Es war nicht die Lilie, nein, es war eine Biene, die plötzlich in der Symbolik des Landes ganz oben stand: Unter Napoleon wurde sie zum Wappentier des neuen französischen Reiches und damit – wenn auch nur sehr kurz – ebenfalls zur zentralen tierischen Symbolfigur in Ostfriesland. Denn das stand ab 1806 unter französischer Herrschaft, seit 1810 als Department de l’Ems oriental (Department östlich der Ems) und musste wohl nicht nur bei Militär, Steuern und Verwaltung, sondern auch in so symbolträchtigen Dingen wie kleinen Wappentieren dem neuen Herrn Folge leisten.
Doch wie kam Napoleon Bonaparte eigentlich auf die Biene? Der gallische Hahn oder ein Elefant waren auch in der Diskussion als der Staatsrat zur Krönung des jungen Kaisers 1804 nach neuen Insignien der Macht suchte. Die sollten sich vor allen Dingen von dem vorherigen Herrschergeschlecht, den Bourbonen, und ihrer allgegenwärtigen Lilie unterscheiden. Da erinnerte man sich an ein Grabmal der ersten Königsfamilie des Frankenreiches, den Merowingern. Der Grabschatz des Königs Childerich I., der 1653 im belgischen Tournai gefunden wurde, enthielt fast dreihundert goldene Bienen. Mit der Wahl der Biene zur Symbolfigur konnte die neue Dynastie an die Anfänge der Nation anknüpfen.
Ein Gedanke, der Napoleon sehr zusagte, so dass er seine anfänglichen Bedenken wegen der rein weiblichen Führung im Bienenstaate fallen ließ. Denn sie stehen auch als Sinnbild für “eine Republik, die einen Chef hat”. Bereits in Mittelalter und Renaissance hatte man in der Bienengesellschaft ein für die Menschen perfektes soziales Modell gesehen. 1263 schrieb Brunetto Latini bereits über einen Bienenkönig:
“Die Bienen führen eine Hierarchie in ihr Volk ein und behalten eine Unterscheidung zwischen dem einfachen Volk und der Gemeinschaft der Bürger. Sie wählen ihren König. […] derjenige, der als König gewählt wird und Herr über alle wird, ist derjenige, der am grossten, am schönsten ist und das beste Leben führt. […] Aber wenn er auch König ist, sind die Bienen völlig frei und besitzen eine uneingeschränkte Macht : aber der Gute Wille, den ihnen die Natur geschenkt hat, macht sie dennoch liebenswert und ihrem Herrn gehorsam. […] Die Bienen lieben ihren König so sehr und mit solcher Treue, dass sie der Meinung sind, es sei gut zu sterben um ihn zu schützen und zu verteidigen.”
Für die Krönungszeremonie Napoleons und seiner Frau am 2. Dezember in der Notre-Dame de Paris wurde die majestätische Biene dann geradezu exzessiv eingesetzt. Die Mäntel und Schleppen des selbstgekrönten Kaisers und seiner höchsten Würdenträger waren mit goldenen Bienen bestickt, ebenso Teppiche, Vorhänge und Banner. Niemandem außer dem kaiserlichen Hofstaat und einigen handverlesenen Offizieren war es gestattet, das Symbol zu tragen.
Eine Bonne ville de l’Empire français (übersetzt: Gute Stadt des französischen Imperiums) gehörte im Frankreich des Napoleon I. zu den Städten “erster Ordnung” und durfte gemäß den neuen Vorschriften zur Wappenkunde drei Bienen im roten Schildhaupt tragen. Das französische Mainz war beispielsweise eine der von Napoleon so geadelten Städte. Wenn sich also irgendwo in Ostfriesland noch kleine Bienchen an historischen Decken und Gebäuden tummeln, dann stammen sie bestimmt aus dieser kurzen Epoche ostfriesischer Geschichte.
Im November 1813 übernahm der König von Preußen wieder das Ruder in Ostfriesland. Vorbei war es mit den goldenen Bienen. Doch der Adler als weitere zentrale Figur im Wappen blieb erhalten. Denn auch die Preußen in Berlin setzten auf den Greifvogel. Statt auf goldenes Gefieder wie noch unter Napoleon, blickten die ostfriesischen Untertanen fortan auf ein mächtiges Wappentier in schwarz.
Die kleinen Bienchen hatten in der französischen Heraldik nur einen kurzen Frühling. Nach dem Sturz Napoleon I. wurden sie abgeschafft und auch später nie mehr wieder eingeführt.