochgesteckten rotblonden Haar in der bilderreichen Familienchronik voneinander unterscheiden lassen.

Zwischen Kindheit in Darmstadt und der letzten Ruhestätte in Aurich liegt ein Leben, das reichlich Material für eine historische Seifenoper bereithält, voll der Leidenschaft, der ungezügelten Verschwendung und des tiefen Falls am Ende. Dreiundzwanzig Jahre lebte Juliane in Ostfriesland, geliebt und verehrt zu Anfang, am Ende gehasst und verlassen vom Volk und den eigenen Kindern: ein filmreifes Familiendrama.

Das Original im Landesmuseum DA
Im Hessischen Landesmuseum Darmstadt.

Noch heute taucht ihr Name hier und da in Ostfriesland auf: Die Julianenburger Straße in Aurich etwa ist auf sie zurückzuführen, auch der ganz in ihrer Nähe liegende Julianen Park, heute eine Seniorenresidenz. Es gibt auch Julianenhöfe in Ostfriesland, Gaststätten tragen ihren Namen – nur kaum jemand weiß, wie der nach Ostfriesland kam.

Ostfriesland Reloaded hat sich auf die Spurensuche begeben, und hat in Hessen und Ostfriesland, in Darmstadt und in Aurich, nachgeforscht über eine auf beiden Seiten bisher relativ unbeleuchtete Episode der Landesgeschichte. Die spannende Entdeckungsreise führte zu der wohl schillerndsten Regentin, die je auf dem Thron von Ostfriesland saß.

Reichlich Stoff für einen kompletten Themenschwerpunkt auf Ostfriesland Reloaded. Lesen Sie die ganze Geschichte! Dieses ist der erste Teil von insgesamt vier spannenden Kapiteln. Klicken Sie einfach auf einen der Titel unten und Sie sind direkt im bewegten Leben der ostfriesischen Regentin:

Teil 1 – Juliane von Ostfriesland: Geliebt und verehrt, gehasst und verlassen

Teil 2 – Die Braut friert, Ostfriesland freut sich

Teil 3 – Die süßen Jahre der herrschaftlichen Dekadenz

Teil 4 – Familiendrama: Der Sohn nimmt blutige Rache

< Fortsetzung >


Und noch etwas

Die atemberaubende und tragische Lebensgeschichte der Juliane von Ostfriesland ist in deutlich kürzeren Varianten auch erschienen bei

Spiegel Online – Plus: Die dekadente Herrscherin, die vom eigenen Sohn verbannt wurde, 11. Dezember 2018 (in Teilen, kompletter Text nur für Abonnenten lesbar;  über kostenloses Testabo für einen Monat dennoch ein sehr leichter Zugang möglich)

Darmstädter Echo / vrm-Verlagsgruppe: Die lustige Witwe, Wochenendausgabe, Wissen, 20. Oktober 2018

Ein wissenschaftlicher Beitrag mit einer ausführlichen Darstellung der Quellen wird 2019 im “Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde”, Jahrbuch, Herausgeber Hessisches Staatsarchiv Darmstadt, veröffentlicht.

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