Sieben Inseln, auf Sand gebaut: Kleine Körnerkunde

Sand ist kein nachhaltiger Rohstoff. Er ist endlich wie das Öl der Erde. Er ist, neben Luft und Wasser, der meist gebrauchte Rohstoff der Welt. Ein mittlerweile kostbares Gut, nicht nur auf den Ostfriesischen Inseln – diesen fragilen Sandgebilden der Nordsee, die ihre Existenz auf eine äußerst mobile Unterlage gebaut haben.

Sand ist ein unverfestigtes Sediment: Ablagerungen, die durch Verwitterung und Erosion in den Bergen entstehen, von den Flüssen zum Meer gespült werden, gelegentlich einen Zwischenstopp am Strand einlegen und sich schließlich am Ende auf dem Boden der Ozeane absetzen. In unseren Breiten stammt der Sand meistens aus der Verwitterung von Sandsteinen. Wenn dieser als gut gerundetes Quarz-Sandkorn an unseren Küsten und Inseln strandet, dann hat er schon mehrere Erosions- und Sedimentationszyklen hinter sich und locker die halbe Erdgeschichte durchlaufen. Je runder, umso älter.

Sand wird anhand der Korngröße vom gröberen Kies und vom feineren Schluff unterschieden: Grobsand hat eine Korngröße zwischen 0,63 und 2 mm, der Mittelsand zwischen 0,2 – 0,63 mm und Feinsand zwischen 0,063 und 0,2 mm. Für die Küstenregionen Deutschlands von Bedeutung ist der Flugsand, einen wegen seiner Reinheit, seiner geringen Korngröße und seiner guten Sortierung – das heißt einheitlicher Korngrößen – durch den Wind besonders beweglichen Sand. Auch die Dünen der Ostfriesischen Inseln sind durch Flugsand entstanden.

Für die Bezeichnung Sand ist nur die Korngröße von Bedeutung, nicht die mineralische Zusammensetzung. Diese kann unterschiedlich sein. Neben dem häufigen Quarzsand gibt es in der Nähe von Korallenriffen etwa Karbonatsand, auch Korallensand oder Muschelsand genannt, oder auf Inseln vulkanischen Ursprungs Basaltsande, wie auf Hawaii, oder in extrem trockenen Regionen der Erde feiner Gipssand, wie die weißen Dünen, aus denen das White Sands National Monument in New Mexico besteht.

Die große Vielfalt der unterschiedlichen Sande lässt sich ganz wunderbar im Inselmuseum auf Borkum beobachten. Gleich zwei Sammlungen, eine von Friedrich Detering aus Emden und die andere von Inselfremdenführer W. Dykmann, präsentieren sich dort in der Nähe des Alten Leuchtturms den Besuchern. In den Regalen der naturkundlichen Ausstellung ganz hinten im Raum 10 finden sich Sandsorten aus der ganzen Welt: Aus Amerika oder Australien, von Traumstränden in Indonesien oder auf Mauritius. Ob eher grau oder gelblich, rot oder schwarz gefärbt – es gibt wohl kein Sandkorn, das sich hier in den Hunderten von Gläsern mit Schraubverschluss nicht wieder findet. Ein kleiner Schatz, den der Heimatverein der Insel Borkum e.V. da mit seiner Sandsammlung aus aller Welt hütet.

Was wären wir ohne Sand?

Sand ist ein begehrter Rohstoff, seine Einsatzgebiete sind zahlreich: Er wird gebraucht für Straßenbau und Betonherstellung, in der Glas- und Chemieindustrie, für Elektronikbauteile und Solarzellen oder beim Fracking von Öl- und Gasquellen. 15 Milliarden Tonnen werden weltweit verbraucht. Ohne Sand sähe unser Leben anders aus, denn tagtäglich benutzen wir zahlreiche Produkte, die ohne Sand nicht existieren würden. Für Glas- und Porzellanprodukte ist er wichtig, aber insbesondere das in Quarzsand enthaltene Silizium ist ein zentraler Rohstoff der Mikroelektronik und der Mikrochips und damit unseres digitalen Zeitalters.

Doch vor allen Dingen wird der Rohstoff zum Bauen eingesetzt: Weltweit entstehen zwei Drittel aller Neubauten aus Stahlbeton, und der wiederum besteht zu zwei Dritteln aus Sand. In einem Wohnhaus stecken beispielsweise über Hundert Tonnen Sand, in einer Schule über Tausend Tonnen des Stoffes.

Der Bedarf steigt: Sand wird knapper und teurer

Sand ist nicht gleich Sand: So eignet sich Wüstensand beispielsweise nur bedingt zum Bauen, da die Sandkörner zu rund für eine gute Bindung sind. Als Baustoff eignet sich nur der aus alten Flusstälern und aus Meersand. In Deutschland sind laut der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) Quarz- und Bausand in ausreichendem Maße verfügbar. Dennoch drohen Engpässe in manchen Regionen die Baukosten in die Höhe zu treiben. Unter anderem in Stuttgart und Umgebung legen die Sandpreise zu. Während eine Tonne Sand entlang des Oberrheins von Südbaden über die Region Mannheim/Ludwigshafen bis Mainz derzeit rund sechs Euro pro Tonne kostet, müssen Kunden in Stuttgart mehr als das Doppelte bezahlen, etwa 13 Euro pro Tonne. In Ostfriesland kostet die Tonne um die fünf Euro.

Die unterschiedlichen Preise resultieren aus der Tatsache, dass Sand regional gewonnen und verarbeitet wird. Im Jahr 2016 wurden in Deutschland fast 250 Millionen Tonnen Bausand und -kies produziert. Das entspricht etwa fast sechs Millionen Lkw-Ladungen. Weltweit wird in jedem Jahr 2.800mal der Inhalt der Cheopspyramide an Sand abgebaggert und verbaut.

Und der wird global gesehen langsam knapp. Die Nachfrage nach Bausand übersteigt bei weitem das Angebot. Insbesondere expandierende Stadtstaaten wie Dubai und Singapur haben einen extrem hohen Bedarf, der von weit entfernten Flecken der Erde gedeckt wird. Der Wüstenstaat Dubai bezieht seinen Sand zum Bauen beispielsweise aus Australien, das im Jahr insgesamt Sand für fünf Milliarden Dollar in die Welt exportiert. Singapur baut nicht nur nach oben, sondern auch ins Meer hinaus. 700 Lkw mit Sand unbekannter Herkunft rollen jede Nacht in die Stadt. Denn mit dem Sand werden viele dunkle Geschäfte gemacht. In vielen Regionen wird er illegal abgebaut – im industriellen Stil oder in mühsamer Handarbeit wie etwa in Indien oder Marokko. Eine regelrechte Sandmafia ist am Werke und macht profitable Geschäfte mit den kleinen Körnern.

Umweltzeitbombe Sand – Eingriff in natürliche Kreisläufe

Dutzende indonesischer Inseln sind laut Greenpeace durch die Sandexporte in Gefahr unterzugehen. Ganze zwölf Inseln der Malediven sind bereits verschwunden – ihnen wurde buchstäblich der Sand abgegraben. Schuld daran ist der Bauboom auf der Hauptinsel Malé. Der Filmregisseur Denis Delestrac aus Frankreich hat darüber 2012 einen Film gedreht, der unter dem deutschen Titel Sand – die neue Umweltzeitbombe im August 2017 auch auf Arte ausgestrahlt wurde.

Sand WangeroogeGegen die natürlichen Kreisläufe des Sandes am Meer einzugreifen, kann im Zweifel sehr schädlich sein – oder auch auf Dauer zwecklos. Wie Sisyphos, der seinen Felsblock immer wieder den Berg hinaufrollen musste, mutet auch der Küstenschutz an der Nordsee an. Immer wieder aufs Neue muss der Sand, den die Nordsee und der Wind weg tragen, mühsam wieder herbeigeschafft werden.

Besonders gefährdet sind seit je her die westlichen Bereiche der Ostfriesischen Inseln, die entsprechend mit Bollwerken geschützt sind. Doch durch den Klimawandel und zunehmende Orkane und Sturmfluten sind auch weite Bereiche der nördlichen Strandzonen immer häufiger gefährdet, werden immer öfter massive Sandabbrüche verzeichnet wie beispielsweise im Herbst 2017 auf Wangerooge. Aber auch sonst herrscht eine längerfristige Sedimentunterversorgung – so der Fachbegriff der niedersächsischen Küstenschützer für den ständigen Sandverlust an den Inselrändern. Denen versucht man mit massiven Schutzbauten und Buhnen entgegenzuwirken, die tief in den Sanduntergrund vieler Inseln reichen und diesen quasi mit steinernen Fangarmen festhalten. Zum Ausgleich der ständigen Sedimentdefizite sind weiterhin immer wieder Sandaufspülungen notwendig. Alleine auf Norderney gab es seit 1951 insgesamt 12 solcher Aufspülungen mit 5,2 Millionen Kubikmetern Sand. Sie sind auch Voraussetzung, um auf der beliebten ostfriesischen Insel überhaupt ein Mindeststrandniveau zwischen den Buhnen unterhalb der Strandpromenade zu gewährleisten.

Unter verstärkter Beobachtung: Die Ostfriesischen Inseln

Für die unbefestigten Schutzdünenbereiche der Inseln sehen die Planungen des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasser-, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) einen dynamischen Erhalt der Küstenschutzfunktion vor. Dazu gehören auch möglichst an natürliche Prozesse angepasste Maßnahmen für die sandigen Bereiche. So soll etwa verstärkt auf naturnahe ingenieurbiologische Maßnahmen gesetzt werden, auf Sandfanganlagen oder auf Dünengräsern, die vor dem Auswehen des Dünensandes schützen. Aber auch für Frank Thorenz, dem NLWKN-Leiter der Betriebsstelle Norden-Norderney, ist seit langem klar: „Der Klimawandel wird verstärkte Erosionen verursachen. Es sind langfristige Schutzkonzepte und weitere Sedimentgewinnung notwendig.“ Die Ostfriesischen Inseln und ihr kostbarer Sand stehen unter verstärkter Beobachtung des niedersächsischen Küstenschutzes.

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