Was ist das denn für ein seltsamer Vogel? Das trägt Man(n) als Klaasohm auf Borkum, wenn es am 5. Dezember wie jedes Jahr gilt, den Frauen der Insel ganz im Nordwesten Deutschlands zu zeigen, wer eigentlich das Sagen hat und ihnen mit Kuhhörnern ordentlich den Hintern zu versohlen. So ist es Brauch auf dem ostfriesischen Eiland – und zwar nur dort und nirgendwo sonst. Eine etwas merkwürdige Art den Nikolaus zu begrüßen, aber an diesem Tag sind die Insulaner meistens unter sich und pflegen so manches geheime Ritual rund um ihr großes Fest, das ihnen fast schon wichtiger als Weihnachten ist.Es gibt kaum Fotos, wenig Artikel und Berichte darüber, selbst viele Festland-Ostfriesen haben davon noch nie gehört. Ausgerichtet wird das Spektakel immer vom Verein Borkumer Jungens e.V, in dem praktisch jeder unverheiratete Mann, der auf der Insel geboren wurde, Mitglied ist bis er heiratet. Denn nur ledig darf er dabei sein, wenn alle am späten Nachmittag im Schuppen der Inselbahn zusammenkommen, vielleicht sogar selbst sich zum Klaasohm verwandeln. Von den voll maskierten wilden Männern gibt es auf Borkum nicht nur einen, sondern gleich sechs. Die sechs Klaasen, zwei kleine, zwei mittlere und zwei große werden nach über Generationen weitergegebenen Regeln gekürt über die alle Beteiligten später Schweigen wahren: Kein Wort dringt nach außen.
Eine Stunde später öffnen sich die Tore und die sechs Klaasohms stürmen Furcht erregend maskiert hinaus in die Dunkelheit des Dezembers, empfangen von Hunderten draußen, die sie mit Schellen und Kuhhornfanfaren lautstark begrüßen. Die bis zu einem halben Meter hohe Maske eines Klaasohm ist mit Schafsfell, Möwenflügeln und Federn bezogen und unglaublich schwer, sie kann bis zu 38 Kilogramm wiegen. Viel ist durch die Schlitze nicht zu sehen, so werden die Maskenmänner auch meistens geführt. Allen voran läuft Wiefke, das Weib, hinter dem sich ein siebter Junggeselle versteckt, verkleidet mit einer Wolfsmaske
Im Dauerlauf geht es nun in die Stadt, grölend, tanzend, immer auf der Jagd nach jungen, ihnen bekannten Frauen, die sich tunlichst an diesem Tag allesamt lieber nicht auf der Straße sehen lassen. Mädchen, verheiratete Mütter und Ältere werden verschont, die bekommen Moppe, eine Art Honigkuchen, von den schlagenden Männern. Einmal erwischt, kann’s aber auch wehtun. Denn bei den jungen Damen greift der grauenvoll maskierte Klaasohm zum Kuhhorn und lässt es nieder auf den zarten Hintern sausen. Auch wenn heute nicht mehr richtig zugeschlagen wird, bleibt doch der ein oder andere rote Fleck auf dem Popo. Demütigend ist das Ritual allemal und das war über Jahrhunderte auch der Zweck der Veranstaltung: Denn Borkums Männer waren Walfänger und oft monatelang nicht zu Hause. Wenn sie dann im Winter wieder zurückkamen, musste wieder klar gestellt werden, wer der Herr im Hause ist – und sei es nur symbolisch durch das Klaasohm-Ritual.
Heute ist das Ganze ein großer Spaß – das Jagen und Verstecken von Männlein und Weiblein. Selbst die Reporterin der Welt fand vor Jahren Gefallen am archaischen Spiel: Das Grauen vor den Ungetümen, die Angst und der Triumph, den wilden Jägern ein Schnippchen geschlagen zu haben und eben nur fast geschnappt worden zu sein. Auch für die holde Weiblichkeit hat das frauenfeindliche, sexistische Spiel nämlich durchaus seinen Reiz, einen ganz eigenen Kitzel.
Die weihnachtliche Hatz endet immer an einer Art Litfasssäule in der Stadtmitte: die müssen die sechs Klaasohms in voller Montur besteigen. Dort oben ballen sie die Fäuste vor der zitternden Brust, schreien martialisch und stoßen schaurige Klänge aus ihren Kuhhörnern, bevor sie sich von oben in die jubelnde Menschenmenge hinunter fallen lassen. Ganz zum Schluss springt Wiefke den Männern mit der Maske hinterher, und nur kurz darauf ist der eben noch rasende Platz menschenleer. Ein Spuk, vorbei.
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