Seit sieben Jahren leitet er die Hermann Lietz-Schule auf Spiekeroog: Florian Fock. Direktor dieses Internats inmitten einer weiten Dünenlandschaft zu sein, war schon immer etwas Besonderes. Viele von ihnen waren prägend in ihrer Zeit, die Meisten auch sehr lange im Amt. Sie haben alle die pädagogische wie wirtschaftliche Entwicklung ihres Hauses spürbar voran getrieben. So passt auch Fock in unsere Zeit: Sein Name steht bereits jetzt für eine Phase, in der die Schule sich stark mit allen Fragen der Nachhaltigkeit und der Verantwortung für das Wattenmeer beschäftigt und sich zunehmend als zentralen Ort für die Umweltbildung und -wissensvermittlung begreift. Der Direktor mit dem markanten Zopf ist einer der Köpfe hinter dem sehr aktiven Nationalpark-Haus Wittbülten auf Spiekeroog, das er noch als Biologie- und Geografielehrer aufbaute und das seine Frau Swaantje heute als Geschäftsführerin erfolgreich leitet.
Im Gespräch mit Florian Fock über Wandel und Zukunft “auf Lietz”
Ostfriesland Reloaded: Herr Fock, was ist das Besondere an der Hermann Lietz-Schule auf Spiekeroog? Was ist die DNA und gilt es zu bewahren?
Florian Fock: Wir sind ein Internatsgymnasium, das unmittelbar am Meer liegt, auf einer Insel. Das ist ein Lebensraum mit überschaubaren Grenzen, geschlossenen Ressourcen-Kreisläufen, mit einer gefühlten Abhängigkeit von Naturgewalten, von Gezeiten, von Erreichbarkeit. Hier spürt man das Wetter einfach! Das kann man bei uns erfahren, ohne das man es bewußt thematisieren muss. Das ist hier seit neunzig Jahren schon so. Die exponierte Lage auf einem kleinen Eiland in der Nordsee war übrigens auch ein entscheidender Punkt für die Schulgründer, genau hierher zu gehen. Man wollte etwas ganz Neues beginnen damals. “Mut zum Wagnis” war ihr Motto.
Ostfriesland Reloaded: Gilt das alles auch noch heute?
Florian Fock: Aber ja! Die Reformpädagogik ist ein ständiger Aufbruch. Sie ist modern wie nie, denn der Wandel liegt im System. Alles ist in Bewegung. Wie das Wattenmeer und die Sanddünen um uns herum. Diese Landschaft ist sehr inspirierend für unsere Art der Pädagogik, die sich immer den Herausforderungen der Zukunft angepasst hat, wo Stillstand nie eine Option war.
Ostfriesland Reloaded: Wie gelingt Ihnen dieser Wandel als staatlich anerkanntes Gymnasium in der Praxis?
Florian Fock: Wir sind dem niedersächsischem Schulsystem natürlich verpflichtet, den Lehrplänen, den Vorschriften für die Abiturprüfung. Aber wir arbeiten nicht in starren Strukturen. Wir sind eine kleine Einheit und daher sehr wendig. Man kann uns vergleichen mit einem Schnellboot gegenüber den Tankern großer etablierter Schuleinrichtungen. Wenn wir eine Richtung sehen, die es sich lohnt einzuschlagen, dann können wir das tun. Dabei besprechen und entscheiden wir viel im Kollektiv. Ist das Lehrerkollegium sich einig, dann können wir unsere pädagogischen Entscheidungen relativ zügig umsetzen.
Ostfriesland Reloaded: Was veranlasst an Ihrer Schule Wandel?
Florian Fock: Wir greifen an vielen Stellen neue Impulse auf, weil wir auch den Anspruch haben, unsere Jugendlichen auf die Gesellschaft vorzubereiten, auf die Herausforderungen der Zukunft. Wenn sich Gesellschaft verändert, dann müssen auch wir uns verändern und in der Pädagogik darauf Antworten finden. Wir hinterfragen ständig unsere Angebote.
Ostfriesland Reloaded: Können Sie ein Beispiel nennen?
Florian Fock: Wir haben gerade im Rahmen unserer Workshops zur 90jährigen Jubiläumsfeier mit Professor Niko Paech von der Universität Oldenburg diskutiert, wie die historisch gewachsenen Gilden pädagogisch in eine Postwachstumsgesellschaft wie die unsrige einzuordnen sind. Es zeigte sich, dass unser tradiertes Modell der “Gildenarbeit”, bei der man in Arbeitsgruppen seine handwerklichen Fähigkeiten schult und beispielsweise Fahrräder repariert, Gemüse anbaut oder im Eigenbetrieb ein Schülercafé betreibt, eine sehr moderne Form des gesellschaftlichen Zusammenlebens darstellt, die man weiterentwickeln und auch in die Gesellschaft hinein tragen kann.
Ostfriesland Reloaded: Wo sehen Sie noch weitere Vorreiterrollen Ihrer Schule?
Florian Fock: Vor allen Dingen in einer starken Naturwissenschaft und Umweltbildung. Wir bauen gerade unser naturwissenschaftliches Gebäude in ein “Haus der Nachhaltigkeit” um, wo gesellschaftliche und naturwissenschaftliche Räume unter einem Dach sind, wo wir in enger Kooperation mit der Universität Oldenburg an fachübergreifenden Projekten arbeiten können. Denn Nachhaltigkeitsbildung bedeutet vernetzes Denken, um die Probleme der Zukunft bereits in der Schule anzupacken: ökologisch, ökonomisch und sozial.
Ostfriesland Reloaded: Wie stehen Sie zu der Digitalisierung der Klassenzimmer?
Florian Fock: Hier gehen wir wie in anderen Bereichen auch einen angepasst individuellen Weg. Wir schrauben nicht überall Smartboards an die Wände und hoffen, dass jetzt alles besser wird. Wir lassen uns beraten, in diesem Fall von Professor Klaus Zierer von der Universität Augsburg. Der Unterricht kann durch Technik besser werden, muss es aber nicht zwingend. Das diskutieren wir im Kollegium. Wir bilden fort und nehmen alle mit, nicht nur die ohnehin schon technikaffinen Lehrer. Wir setzen Technik bewußt ein, dort wo Schüler individuell und kreativ mit ihr arbeiten können, nicht, wo sie nur reine Berieselung ist. Wir produzieren beispielsweise Videofilme, pflegen während des Törns des Segelnden Klassenzimmers einen Blog oder produzieren am Rechner ein Jahrbuch für die Schule.
Ostfriesland Reloaded: Wo begegnet einem eigentlich als Schüler das Segeln, für das Ihr Internat so bekannt ist?
Florian Fock: Wir haben beispielsweise eine Segel AG, wo man immer mitmachen kann. Es gibt auch eine Bootsbau-Gilde. Man kann hier auch die verschiedenen Segelscheine bis zum Sportküstenschifferschein (SKS) erwerben. In der achten Klasse findet eine Segelprojektwoche statt, wo alle Schüler einmal eine Woche segeln. Außerdem werden ständig Segelausflüge organisiert, zu den Nachbarinseln oder an das Festland gegenüber, mit Lehrern, Mitschülern oder der Schul-Familie. Ich war gerade mit meiner eigenen unterwegs. Auch die regelmäßigen Familienabende verbringen wir gerne und häufig auf unserem schuleigenen Plattbodenschiff, der Tuitje.
Ostfriesland Reloaded: Und was hat es genau auf sich mit dem “Segel-Abi”?
Florian Fock: In der Oberstufe gibt es einen Kurs auf dem Wasser. Auch im Abitur ist das Segeln als eine von drei fachpraktischen Prüfungen der sportlichen Abiturnote zugelassen. Den praktischen Segelteil müssen wir im Herbst, meistens Anfang Oktober, vor dem jeweiligen Abi-Jahr erledigen. Im Frühjahr drauf, wenn die Boote wieder auf’s Wasser kommen, wäre es zu spät. Daher sind wir auch immer die erste Schule in ganz Niedersachsen, die mit der Abiturprüfung beginnt.
Ostfriesland Reloaded: Welche Rolle spielt die musische Komponente der Erziehung?
Florian Fock: Eine sehr große. Der Schwerpunkt liegt bei uns auf der Musik, die darf nie fehlen. Ich selber bin Musiklehrer, spiele Cello und seit Kurzem probiere ich mich auch an der Posaune. Wir haben nicht nur einen Schulchor, sondern mittlerweile auch ein gutes Orchester mit vielen Bläsern. Über die Musik sind auch enge Bindungen zum Dorf und den Insulanern entstanden. Wir spielen gemeinsam, machen Auftritte, leihen uns Instrumente.
Ostfriesland Reloaded: Apropos Dorf. Wie steht es denn um die guten Beziehungen?
Florian Fock: Wir denken hier im Internat generell nicht vereinzelt. Wir kooperieren, wirken nach außen. So auch zum Dorf. Wir arbeiten bestens mit der Kurverwaltung von Spiekeroog zusammen, bieten auch gemeinsam öffentliche Veranstaltungen für Einheimische und Gäste an. Mit dem Nationalpark-Haus Wittbülten betreiben wir zudem eine wichtige Touristenattraktion der Insel. Auch die Vorsitzende des Schulvereins ist eine Insulanerin und hat ihr Kind auf unserem Gymansium. Die Verflechtungen und Verbindungen sind vielgestaltig.
Ostfriesland Reloaded: Wie würden Sie sich gegenüber ihrem Vorgänger differenzieren?
Florian Fock: Hartwig Henke war ein Mann der politischen Netzwerke und damit sehr erfolgreich. Das Internat hat ihm viel zu verdanken. Ich sehe mich eher als jemand, der inhaltliche Netzwerke baut, der die Hermann Lietz-Schule weiter zu einem zentralen Wissens-, Bildungs- und Forschungszentrum im UNESCO Weltnaturerbe Wattenmeer entwickelt. Dafür steht beispielhaft auch die Sommer-Insel-Uni, die gemeinsam mit der Universität Oldenburg konzipiert und 2012 eingeführt wurde. Auch in diesem Jahr waren wieder Schüler im Alter von 10 bis 14 Jahren vom Internat, aus dem Dorf oder im Urlaub eingeladen, in den Sommerferien eine Woche lang die Insel und das Wattenmeer zu erforschen.
Ostfriesland Reloaded: Noch eine Frage zum Schluss: An was erinnern Sie sich als Schulleiter neben dem Jubiläumsfest besonders gerne in 2018?
Florian Fock: An den Tag nach der letzten mündlichen Abiturprüfung im Sommer: Um fünf Uhr morgens bin ich gemeinsam mit den Abiturienten im Sonnenaufgang ganz zur Ostspitze von Spiekeroog gewandert. Teils mit Schuhen, teils barfuß, ging es durch tiefen Sand oder etwas festeren Untergrund immer der Brandungszone entlang, nur begleitet von Möwen- und Seeschwalbenrufen und zwei neugierigen Seehunden. Ein unvergessliches Erlebnis und der Beginn einer neuen Tradition auf Lietz. Das machen wir ab jetzt immer.
Vielen Dank, Herr Fock, für das Gespräch!
Und noch etwas
Die Hermann-Lietz-Schule Spiekeroog ist ein staatlich anerkanntes Internatsgymnasium in freier Trägerschaft. Träger ist die Hermann Lietz–Schule gGmbH mit zwei gleichberechtigten Gesellschaftern, die jeweils 50 Prozent Anteile an der Gesellschaft besitzen. Zweimal im Jahr kommt der Beirat zusammen, der grundlegende Entscheidungen finanzieller oder strategischer Natur trifft.
Einer der beiden Träger ist der Förderverein, der überwiegend aus ehemaligen Schülern besteht, die sich für die Zukunft der Schule einsetzen in Form von finanzieller Unterstützung und umfangreichem Wissens- und Erfahrungsschatz. Ihr Vorsitzender ist Alumni Axel Hoppenhaus aus Hamburg. Das Pendant zum Förderverein ist der Schulverein der Hermann Lietz-Schule mit der Vorsitzenden Konstanze Weibels-Steimel. Beide Gesellschafter repräsentieren quasi Vergangenheit und Gegenwart der Schule. Auf diesen beiden Säulen ruht der Schulkörper gewissermaßen und gestaltet die Zukunft.
Das Internat ist eine Schule in Selbstverwaltung und hat daher seine Geschicke auch selbst in der Hand oder steht – um im Bild zu bleiben – auf eigenen Beinen. Jeder, Schüler, Lehrer, Eltern, auch die „Altbürger“, wie die Ehemaligen hier genannt werden, ist Teil eines größeren Ganzen. Die Schüler werden „von Getragenen zu Trägern“, wie es Hoppenhaus zum 90. Jubiläum des Internats treffend formulierte. „Lietzer bleibt man ein Leben lang.“
Internat Hermann Lietz-Schule Spiekeroog
Hellerpad 2
D–26474 Spiekeroog
Telefon: 04976/91 00-0
Fax: 04976/91 00-91
E-Mail und Infos zur Aufnahme:
https://www.lietz-nordsee-internat.de/de/profil/aufnahme.html
Leiter und Geschäftsführer:
Florian Fock, OStD
Die autofreie Insel Spiekeroog ist mit der Personenfähre von Neuharlingersiel aus zu erreichen. Vom Hafen zur Schule steht nach Absprache die schuleigene Elektrokarre zur Verfügung.
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