Es war wahrlich eine kleine Sensation, was Archäologen zwischen 1977 und 2005 aus der Erde des ehemaligen Klosters Ihlow im ostfriesischen Landkreis Aurich bargen: über 100 historische Bodenfliesen aus gebranntem Ton. Das war der größte zusammenhängende Fund dieser Art aus dem Mittelalter, der je in Norddeutschland gemacht wurde. Kleine Kostbarkeiten im Quadrat. Wobei sie genau das nicht sein sollten: kostbar oder gar prunkvoll. Denn im 1228 gegründeten Kloster Ihlow führten die Zisterziensermönche das Regiment: ein Orden, der sich durch eine strenge Lebensführung auszeichnete – Ora und Labora (Bete und Arbeite) lautete ihre oberste Regel. Nüchtern und schlicht hatte auch alles in der Architektur zu sein. Bunte Kirchenfußböden wie andernorts in katholischen Kirchen waren ihnen untersagt.

Kleine Schmuckstücke sind sie dennoch geworden, die Bodenfliesen, die man regelkonform nur aus einfachem Ton herstellte und wohl auch nur in besonderen Bereichen des Ihlower Klostergeländes verlegte: Sie zierten den Boden der Kirche auf Höhe der Vierung und des Chors. Der Kreativität waren anfangs noch Grenzen auf rein florale und geometrische Motive gesetzt. Doch als es erlaubt war, Tiere abzubilden, zeigten die Kirchenmänner hier ebenfalls einen sprühenden Einfallsreichtum: Von Löwen, Falken, Adler, Hund und Katze bis hin zu Chimären, Doppellöwen und anderen Fabelwesen tobt das bunte Leben auf den tönernden Pflastersteinen. Auch wenn die Farbgebung erden und terrakottafarben ist, springt einen die Lebendigkeit der Motive bis heute geradezu an. Die Fliesen berühren und rühren einen noch immer in ihrer zeitlosen, schlichten Schönheit.
Rein technisch gesehen handelt es sich bei den Quadraten aus Ihlow um inkrustrierte Fliesen: In der dunkleren, rostroten Tonsorte wird mit einem Stempel ein Muster in den noch weichen Ton einer noch ungebrannten Fliese geprägt. So entsteht eine Hohlform, die man dann mit einer helleren Tonmasse füllt und oben glatt streicht. Nach komplettem Trocken wird sie mit einer transparenten Bleiglasur überzogen und schließlich bei einer Temperatur von 900 Grad Celsius gebrannt, damals in einem eigens dafür errichteten Ofen.
Zu haben: Handgefertigte Repliken für zu Hause
Wer möchte, kann sich diesen ganz besonderen Kulturschatz aus der Geschichte Ostfrieslands in das eigene Zuhause holen. Die Kulturbehörde Ostfriesische Landschaft bietet in ihrem Landschaftsladen zwölf unterschiedliche Repliken aus dem berühmtesten Fliesenfund Norddeutschlands an. Die angebotenen Motive stammen aus unterschiedlichen Fertigungsserien des Kloster Ihlow, entworfen etwa zwischen dem letzten Drittel des 13. und dem Ende des 14. Jahrhunderts:
Jede Fliese ist handgefertigt. Daher und durch die Verwendung ausschließlich natürlicher Materialen können Farbgebung und Oberflächenstruktur der Fliese vom gezeigten Bild abweichen. Sie sind online bestellbar zu einem Stückpreis von 29,00 Euro inkl. MwSt. In der Produktbeschreibung jeder Fliese kann man auch noch ein bißchen mehr erfahren über die Bedeutung, die die Motive jeweils für die Menschen des Mittelalters hatten.
Format: ca. 16,5 x 16,5 cm | Stärke: ca. 1,7 – 1,8 cm | Verarbeitung: farbig glasierte Tonfliese | Gewicht: ca. 850 – 1.050 Gramm
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Und noch etwas
1529 wurde die Klosterkirche von Ihlow zerstört wie viele andere katholische Klosteranlagen während der Reformation in Ostfriesland. Die Bodenfliesen sind eine der wenigen noch heute erhaltenen Zeitzeugen dieser Epoche. Auf dem ehemaligen Klostergelände bei Aurich erhebt sich seit 2009 eine Klosterstätte, die mit moderner Gedenkarchitektur an den ehemals zweitgrößten Sakralbau Ostfrieslands erinnert und dessen ursprünglich gewaltigen Ausmaße als Imagination wieder erlebbar macht.
- Historisches Museum Aurich: Ausstellung mit Originalen der Bodenfliesen
- S. König, Fabelhafte Fliesentiere: Die Tiere und Fabelwesen auf den mittelalterlichen Fliesen des Klosters Ihlow. In: Archäologie in Niedersachsen 13, Oldenburg 2010, 71-74.
- W. Schwarz, Die Relief- und Prägefliesen des Zisterzienserklosters Ihlow. In: H. van Lengen (Hrsg.), Collectanea Frisica. Beiträge zur historischen Landeskunde Ostfrieslands. Walter Deeters zum 65. Geburtstag. Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte Ostfrieslands Bd. 74, Aurich 1995,46-73.