Wer sich in den letzten Monaten beim Kauf ungepulter Nordseekrabben beinahe verschluckt hätte angesichts eines Preises von 15 Euro das Kilo, für den gibt es jetzt gute Nachrichten: Die Nordseegarnele ist wieder da! Seit letzter Woche kehren die Krabbenfischer wieder mit volleren Netzen in die Sielhäfen entlang der ostfriesischen Nordseeküste zurück. Es keimt ein wenig Hoffnung auf, dass 2017 vielleicht doch nicht so schlimm endet wie bisher befürchtet. Denn die aktuelle Fangsaison drohte bisher noch schlechter zu werden als 2016, die als die schlechteste seit 26 Jahren in die Geschichte einging. 2015 hatten die 180 deutschen Krabbenfischer noch rund 12.000 Tonnen gefangen, 2016 war die Fangmenge gerade mal die Hälfte, wie wird 2017 enden?

Die Frage lässt sich gar nicht so leicht beantworten: “Jährliche Prognosen sind so gut wie unmöglich beim Krabbenfang. Die sind bisher immer noch daneben gegangen”, erklärt Dirk Sander. Und er muss es schließlich wissen. Der 67jährige war lange Jahre selbst in vierter Generation Kutterkapitän in Neßmersiel. Heute ist er einer der führenden Köpfe der Kutter- und Küstenschifferei in Deutschland, gleich vier Verbänden steht er in leitender Funktion vor, unter anderem ist er Vizepräsident des Deutschen Fischereiverbandes. Er war auch einer der treibenden Kräfte, die 2013 zur Gründung der Erzeugergemeinschaft Deutscher Krabbenfischer (EzDK) mit Hauptsitz in Cuxhaven führte. Damals schlossen sich die Gesellschafter von 102 Krabbenkuttern aus insgesamt 20 Häfen zu einer einzigen deutschen Erzeugergemeinschaft zusammen.
Zurzeit listet die EzDK insgesamt 98 angeschlossene Schiffe. In die drei vom Verbund betriebenen Siebstellen in Cuxhaven, Büsum und Neuharlingersiel wird zunächst jeder Fang, der in den Häfen anlandet, transportiert. Dort werden die frisch gefangenen Nordseegarnelen sämtlicher Kutter gewogen, sortiert und in drei Güte- und Preisklassen eingeteilt, bevor sie – meistens außerhalb Europas gepult und wieder zurückgeschickt – über Großhändler und Auktionen in Holland vermarktet werden. Für Ostfriesland liegt die zentrale Siebstelle aller Krabbenfänge in Neuharlingersiel.
Daher kann Dirk Sander, auch einer der vier Geschäftsführer der EzDK und deren Pressesprecher, gut die aktuelle Situation beschreiben, hier laufen alle Zahlen zentral zusammen. Neben der Fangmenge ist es aber vor allen Dingen der Verkaufspreis, der für die meisten Krabbenfischer eine entscheidende Rolle spielt. Die Preise werden auf den Auktionen in Holland gemacht und die liegen zurzeit hoch. Sander: “Üblich sind so um die 4 Euro pro Kilo, momentan gibt es um die 10 Euro. Der hohe Verdienst pro Kilo gleicht die geringe Fangmenge wieder aus.” Im letzten Jahr machten die Krabbenfischer daher trotz halbierter Fangmenge ein sehr gutes Geschäft. Laut Berechnungen vom Hamburger Thünen-Institut für Seefischerei ergab sich ein Erlös von 272.312 Euro pro Schiff. Das sah im Katastrophenjahr 2011 als die Meere voll von den kleinen Schalentieren und der Fang wegen des Überangebotes entsprechend schlecht entlohnt wurde, noch ganz anders aus, da brach das Geschäft um die Hälfte ein, wurde gerade einmal 133.645 Euro pro Schiff erlöst.
Während man etwa für Kabeljau und Scholle genaue jährliche Prognosen und Empfehlungen für nachhaltigen Fischfang geben kann, wie es der Internationale Rat für Meeresforschung (ICES) bereits Anfang Juli für 2018 gemacht hat, gestaltet sich das bei der gemeinen Nordseegarnele etwas schwieriger. Denn typisch für die Krabbenfischerei ist, dass die Fänge sehr schwanken. Durchschnittlich fangen die deutschen Krabbenfischer um die 15.000 Tonnen Krabben im Jahr – mal etwas mehr, mal etwas weniger. Die letzten Jahre etwas weniger. Woher diese Schwankungen kommen, kann auch Dirk Sander nicht genau sagen: “Dazu spielen einfach zuviele Faktoren eine Rolle. ” Der Freßfeind Nummer eins der Krabben ist momentan der Wittling: ein dorschartiger Fisch, der sich scheinbar überaus stark im Wattenmeer vermehrt hat und sich ordentlich den Bauch mit Nordseegarnelen vollschlägt.
Da reicht der Appetit der Seehunde, die sich wiederum vom Wittling ernähren, nicht aus, um die Bestände so klein zu halten, dass sie keine Bedrohung mehr für die Nordseegarnelen darstellen. Oder sie mögen den Wittling einfach nicht so gerne wie Scholle, Seezunge und Steinbutt. Denn für deren Verschwinden aus dem Wattenmeer macht Dirk Sander vor allen Dingen die pussierlichen Robben verantwortlich, die sich bundesweit von 5.000 auf 35.000 vermehrt hätten. Seitdem die Küstenfischer in Ostfriesland vorwiegend nur noch auf Krabbenfang gehen und nicht mehr Frischfisch jagen, mögen auch die Kapitäne auf den Kuttern die Seehunde wieder. Getreu dem Motto: “Der Feind meines Feindes ist mein Freund” wurde der Jäger des Wittlings auch bei den Küstenfischern zum geschätzten Meerestier.
Krabbenfischerei in der Nordsee ist immer noch etwas Besonderes. Das liegt vor allen Dingen am Produkt: Denn die Krabbe aus der Nordsee ist einzigartig, steht nicht im globalen Wettbewerb. Zudem vermehrt sie sich auch noch so enorm schnell, dass sie die einzige Fischart ist, für die es keine jährlichen Fangquoten gibt. Denn das Geschäft mit den Krabben ist ein dynamisches, verlangt ein viel flexibleres Reagieren als bei den Frischfischen. Gesteuert wird der Krabbenfang mittlerweile dennoch und zwar über die Länge der Fangzeit, die von der Erzeugergemeinschaft Deutscher Krabbenfischer wöchentlich festgelegt wird.
“Jeden Freitag teilen wir den Krabbenfischern unserer Gemeinschaft die Fangzeiten für die nächste Woche mit. So können sich die Kutter entsprechend vorbereiten.” Die Fangzeit kann schon mal auf nur 60 Stunden pro Woche reglementiert sein oder auch maximal 72 Stunden dauern. Diese Woche ist laut Dirk Sanders “Freies Fischen” angesagt, heißt unbegrenzt langer Krabbenfang im ostfriesischen Wattenmeer.
Die Erzeugergemeinschaft schützt mit den Fangzeiten den Krabbenbestand in ihrem Revier, das nur durch nachhaltiges Fischen gesichert ist. Ein funktionierendes Bestandsmanagement ist auch die Voraussetzung für das Marine Stewardship Council (MSC)-Siegel für nachhaltige Fischerei, das die Krabbenfischerei anstrebt und laut einem Zwischenbericht der zuständigen Behörden vom Anfang des Jahres auch auf gutem Weg in diese Richtung ist.
Mehr Sorgen als das Nachhaltigkeitssiegel machen den Krabbenfischern an der Nordseeküste derzeit die merklich schrumpfenden Fanggebiete. Sperrzonen für die Fischer gibt es bereits viele wie etwa für die Offshore-Windparks oder die Seekabel-Gebiete. Jetzt gibt es ein neues Problem: Damit ihre großen Kohlenschiffe das Kraftwerk in Eemshaven ansteuern können, baggern die Niederländer nebenan den Grenzfluss Ems aus. Den ausgebaggerten Sand verklappen sie dann allerdings im deutschen Naturschutzgebiet Borkum-Riff. Und genau hier liegen die Fanggebiete der ostfriesischen Krabbenfischer. Das haben deutsche Behörden genehmigt und das hat im März des Jahres für erheblichen Unmut im Landesfischereiverband Weser-Ems gesorgt. “Der Sand sinkt förmlich wie ein Leichentuch auf die Krabben. Der ist an manchen Stellen mittlerweile drei Meter hoch”, schildert Dirk Sanders die unerfreuliche Lage für Fische wie Fischer und fordert mehr Mitspracherecht von der Politik.
Rund 55 Krabbenkutter liegen zur Zeit in den ostfriesischen Häfen. Sie üben mit der Krabbenfischerei eine der ältesten Kulturtechniken in der Nordsee aus, machen Sielhäfen heute zu malerischen Orten und sorgen für Umsatz und Touristen. Seit dem 17. Jahrhundert werden Nordseegarneelen im Wattenmeer gefangen. Mal sind es viele, mal sind es weniger. Mal sind sie teuer, mal ein wenig günstiger. Aber schmecken – das tun sie immer!
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Und noch etwas
Krabben, Nordseegarnelen oder Granat? Was ist richtig?
Mit den Namen ist es bei den ostfriesischen Meeresfrüchten manchmal etwas verwirrend. So werden Nordseegarnelen beispielsweise selten mit ihrem richtigen Namen angesprochen. „Granat“ nennen sie die Ostfriesen. Als „Krabbe“ wird die Nordseegarnele gerne Touristen angeboten. Eines ist in „Krabbenbrötchen“ aber garantiert nicht drin: eine einzige Krabbe. Auch die echte Strandkrabbe ist trotz des Namens keine Krabbe, sondern eigentlich ein Krebs. Der frisst so alles, was ihm vor die Scheren kommt. Das Wort „Krabbe“ sollte man also im ostfriesischen Wattenmeer besser gar nicht in den Mund nehmen, denn meistens ist es falsch. Dennoch hat sich der falsche Name mittlerweile eingebürgert. Selbst die Erzeugergemeinschaft Deutscher Krabbenfischer hat sich mit ihrem Namen den biologisch nicht ganz so korrekten Gepflogenheiten angepasst.
Übrigens, über die Nordseegarnele (Crangon crangon) weiß man erstaunlich wenig: Sie gehört zur Gruppe der Zehnfußkrebse, erreicht eine Länge zwischen fünf und sieben Zentimetern. Es handelt sich um einen einjährigen Organismus, der nur in der warmen Jahreszeit im Wattenmeer anzutreffen ist. Sobald es kälter wird, wandern die Tierchen ins Tiefwasser ab. Im Spätsommer und im Herbst ist der Nachwuchs des Frühjahrs ausgewachsen. Bald gibt es also die dicksten “Krabben”!