Die Anmeldefrist ist eigentlich schon zu Ende, aber wer unbedingt dabei sein möchte, der hat vielleicht noch eine Chance, das Gymnasium auf der wohl einmaligsten Schule der Welt zu besuchen – dem segelnden Klassenzimmer. Im Oktober startet der nächste Törn der High Seas High School, die 1993 von der Hermann Lietz-Schule auf Spiekeroog ins Leben gerufen wurde und deren Träger sie bis heute ist. Florian Fock, Schulleiter dieses ganz besonderen Internatsgymnasiums auf einer ostfriesischen Insel, will nicht ausschließen, dass es vielleicht auch für Spätanmelder noch klappt, am Törn 2018/2019 teilzunehmen und damit an dem wohl größten Schulabenteuer, dass es für Schüler und Schülerinnen der Jahrgangsstufe 10 (G8) und 11 (G9) hierzulande gibt.
Es klingt wie Große Ferien, die kein Ende nehmen wollen: Für sieben Monate geht es auf einem traditionellen Großsegler mit Zwischenstopp auf den Kanaren einmal quer über den Atlantik und wieder zurück. Auf dem Weg liegen viel Wind und Wellen, aber auch solche Traumziele wie die Karibik, Costa Rica oder Kuba, bevor im Frühjahr die Reise über die Weltmeere wieder zurück an die Küste Deutschlands führt. Am 13. Oktober dieses Jahr startet das segelnde Klassenzimmer in Hamburg zum 26. Mal. Am 4. Mai 2019 laufen rund 30 Schüler und Schülerinnen auf dem Topsegelschoner Johann Smidt den heimatlichen Hafen in der Hansestadt wieder an.
Doch der Trip ist alles andere als die Dauer-Bespaßung reiselustiger Jugendlicher aus gut betuchtem Hause. Hier geht es um Pädagogik im allerbesten Sinne, um die Erziehung Jugendlicher zu verantwortungsvollen Menschen: zu Persönlichkeiten, die Herausforderungen meistern, zu weltoffenen jungen Männern und Frauen, die fremde Menschen und Kulturen kennen und verstehen. Es geht vor allen Dingen aber auch darum, Schulwissen möglichst praktisch erfahrbar zu machen. Vier Lehrer reisen mit, unterrichten wie zu Hause nach gymnasialen Lernplan und haben dabei ein einmaliges Klassenzimmer zur Verfügung: Wo kann man schon Mathematik und Physik ganz praxisnah beim Navigieren durch den Ozean unterrichten? Wo kann man auf den Spuren Humboldts Geschichte und Politik der Region besser vermitteln? Wo gibt es Erdkunde so zum Anfassen wie bei den Regenwald-Expeditionen? Wo lässt sich Spanisch perfekter lernen als bei Gastfamilien in Mittelamerika oder bei der Kaffee- und Zuckerrohrernte?
Zurück kommen andere Menschen
“Lernen mit Kopf, Herz und Hand”, das ist das Leitbild der Hermann Lietz-Schule, die ganz nach den reformpädagogischen Zielen ihres Namensgebers und Gründers nicht nur Wissen, sondern Kompetenzen vermittelt. Noch stärker als an Land lässt sich dieser Bildungsauftrag für Lehrer an Bord eines Schiffes erfüllen, noch konzentrierter lassen sich auf diesem begrenzten Raum Wissen und Erfahrungen sammeln, die Jugendliche auf ihrem Weg und ihren Aufbruch in Beruf und Gesellschaft benötigen. Zurück kommen andere Menschen” weiß Fock, der seit 2011 die Schule leitet und vor elf Jahren selbst einmal mitgesegelt ist.
Segeln gehört an der Hermann Lietz-Schule auf Spiekeroog zum Stundenplan, ist sogar ein Prüfungsfach beim Abitur. So wundert es nicht, dass ausgerechnet an dieser Bildungseinrichtung das einmalige Projekt “High Seas High School – das segelnde Klassenzimmer” vor mittlerweile 25 Jahren aus der Taufe gehoben wurde. Auch zum Jubiläumstörn, der dieses Jahr am 21. April mit der Rückkehr der Roald Amundsen in Wilhelmshaven endete, war das Internat gleich mit vier Booten angereist. 17 Lehrer und zwölf Schüler waren bei bestem Westwind von Spiekeroog aus in gut acht Stunden in den Jadebusen gesegelt. Ganz vorne weg das Prachtstück der Schulflotte, das Plattbodenschiff “Tuitje” mit Skipperin Swaantje Fock. Gegen Mittag stieg die Spannung spürbar: Wer würde die Roald Amundsen als erstes sehen?
Am Bontekai ist es voll, das Spektakel groß als gegen 14:00 Uhr der beeindruckende Zweimaster die geöffnete Kaiser-Wilhelm-Brücke passiert und langsam in das Hafenbecken einläuft. Wie Statuen, kerzengrade, mit festem Blick nach vorn, stehen die Schüler zum Teil in Schwindel erregender Höhe an den Rahen, den quer zu den beiden Hauptmasten laufenden Stangen für die Rahsegel. Kein Winken ans Ufer, kein Rufen, kein “Hallo” – ein majestätisches Bild, wie sie da schweigend und bewegungslos, äußerst stolz und erhaben wieder einziehen in ihre Heimat. Rund 13.000 Seemeilen in 190 Tagen liegen hinter ihnen, vor ihnen das Wissen darum, dass dieses einmalige Erlebnis nun zu Ende ist. Sie werden sich bald trennen müssen. Aber dies ist ihr letztes Zeichen an alle da unten am Ufer, deren Teil sie bald wieder sein werden: “Wir sind andere geworden. Wir sind nicht mehr wie die Kinder, die wir waren, als wir unsere Eltern verließen.”
So erklärt Anouk Alt den Hintergrund dieses fast schon magischen Moments für sie und die Zuschauer. Sie selbst stand in respektabler Höhe auf dem dritten Quersegel von unten links, dem Vorobermars Backbord, und hat wie alle anderen wohl dem Impuls widerstanden, der jubelnden Familie unten zuzuwinken. Dabei haben sich die versammelten Alts mit einer überdimensionalen Marzipantorte besonders viel Mühe gegeben, die Tochter und alle anderen Willkommen zu heißen.
Aber irgendwann, auch wenn es scheint, als wollten die Schüler sich gar nicht vom Schiff und voneinander lösen, ist es soweit: Mütter und Väter, Schwester und Brüder, Omas und Opas, Freunde und Nachbarn können nach langer Zeit endlich ihre Lieben wieder in die Arme schließen. Momente voll der Emotionen, Tränen über Tränen, Küsse über Küsse: der Bontekai im Willkommenstaumel.
“Der Abschied war aber noch schlimmer”, meint die Großmutter von Paul Kirchbichler. Sie ist zum Empfang extra aus Spanien angereist und schneutzt sich vor Rührung die Nase: “Mit 15 Jahren ist er weg, mit 16 wieder da.” Doch für den Münchner Schüler liegt weit mehr dazwischen als ein Geburtstag. Auch Lukas Maxeiner ist ein Jahr älter geworden während des Törns um die halbe Welt. Er kommt aus Dormagen und Mutter Martina Maxeiner hat die Ferienwohnung, in der er die nächste Nacht schlafen wird, extra nach der Größe der Dusche ausgesucht. 2,03 Meter misst der junge Mann nun.
Wie es ihm bei seiner Größe wohl auf der Roald Amundsen ergangen ist? Eng war es auf jeden Fall. Zu viert oder sechst haben sich die Schüler Kammern geteilt, die kleiner sind, als das eigene Zimmer allein zu Hause, war es auf dem Blog zum Törn 2017/18 zu lesen. Eine Enge mit der man erst ein Mal klar kommen muss. Zur Not hilft dann eine Auszeit auf dem Mast um Mal allein zu sein. Vor allen Dingen habe man aber gelernt, mit wie wenig man auskommen kann, auch ohne die Dinge, die man sonst als selbstverständlich betrachte.
“Von Duschen haben wir noch nicht Mal geträumt”, lacht Heidi Eisengarten, die sogenannte Hausdame des Internats. Sie war vor 25 Jahren bei der ersten Fahrt des segelnden Klassenzimmers mit dabei und erinnert sich: “Unsere Hosen und Shirts konnte man vor lauter Salz aufrecht hinstellen.” Der Komfort habe inzwischen schon deutlich zugelegt. “Bei der Premierenfahrt sind wir sogar noch durch den Panamakanal”, kann sie auch berichten. “Dieser Teil gehört heute nicht mehr dazu, dafür sind jetzt andere Strecken mit dabei. Der Törn der High Seas High School wird stetig optimiert”, so die Pionierin, die unzählige Schülergenerationen schon hat starten sehen Richtung Atlantik.
Keine Segelvorkenntnisse notwendig
Damals wie heute kehrt man aber auf jeden Fall als nautischer Experte zurück. Auch wer als absoluter Segel-Laie den Hochseetörn begonnen hat – denn Segelvorkenntnisse sind nicht erforderlich für die Bewerbung – kommt mit einer gehörigen Portion Wissen um Wind und Wetter wieder, hat sich auf hoher See bewährt, Segel gesetzt und gerafft, kennt sich aus mit Navigation und den Gezeiten. Nach nur kurzer Zeit übernehmen die jungen Menschen das alles selbst – 24 Stunden am Tag, egal ob es über der Biskaya stürmt oder auf den Antillen die Sonne scheint.
Für die Teilnahme beim segelnden Klassenzimmer muss man nicht Schüler oder Schülerin des Spiekerooger Hermann Lietz-Internats sein. Ganz im Gegenteil: Die meisten Plätze sind für Schüler aus anderen Teilen Deutschlands, Europas und der Welt reserviert. Beim Törn von 2017/2018 waren das anfangs beispielsweise 24 von 30 Schülern, lediglich sechs kamen vom Inselinternat. Wer nach dem Segeltörn wechseln mag, der kann dieses tun. Lukas etwa ist einer von fünfen dieses Jahr, die nach dem Törn auf das Internat gehen, so dass am Ende des Trips Internatsleiter Fock elf Schüler vom segelnden Klassenzimmer wieder in die Schulreihen auf der Insel aufnehmen kann. Die 19 anderen Jugendlichen gehen wieder zurück an ihre Heimatschulen. Ihre Zeit auf dem Traditionssegler ist mit einem Zeugnis anerkannt und wird dort als normale Unterrichtszeit gewertet. Auf dem Papier ist der Weg zurück in die Normalität schnell gemacht, in den Köpfen wird es wohl noch dauern.
Die Roald Amundsen blieb an diesem Samstag nicht lange liegen am Bontekai von Wilhelmshaven. Schon am frühen Abend war das ozeanerprobte Schiff wieder unterwegs, diesmal ohne Schüler und mit frischem Kapitän. Es ging einmal um die ostfriesische Halbinsel herum und auch an Spiekeroog vorbei nach Emden. Denn dort, bei der Emder Werft und Dock GmbH (EWD), wird sie generalüberholt bevor sie in ihren Heimathafen Eckernförde zurückkehrt.
Im besten Sinne elitär
Zugegeben, das Ganze ist elitär. 23.800 Euro kostet der Bildungsausflug zur See im Basispaket, in sieben gleichen Monatsraten zu zahlen. 3.400 Euro plus noch diverse Nebenkosten jeden Monat für den Nachwuchs zu berappen, das lässt auch finanzstarke Eltern wohl schwer schlucken und alle anderen gleich die Segel streichen. Wobei der Preis für das besondere Schulangebot der High Seas High School durchaus gerechtfertigt ist. Sieben Monate Rund-um-Betreuung, das Schiff, die Liegegebühren, die Crew, die Lehrer, die Verpflegung: Da kommt ordentlich was zusammen an Fixkosten für den Veranstalter.
Elitär ist jedoch auch der Bildungsanspruch, der dahinter steht – und das in äußerst positivem Sinne. Weil es um ein ganzheitliches Menschenbild geht, weil Wissen und Können, Theorie und Praxis hier auf so einzigartige Weise verbunden sind. Weil Respekt gelehrt wird, vor den Mitmenschen und anderen Kulturen. Ja, die meisten dieser Schüler kommen wahrscheinlich aus einem sehr begüterten Elternhaus. Sie gehören zu den Privilegierten unserer Gesellschaft. Aber erst wenn sie die “Schule auf dem Schiff” nach sieben Monaten verlassen, dann sind sie wirklich reiche Menschen. Und das ist doch auch eine schöne Vorstellung: Dass vielleicht künftige Eliten, auf hoher See den Reichtum von Solidarität, Gemeinschaft und Verantwortung kennengelernt haben und nicht nur den, den uns eine zutiefst ökonomisierte Welt hinterlässt.
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Der nächste Informationstag zur “High Seas High School – das segelnde Klassenzimmer” ist am 8. Dezember 2018 in Hamburg. Dieser ist für Törns relevant, die ab Herbst 2019 starten. Hier die Einladung der Veranstalter:
FILM & VORTRAG in Hamburg
High Seas High School –
Das segelnde Klassenzimmer
Samstag 08. Dezember 2018 um 11 Uhr
Veranstaltungsort:
Steckelhörn 12, 20457 Hamburg
bei NOMEN PRODUCTS
Kommen Sie gerne vorbei zu Film & Vortrag oder zur persönlichen Beratung. Geschäftsführer Jan Reiners und sein HSHS-Team Charlotte Winkelmann und Jörn Gollisch beraten Sie persönlich in Hamburg zum segelnden Klassenzimmer, der High Seas High School (HSHS).
Das segelnde Klassenzimmer – SchülerInnen aus ganz Deutschland und anderen Ländern können sich dafür bewerben.
Schule auf dem Schiff. Eine Segelreise über den Atlantik für bis zu 30 Schülerinnen und Schüler der 10. und 11. Klasse (G8/G9) aus ganz Deutschland und aller Welt. Inkl. ca. 6 Wochen Landgängen in Mittelamerika, Kuba und auf den Kanaren. Jedes Jahr von Oktober bis Anfang Mai. Jetzt anmelden und einen persönlichen Beratungstermin vereinbaren: bewerbung@high-seas-high-school.de
Informationen und Kontakt zu dem einmaligen Projekt gibt es selbstverständlich jederzeit auch hier und beim Träger, der Hermann Lietz-Schule auf Spiekeroog.
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