11.500 Quadratkilometer ist es groß, dieses weltweit einzigartige amphibische Gebilde, das sich rund 500 Kilometer entlang der niederländischen und deutschen Küste bis vor Dänemark zieht. 2009 ist es von der UNESCO zum Weltnaturerbe der Menschheit ernannt worden: das Wattenmeer. Zwar war der Nationalpark Wattenmeer durch deutsche Gesetzgebung schon lange geschützt, doch die internationale Auszeichnung adelte das Schwemmland im Norden Deutschlands und stellte es auf eine Stufe wie den Grand Canyon in Nordamerika oder das Great Barrier Reef in Australien. Seitdem heißt es im bis dahin eher zurückhaltenden ostfriesischen Tourismus-Marketing ganz weltmännisch „Welcome to the Wadden Sea World Heritage Site“. Nun sage keiner, Ostfriesland sei nicht vorbereitet auf internationale Besucher!
International gebündelt und koordiniert werden sämtliche Aktivitäten vom Gemeinsamen Wattensekretariat mit Sitz in Wilhelmshaven, das in Zusammenarbeit mit zahlreichen Institutionen in den beteiligten Ländern zusammenarbeitet. Im föderalen Deutschland sind es allein drei Nationalparkverwaltungen – die vom Schleswig-Holsteinischen, vom Hamburgischen und vom Niedersächsischen Wattenmeer -, die sich im zentralen Nationalpark Wattenmeer zusammenfinden müssen, dazu kommen dann noch die Verwaltungen aus den Niederlanden und aus Dänemark. Viele Adressen, viele Ansprechpartner, viele Interessen. Einfach komplex, die ganze Angelegenheit. Und mittendrin: die Wattführer.
Denn auf deren Schultern – oder besser schlickerprobten Beinen – ruht ein großer Teil des alltäglichen Bildungs- und Informationsauftrages. Sind sie es doch, die Millionen von Touristen während der Saison tagtäglich durchs Watt führen und das Wattenmeer erst für jedermann erlebbar machen. Auch die Wattwanderanbieter entlang der ostfriesischen Küste haben sich den neuen Zeiten und der wachsenden Bedeutung ihrer Arbeit angepasst, manchmal auch anpassen müssen. Wer heute mit Gästen ins Watt geht, der hat oft eine Schulung durchlaufen, seit 2001 kann man sich zum Nationalpark-Wattführer zertifizieren lassen. Das macht für die überprüfbare Qualitätssicherung eines werthaltigen touristischen Angebotes Sinn, hat aber nichts mehr zu tun mit den seligen Zeiten, als man mit seinen Gruppen einfach mal so loszog ins Watt.
Für freiheitsliebende und selbstbestimmte Ostfriesen – und wer würde behaupten, dass die so naturnahen, meist kernig-urigen Wattführer dieses nicht ganz besonders wären – ist das auf jeden Fall eine große Umstellung. Auch ist dieser spezielle Berufszweig, der oft nebenberuflich, häufig als reiner Familienbetrieb ausgeübt wird, einer zunehmenden Professionalisierung ausgesetzt. Als letztes Jahr die Wattführer von Neßmersiel, einem der wichtigsten und hochfrequentierten Ausgangsorte für Wattwanderungen an der Nordsee, der Baltrumer Fährlinie mitten im Sommer mit Streik drohten, ging es vielen nicht zuletzt auch darum, sich steuerlich den günstigen Status von Kleinstunternehmertum und Nebenerwerb zu erhalten.
Einer, der das Geschäft um die Wattführungen hauptberuflich und äußerst professionell angeht, ist Joke Pouliart. Seit letztem Jahr wirbelt der umtriebige, passionierte Segler, staatlich geprüfter Watt- sowie zertifizierter Natur- und Landschaftsführer die Szene ganz schön auf. 2016 hat er direkt im Hafen von Harlesiel, beim Wattkieker, sein Wattwanderzentrum Ostfriesland eröffnet. Das ist zunächst einmal ein sehr erfolgreich anlaufendes Ladenlokal, in dem man alles bekommt, was das Herz des Wattwanderfreundes begehrt: Man kann dort Wattwanderungen buchen und Tickets abholen, auch gleich die passenden Wattwanderschuhe dazu kaufen und sich sogar mit Lektüre zum Thema versorgen, beispielsweise vom Mare Verlag, der einen seiner Concept Stores nun auch hier in Harlesiel hat.
Was für Außenstehende so selbstverständlich klingt, ist tatsächlich eine kleine Revolution. Denn ein solches Ausflugspaket fürs Watt muss man sich anderswo in Ostfriesland noch alles einzeln zusammen stellen: die Wattführung – meistens telefonisch und oft nur abends – beim Wattführer buchen, sich Wattwanderschuhe wiederum im Sport- oder Schuhgeschäft kaufen und sich dann in der Buchhandlung mit Büchern oder Magazinen übers Watt eindecken. Im Wattwanderzentrum von Harlesiel hat der Wattinteressierte dagegen jetzt alles aus einer Hand. Eine Idee, die sicherlich auch an anderen Orten regen Wattwanderverkehrs genauso gut einschlagen würde.

Doch Joke Pouliart ist bereits einen Schritt weiter. Und der betrifft die Digitalisierung des Angebotes. Nicht, dass es nicht bereits Internetseiten von Wattführern gäbe. Wer nach Baltrum oder Norderney wandern möchte, der kann sich bei www.wattfuehrer.com der Familie Ortelt informieren, bei www.watterlebnis.de von Niko Osterkamp, über www.wattwanderung-wattenmeer.de mit Bianca ins Watt oder mit Sigi sicher durchs Watt gehen. Auf der Internetseite des Wattwanderzentrums Ostfriesland kann man sich jedoch nicht nur informieren, sondern auch gleich buchen. Und nicht nur solche Wattwanderungen, die in Harlesiel starten, gehören zum Angebot, sondern auch solche von anderen Orten, wie beispielsweise von Neßmersiel nach Baltrum. Auch das Fährticket für die jeweilige Insel kann bereits online erworben werden.
Die Internetseite von Joke Pouliart ist eine mächtige Buchungsplattform für Wattführungen, in dieser Form die erste und damit wegweisend. Sieben Nationalpark Watt- und Gästeführer, darunter auch zwei Frauen, haben sich mittlerweile unter dem Dach des Wattwanderzentrums Ostfriesland versammelt und sind darüber buchbar. Die Domains für Wattwanderzentrum Nordfriesland und Wattwanderzentrum Cuxhaven hat sich der vorausblickende Unternehmer Pouliart auch bereits gesichert. Man weiß ja nie. Sehr klug auch die Wahl des Namens www.waddensea.travel. Dahinter verbirgt sich momentan inhaltlich noch die Website des Wattwanderzentrums. Doch die englischsprachige Domain zeigt gleich, wo es lang geht: nämlich Richtung internationaler Gast. Für den will Joke Pouliart langfristig Pauschalpakete für den Besuch des Weltnaturerbes Wattenmeer schnüren – inklusive Wattwanderung natürlich, aber mit weiteren Leistungen: Übernachtungen, kulturelle Sehenswürdigkeiten und Touren, kulinarische Angebote, Transfer. “Ich will ein Reiseprodukt entwickeln, das auf dem internationalen Markt besteht”, so Pouliart.
Er weiß um die Macht der Worte, um die Macht von Internet-Domains und hat eine Vision von der Zukunft des Wattenmeer-Geschäfts. Auch wenn man es dem Naturmenschen Pouliart mit seinem weithin bekannten Markenzeichen, dem bunten Hut mit Feder, so gar nicht ansieht, dahinter verbirgt sich ein Idealist mit dem Gespür für gutes Marketing und dem richtigen Riecher für die Geschäftsfelder der Zukunft. Was bei Joke Pouliart allerdings immer Priorität hat, ist die Nachhaltigkeit allen Wirkens. Ihm geht es um die Entwicklung eines nachhaltigen Tourismus, um den Aufbau eines starken Netzwerkes aus Nationalpark-Partnern, die sich dem Schutzgedanken des Welterbes Wattenmeer bewusst sind und verpflichtet fühlen.
Zur Entwicklung eines auch internationalen Pauschalprogramms für Wattenmeer-Touristen gehört für ihn daher die Schulung von Gastronomen und Hotelbetreibern zu zertifizierten Gästeführern des Nationalparks zwingend dazu. Die ganze Region sollte idealerweise vom Welterbegeist durchdrungen sein: “Wattenmeer ist die Marke, die man stärken muss.” Genau so spricht ein Partner des Nationalparks Wattenmeers und genau zu dem wurde das neue Wattwanderzentrum Ostfriesland in Harlesiel im letzten Jahr auch ernannt. Dieses bietet über seine Buchungs-Plattform im Internet bereits jetzt schon eine Reihe zusätzlicher Natur- und Kulturführungen an.
Ach ja, und wattwandern war Ostfriesland Reloaded auch – mit Joke Pouliart auf Wattsafari zu den “Small Five” des Wattenmeeres vor Harlesiel. Was Afrika seine großen “Big Five” – Elefant, Nashorn, Büffel, Löwe und Leopard -, das sind der Nordsee ihre fünf kleinen Stars: der Wattwurm, die Herzmuschel, die Strandkrabbe, die Wattschnecke und die Nordseegarnele. Marketing, natürlich. Aber nur so kommt Kleines ganz GROSS raus: “Welcome to the Weltwunder!”

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Und noch etwas
Die Auszeichnung Weltnaturerbe ist viel seltener als die häufiger erteilte Auszeichnung zum Weltkulturerbe der UNESCO. Mit Stand 2017 sind von den insgesamt 42 Welterbestätten Deutschlands nur 3 Naturerbestätten. Das Deutsche Wattenmeer war die zweite dieser seltenen Art. Zur besonders schützenswürdigen Umwelt in Deutschland gehören laut UNESCO und WIKIPEDIA in chronologischer Reihenfolge
Seit 1995: Die Grube Messel
Die Grube Messel war Deutschlands erstes Weltnaturerbe. Sie liegt im südhessischen Messel im Landkreis Darmstadt-Dieburg. Wegen der hervorragenden Qualität der in einem stillgelegten Ölschiefer-Tagebau geborgenen Fossilien aus dem Eozän wurde sie 1995 zum UNESCO-Weltnaturerbe ernannt. Bislang wurden dort Vertreter aller Wirbeltier-Großgruppen sowie Insekten und Pflanzen gefunden einschließlich eines komplett erhaltenen fossilen Krokodils.
Seit 2009: Deutsches Wattenmeer
Das weltweit größte Wattenmeer sowie ein weltweit bedeutender Lebensraum für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten bildet eine grenzüberschreitende Naturerbestätte. Seit 2009 wurden zunächst das niederländische Wattenmeer-Schutzgebiet und die Wattenmeer-Nationalparks in Niedersachsen und Schleswig-Holstein in die Welterbeliste aufgenommen. 2011 wurde das Welterbe um den Nationalpark Hamburgisches Wattenmeer erweitert. Seit 2014 umfasst es ebenfalls den dänischen Nationalpark Wattenmeer.
Seit 2011: Alte Buchenwälder Deutschlands
Der deutsche Anteil des gesamten Weltnaturerbes, der mittlerweile zahlreiche räumlich getrennte Gebiete in Europa mit insgesamt 92.023 Hektar umfasst, beträgt 4.391 ha alte, naturnahe Altwälder. Dazu gehören:
- Grumsiner Forst (Brandenburg) – 590 ha, Gründung 1990
- Nationalpark Kellerwald-Edersee (Hessen) – 1.467 ha, Gründung 2004
- Nationalpark Jasmund (Mecklenburg-Vorpommern) – 493 ha, Gründung 1990
- Serrahner Buchenwald (Mecklenburg-Vorpommern) – 268 ha, Gründung 1990
- Nationalpark Hainich (Thüringen) – 1.573 ha, Gründung 1997