Die süßen Jahre der herrschaftlichen Dekadenz

Ulrich und Juliane lassen es sich gut gehen. Sie lieben beide den Luxus, gutes Essen und das ausschweifende Leben. Man nascht jede Menge Süßes. Laut dem Inventarium der Auricher Silberkammer besitzt das Herrscherpaar 1634 allein 27 Konfektschalen. Drei davon sind innen wie außen vergoldet und mit dem ostfriesischen und hessischen Wappen verziert. Die Regierungsgeschäfte interessieren das junge Grafenpaar nicht sonderlich, das erledigen ihre Räte. Ein Geheimer Rat, sich an seine bewegte Zeit am Hof von Aurich erinnernd, hat keine allzu gute Meinung von der munteren Gattin seines hohen Herrn: „Die Gemahlin, Fürstin Juliane, nahm sich auf Befehl ihres Gemahls der Landessachen und Regierung, auch des Hauswesens an, war aber mehr zum Spazierenfahren und Reiten als zu ernstlichen Sachen geneigt.“ Eine Hofdame wird dabei zu ihrer ständigen Begleiterin: Elisabeth Ungnad, Gräfin von Weissenwolff.

Gefährliche Freundschaften

Die ehemalige Geliebte des Grafen von Oldenburg ist nach der Heirat desselben mit einer anderen Dame von höherem Adel 1635 wieder zurück in den Schoss ihrer Familie nach Ostfriesland gekehrt. Sie ist acht Jahre jünger als Juliane, hat aber am Hof von Oldenburg ein höfisches Leben kennen gelernt, wie es auch die Hessenprinzessin aus Darmstadt gewohnt ist. Die beiden freunden sich an. Nach 1640 gesellt sich zu dem Damenduo dann Johann von Marenholz, der Hofmeister des ältesten Sohnes Enno Ludwig, der sich in Den Haag um dessen angemessene Bildung bemüht. Gemeinsam mit seinem Zögling ist er häufig in Aurich.

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Am Hof von Ostfriesland (Modell, Historisches Museum Aurich)

Der eher ostfriesisch herb veranlagte Graf Ulrich findet absolut kein Gefallen an dem neuen galanten Freundeskreis seiner Frau: „Ich mag den Marenholz nicht“, soll er gesagt haben. Wie auch. Ist der doch genau das Gegenteil zum Grafen und dessen ungehobeltem Charakter. Er war „wolgestallt, sprachsam, höflich, guten Verstandes, hatte einige doch nicht sonderliche Wissenschaft, redete Französisch“ wie sich Geheimrat Reinhold Bluhm später erinnert.

Zwar heiratet Marenholz 1646 die Hofdame Elisabeth von Ungnad, doch Ulrich ist der Kontakt zu seiner Gattin Juliane wohl zu eng und nicht ganz geheuer. Er entlässt ihn als den Hofmeister seines Sohnes und befördert ihn beruflich zum Drosten und damit zum Amtmann von Berum, aber gleichzeitig auch ein wenig ins räumliche Abseits. Denn der kleine Ort liegt rund 25 Kilometer entfernt nordwestlich der gräflichen Residenz. Seiner Gattin spendiert er in genau entgegengesetzter Richtung, nämlich östlich von Aurich, in der Sandhorst, ein neues Lustschloss zu ihrem Vergnügen, nicht ahnend, dass sie sein Geschenk Schloss Sandhorst schon bald ganz anders als von ihm gedacht, nutzen wird. Das schmucke Gebäude wird 1648 fertig. Doch bereits am Ende des gleichen Jahres, am 1. November, stirbt Ulrich mit 43 Jahren.

Die hohe Kunst des Abschieds

Die Witwe ist untröstlich, beerdigt ihren Mann in allen Ehren, erweitert für ihn sogar die Familiengruft der Cirksena in der Lamberti-Kirche zu Aurich um eine neue Krypta. Dazu wird der südliche Anbau des Langschiffs im Osten verlängert und auf die Länge des älteren nördlichen Teils der Kirche gebracht. Nachdem die Toten aus den älteren Begräbnissen umgelagert waren, „ließ sie die Leiche ihres verstorbenen Gemahls Ulrich II. am 21. Februar 1649 „mit vielem Pomp beysetzen“, so berichten die historischen Quellen.

Juliane wird auch zugeschrieben, neue Standards in der Bestattungskultur des ostfriesischen Fürstenhauses eingeführt zu haben. Denn mit Ulrich II. halten geschmückte Zinnsärge Einzug in die herrschaftliche Gruft. Seiner ist besonders reich verziert mit einem silbernen Kruzifix, zwölf Aposteln und einer eingravierten Widmung seiner Frau:

„Die Durchlauchtigste Frau Juliana, aus dem alten hessischen Fürstenhause, weiht nicht nur diesen Sarg, sondern auch diese Krypta mit dem darüber liegenden Theil der Kirche als ein ewiges Denkmal der Liebe gegen den Gatten und des Wohlwollens gegen die Nachkommen dem besten und unvergleichlichsten Gatten, dem Manne ihrer Liebe und ihrer Sehnsucht.“ Weiter steht in kunstvoller Gravur geschrieben: „Jetzt sehnt sie sich wahrlich danach, bald als Genossin vereinigt zu werden mit der Asche, welche ein so geheiligtes Andenken verehrt.“

Dieser schwülstige Text steht im merkwürdigen Kontrast zum vielfach beschriebenen und scheinbar nicht immer glücklichem Eheleben der beiden. Handelt es sich hierbei um eine gezielte, für die Ewigkeit geschriebene Imagepflege der Juliane in eigener Sache? Oder ist dieses Herz zerreißende Dokument einer großen Liebe gar eine Entschuldigung post mortem an den Gatten? Oder lesen wir hier vielleicht die Wahrheit?

Empörung und Skandal

Die Witwe Juliane ist 42 Jahre und bestens versorgt. Ihr verstorbener Ehemann hat sie in einem Testament, an dem auch Marenholz mitgewirkt hat, großzügig ausgestattet, und sie auch zum Vormund ihrer noch unmündigen Söhne gemacht. Diese schickt sie zur weiteren Bildung weit fort von Aurich. Sie übernimmt an Stelle des noch zu jungen Thronfolgers Enno Ludwig die Regierungsgeschäfte und macht Marenholz sogleich zu ihrem Minister. Jetzt ist sie nicht mehr nur die Gattin, sie ist die Regentin von Ostfriesland.

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Regentin Juliane von Ostfriesland (© Ostfriesische Landschaft)

Sie hat jetzt allein das Sagen. Alle im Land, die Bevölkerung, die Räte in Aurich, die Standesvertretungen in Emden sind empört. Diese Hessin auf dem Thron! Unfähig der politischen Geschäfte und dann noch das Ehepaar von Marenholz als ihre Berater: er von altem Lüneburger Adel, sie von böhmischer Herkunft. Welch eine gefährliche Menage à Trois aus Fremden, die über Ostfriesland herrschen!

Sie wehren sich mit allen Mitteln, doch zunächst ohne Erfolg. Das Erbrecht ist auf Julianes Seite. Sie und ihre beiden Ratgeber verlegen den Regierungssitz aus der Stadt nach Schloss Sandhorst. Dort sind sie ungestört vor allen Anfeindungen und können sich ganz auf die neue Aufgabe, das Regieren des Landes konzentrieren – oder in vollen Zügen ihr Leben genießen und „ungestört dem süßen Leben frönen“. Schließlich handelt es sich ja um ein Lustschloss. Die Gerüchteküche brodelt „Sie gab sich der Dekadenz hin“ heißt es allgemein über Juliane.

Damit ist 1651 ganz plötzlich Schluss.

< Fortsetzung >

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Lesen Sie die ganze Geschichte! Dieses ist der dritte Teil von insgesamt vier spannenden Kapiteln. Klicken Sie einfach auf einen der Titel unten und Sie sind direkt im bewegten Leben der ostfriesischen Regentin:

Teil 1 – Juliane von Ostfriesland: Geliebt und verehrt, gehasst und verlassen

Teil 2 – Die Braut friert, Ostfriesland freut sich

Teil 3 – Die süßen Jahre der herrschaftlichen Dekadenz

Teil 4 – Familiendrama: Der Sohn nimmt blutige Rache

Ein Gedanke zu „Die süßen Jahre der herrschaftlichen Dekadenz

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