Sie hat wirklich an vorderster Front gestanden: Zu einer Zeit als man(n) Frauen keine Bildung, keinen Beruf und auch sonst jegliche Fähigkeit zur geistigen Anstrengung zusprach, ist sie konsequent und mit viel Disziplin ihren Weg gegangen. Auf jedem ihrer Schritte betrat sie Neuland. Sie kämpfte um vieles, was heute selbstverständlich ist. So wurde sie zu einer Vorreiterin der frühen Frauenbewegung, der es schlicht um das Recht auf Bildung, auf den Besuch eines Gymnasiums, das Abitur und einen Studienplatz ging.
Die Rede ist von Hermine Heusler-Edenhuizen, die 1872 in eine Welt und eine Zeit hineingeboren wurde, die für Frauen des Bürgertums nichts anderes als gepflegte Konversation und für junge Mädchen das Warten auf den passenden Ehemann vorsah. Wenn sie Glück hatten, konnten sie anfangs noch am Unterricht ihrer Brüder zu Hause teilnehmen. Sobald es aber weiter auf Schulen ging, trennten sich die Wege. Während der männliche Nachwuchs in Gymnasien auf eine akademische Zukunft vorbereitet wurde, blieb den Töchtern meist nur noch die private Höhere Töchterschule. Die wurden meist von Dorfgeistlichen geleitet, der Unterricht bestand aus Beten und Handarbeit.


So ähnlich ist es auch Hermine in ihren Jugendjahren im ostfriesischen Pewsum gegangen. Ihre Eltern stammten beide aus wohlhabenden Bauernfamilien. Ihr Vater war der Landarzt Dr. Martin Edenhuizen und das Zuhause der Kindheit die Neue – ihr Geburtshaus – und die prächtige Alte Manningaburg in Pewsum. Doch auch ihr gebildeter Vater hatte zunächst nur wenig Verständnis für den Drang seiner Tochter nach Wissen und Erkenntnis. Ihren Wunsch, Lehrerin zu werden, hatte er abgelehnt.
Er wird seine eigene Tochter aber wohl nicht aufgrund ihres Geschlechts für geistig minderwertig gehalten haben, wie manch andere Zeitgenossen. Selbst Professoren waren damals der Auffassung, dass das weibliche Gehirn zu klein und zu leicht sei, und sie nicht in der Lage wären, Mathematik, Latein und Griechisch begreifen zu können. In dieser Welt musste sich Hermine Edenhuizen durchsetzen, „immer in Opposition gegen die Brüder, für deren Ausbildung der Vater alles tat.“
Der Moment, der die Weichen für ihr ganzes weiteres Leben stellen sollte, war 1892, als die 20-jährige in einer Buchhandlung in Emden zufällig das erste Heft von Die Frau in die Hand bekommt. Sie ist wie elektrisiert von den Texten der Herausgeberin Helene Lange einer Ikone der frühen Frauenbewegung, und besonders von deren ganz neuen Gymnasialkursen für Mädchen in Berlin. Sie kennt die Stadt, 1889 war sie schon ein Mal dort, in einem Mädchenpensionat. Dort will sie hin, ihr Abitur machen, und Ärztin will sie werden. Sie kämpft mit allen Mitteln beim Vater darum, der schließlich nachgibt.
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Sie wird von Helene Lange in den zweiten Jahrgang aufgenommen und bereitet sich fast vier Jahre lang intensiv als Externe auf die Prüfung vor. 1896 besteht sie und gehört damit zu den ersten zehn Abiturientinnen Deutschlands.
Hermine ist gerade 26 geworden, doch die schlimmsten Prüfungen stehen ihr noch bevor. Sie nimmt ein Medizinstudium auf. Zunächst in Berlin. Das Studium dort ist ein einziger Spießrutenlauf: immer der Häme der männlichen Studenten ausgesetzt, ständig auch den kritischen Anmerkungen des Lehrkörpers und stets angewiesen auf eine Sondergenehmigung, die beim jeweiligen Professor eingeholt werden musste. Sie wechselt nach Zürich, dann nach Halle, wo die Studienbedingungen besser sind, und schließlich nach Bonn, wo sie gemeinsam mit ihrer langjährigen Freundin und Studienkollegin Frida Busch eine generelle Studienerlaubnis erhält und keine Bittgänge zu einzelnen Professoren mehr machen muss.
Im April 1903 machen beide ihr Staatsexamen, sie schreiben ihre Doktorarbeit und promovieren am 4. November 1903 bei einem feierlichen Doktorandum im langen schwarzen Kleid mit summa cum laude. Sie sind damit die ersten Frauen, die an der Bonner Universität den Doktorhut erwerben, was vom Dekan besonders betont wird und auch in der Öffentlichkeit Beachtung erfährt. Mit 31 Jahren ist Hermine Edenhuizen am Ziel: Sie ist promovierte Ärztin.
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