Das waren noch Zeiten, als Aurich mit frischen Bohnen um einen Urlaub in Ostfriesland warb: “Auricher Bohnen”- ein köstliches Essen zu jeder Jahreszeit” hieß es im Nachkriegsjahr 1946. Das könnte auch heute noch als Slogan funktionieren, denn die lebendige Kreisstadt, mitten im Festland der ostfriesischen Halbinsel gelegen, wirbt aktuell als “Stadt im Grünen” um ihre Besucher. Da würde sich regionale Küche mit grünem Gemüse doch gut in das frische Image des Auricher Tourismusmarketing einfügen.
Viele solche Kuriositäten aus der Zeit als der Tourismus Einzug ins flache Land hielt, als Reisen für immer breitere Bevölkerungsschichten möglich und die touristische Infrastruktur entsprechend ausgebaut wurde, hält das Historische Museum in Aurich derzeit in einer Sonderausstellung bereit. Sie ist Teil einer regional übergreifenden Gemeinschaftsausstellung an der sich – mit unterschiedlichen Schwerpunkten – ingesamt elf Museen aus dem Museumsverbund Ostfriesland beteiligen.
“Unnerwegens” heißt es dieses Jahr aller Orten in Ostfriesland, so auch in Aurich. Noch bis zum 10. Dezember dreht sich dort alles um Aurich als Reiseziel, aber auch um Aurich als der Startpunkt für eine Reise, die privat oder beruflich bedingt aus der Stadt führte. Wer sich als Besucher durch das frisch restaurierte Dachgeschoss des denkmalgeschützten Gebäudes bewegt, die ehemalige “Alte Kanzlei” der Residenz, der passiert dabei auch eine kleine Kulturgeschichte des Reisens.
Das war anfangs noch sehr beschwerlich, wie die Auricher Ausstellung eindrucksvoll zeigt. Zu den vielen zeitgeschichtlichen Exponaten gehört auch ein riesiger transportabler Reiseschrank. Koffer kann man dieses Ungetüm mit integrierten Schubladen und Kleiderstange wohl nicht mehr nennen, das einer allein kaum wuchten konnte. Auch das mobile Büro aus den frühen Zeiten des Reisens war um einiges sperriger als unsere heutigen Laptops und Tablets, wie ein besonders seltenes Stück aus der Sammlung, ein Reisesekretär mit grüner Schreibunterlage und Fächern für Schreibutensilien wie Tusche und Feder, vor Augen führt.
Aurichs zentrale Lage im Herzen Ostfrieslands war schon immer ihr Pluspunkt. Die gute Erreichbarkeit aus allen Winkeln des Landes war auch einer der Gründe für Graf Edzard II. seine Residenz 1561 von Emden hierher zu legen. Schon zu dieser Zeit gab die attraktive Umgebung der Stadt mit diversen Jagd- und Sommerschlößchen manchen Anreiz für eine Reise oder einen Ausflug. Dazu regte auch einige Jahrhunderte später der Auricher Bürgermeister Karl Anklam 1926 seine Einwohner an. Er empfahl zudem eine Fahrt zu den Ostfriesischen Inseln, denn der Schiffanleger nach Borkum und Norderney war damals für Auricher bequem per Schiene zu erreichen: Die Staatsbahn schloss die Stadt über Emden direkt an die Hauptbahn Norddeich-Hamburg-Berlin an.
Über diese Verbindung gelangten auch die Touristen nach Aurich. Dort angekommen empfingen sie einst ein prächtiges Bahnhofsgebäude und fünf Hotels. Mit dem direkt an der Bahnhofsstrasse gelegenen Hotel und Restaurant Piqueurhof wartete sogar ein “Haus ersten Ranges” wie die Werbung aus jenen Tagen preist. Die Announce aus den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts weist sogar auf eine Automobil-Centrale für die Anmietung eines Leihwagens hin, um auch vor Ort beweglich zu bleiben.
Heute sichert der Omnibus den öffentlichen Personen-Nahverkehr in Aurich. Von dessen frühen Anfängen berichtet die Ausstellung im Historischen Museum auch: In einem Zeitungsinserat von 1891 ist etwa von einem Modell “Omnibus Beckenform” für den Transport von Fahrgästen die Rede. 1888 veröffentlichte der Posthof Ogenbargen bereits eine Liste privater Beförderungsanstalten mit Omnibusbetrieb. So startete etwa regelmäßig zweimal die Woche um 7:00 Uhr ein 14-sitziger Omnibus aus Dornum Richtung Aurich, wo er um 9.30 Uhr eintraf. Um 3.30 Uhr nachmittags ging es dann wieder zurück, planmäßige Ankunft in Dornum um 6 Uhr abends. Zu dieser Zeit war der Omnibus allerdings noch ein Gefährt, das von Pferden gezogen wurde, quasi eine überdimensionale, nach Fahrplan verkehrende Kutsche.
Die Zeitreise führt auch in die Nachkriegsjahre des 20. Jahrhunderts, in denen die Deutschen zunehmend mobiler und reisefreudiger wurden. Eine Reise an die Nordsee und zu den Ostfriesischen Inseln, der Badeurlaub im Meer – die Region mit ihrer traumhaften Lage wurde ein Sehnsuchtsziel vieler Menschen.
Das Historische Museum in Aurich hat für “Unnerwegens” eine Fülle von Ausstellungsobjekten zusammen getragen, die an die große Aufbruchzeit des Massentourismus erinnert, als eine Reise an die deutsche Nordseeküste noch ein tiefes Fernweh auslöste. Es findet sich jede Menge Zeitkolorit in den gläsernen Schaukästen: alte Reiseführer und Merian-Hefte, Reiseschreibmaschinen und -radios, modische Badeanzüge und -kappen, Sonnenbrillen im schnittigen Schmetterlingsformat, Postkarten, Fotoapparate und Souvenirs um die schönsten Tage im Jahr mitzuteilen und noch lange festzuhalten. Es ist sogar ein waschechtes Pfadfinderzelt aufgebaut und erinnert an Urlaubsreisen zur Nord- und Ostsee in den 50er/60er Jahren. Ein Exponat, was Museumsleiterin Brigitte Junge besonders ins Herz geschlossen hat, weil es bei ihr persönlich viele Erinnerungen wach ruft. Besonders stolz ist sie aber auf ein anderes Schmuckstück ihrer Ausstellung: eine Reisetasche, die in feinster Gobelinstickerei aus Perlen eine Dampflokomotive zeigt. Dieses ist dann auch das zentrale Motiv des Ausstellungsplakats von Grafiker Peter Marx geworden.
Die Spurensuche des Auricher Museums in die Vergangenheit des Reisens ist jedenfalls gelungen. Zu Verdanken ist die Vielfalt einem einzigartigen Netzwerk ostfriesischer Museen und nicht zuletzt den vielen, die mitgeholfen haben: Der
Verkehrsverein, die Pfadfinder, die Bus- und Reiseunternehmen und manche Auricher Familie – sie alle haben hier Erinnerungsstücke zur Verfügung gestellt. Wer mehr erfahren möchte, der sollte den Vortrag von Brigitte Junge am 27. Oktober 2017 in Carolinensiel im Deutschen Sielhafenmuseum, Alte Pastorei, Pumphusen 3, nicht verpassen. Dort erzählt sie ab 19:00 Uhr über “Unnerwegens – Reisen von, nach und in Ostfriesland”.
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