Varroa destructor – so heißt sie, die zerstörerische Milbe. Der martialische Name passt gut zu dem Parasiten, der sich auf den Honigbienen breit macht und sie förmlich ausssagt. So klein wie sie ist, so groß ist der Schaden, den die rötliche Milbe unter den Bienenvölkern der Welt anrichtet. Vor allem ihr Virencocktail, den sie bei Befall überträgt, ist tödlich. Die Varroamilbe gilt bei vielen Experten als einer der Hauptverursacher des auffällig hohen Bienensterbens. Beim Frühjahrs-Check, den Imker jedes Jahr zum Start in die neue Saison machen, waren 2016/2017 wieder überdurchschnittlich große Verluste zu verzeichnen. Rund 11.500 Imker aus ganz Deutschland hatten sich an einer Umfrage des Deutschen Imkerbundes beteiligt.
Präsident Peter Maske referierte Anfang Mai diesen Jahres das traurige Ergebnis: “Die nun ermittelten Verluste von rund 20 Prozent bestätigen unsere Befürchtungen und bedeuten, dass auf Deutschland bezogen ein Verlust von rund 170.000 Bienenvölkern zu beklagen ist. Diese stehen im Frühjahr zur Bestäubung vieler Kultur- und Wildpflanzen nicht zur Verfügung.” Hauptursache für die Wintersterblichkeit sei nach wie vor der Befall der Bienenvölker mit der Varroamilbe.
Diese wurde 1977 vom asiatischen Raum nach Deutschland eingeschleppt. Mittlerweile ist fast die ganze Welt mit der Varroamilbe infiziert. Lediglich Australien ist noch ein unberührter Fleck auf der globalen Landkarte der Milbenwanderung:
Man hat bis heute kein geeignetes Mittel zur Bekämpfung der Plage gefunden: weder Ameisensäure oder Milchsäure brachten Erfolge. Ein schonendes Mittel, mit dem Imker ihre Völker retten können, gibt es bislang nicht. Auch neueste Ansätze der Forschung, der Biene für den Parasiten tödliche Erbgutschnipseln zuzuführen und ihn so über die Nahrungsaufnahme zu vergiften, stehen laut dem Nachrichtenmagazin Spiegel (5/2017) noch am Anfang. Der einzig erfolgversprechende Weg ist bis heute die Anzucht varroatoleranter Bienenvölker – also von Bienen, die genetisch besonders stark in der Abwehr von Varroamilben und ihrer mitgebrachten Viren sind. Das geht nur bei kontrollierter Vermehrung. Und hier kommen die Ostfriesischen Inseln ins Spiel…
Ohne menschliches Zutun wären die Inseln eigentlich bienenfrei, denn Bienen scheuen das Wasser und würden niemals freiwillig den weiten Weg über das Wattenmeer nehmen. Trotzdem sind die Ostfriesischen Inseln prädestiniert: Durch ihre isolierte Lage bieten sie den optimalen Paarungsraum für die Bienen.

Jede Insel ist mit einer Belegstelle ausgestattet, in der nur männliche Bienen einer ganz bestimmten genetischen Drohnenherkunft ansässig sind. So kann sich die junge Königin im Hochzeitsflug hier nur mit den ausgelesenen Drohnen der Insel paaren. Das Erbgut bleibt damit gesichert. Jährlich werden mehr als 8.000 Königinnen aus Deutschland und dem Ausland zur kontrollierten Paarung auf die Nordsee-Inseln gebracht. Die Reinzucht stärkt zudem die Widerstandskraft gegenüber Krankheiten. Die Königinnen der Nordseeinseln sichern also nicht nur die Zuchtkonstanz und –entwicklung der Bienen in ganz Deutschland, sondern sind darüber hinaus auch gesünder.
Dieses Prinzip macht man sich im Kampf gegen die Varroamilbe zu nutze. Auf Norderney befindet sich eine so genannte Varroa-Toleranzbelegstelle. Hier befinden sich ausschließlich Drohnen, die eine besonders starke Unanfälligkeit für Varroamilben gezeigt haben. Im Imkerdeutsch heißt das: “Mit dem Konzept der Toleranzbelegstellen versucht die Arbeitsgemeinschaft Toleranzzucht, den natürlichen Ausleseeffekt unterschiedlich anfälliger Drohnenvölker für eine systematische Auslese auf Varroatoleranz zu nutzen. Die aufgestellten Drohnenvölker werden einer ständigen Konfrontation mit dem Parasiten ausgesetzt, in dem sie nicht oder nur sehr eingeschränkt gegen Varroamilben behandelt werden.”
Heraus kommt nach der Paarung mit den Bienenköniginnen später eine äußerst varroaresistente Brut, die zur weiteren Zucht resistenter Völker eingesetzt werden kann. Rund 35 Drohnenvölker sind an drei Standorten und mit zwei Kilometer Entfernung voneinander aufgebaut, um eine optimale Verteilung der Drohnen über die Insel zu erreichen. Nichts weniger als “die Zukunft der Imkerei zu sichern” attestierte der NDR Anfang Mai Belegstellenleiter Detlef Ottersbach in der Sendung DAS!. Gestern wurde die neue Saison 2017 auf der Bienenbelegstelle offiziell eröffnet, die ersten fliegenden Hochzeitsbräute kommen bereits zur Paarung nach Norderney. Rund 2.600 Bienenköniginnen aus ganz Europa werden in den nächsten Wochen hier begattet. Die finden ihre Hochzeitssuite in einem der bunt angemalten Belegkästen, die wie kleine Tupfer überall die Dünenlandschaft zieren.
Der Varroamilbe nun aber die ganze Schuld am Bienensterben in der Welt zu geben, wäre dann aber ganz schön unfair. Denn zum massenhaften Ableben der Insekten tragen verschiedenste Ursachen bei. Auch Pflanzenschutzmittel können den Bienen schaden. Wie der ARD-Sender Planet Wissen letzten Sommer schrieb, “sind es vor allem jene Mittel, die Bauern zur Saatgutbehandlung und -reinigung verwenden, die Neonikotinoide.” Das Mittel wirke laut einem Bericht der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit nicht unmittelbar tödlich auf die Bienen. Die Tiere verlören jedoch an Orientierung und fänden nicht in den Bienenstock zurück.
Die tödlichsten Insektizide sind mittlerweile verboten, doch auch die den Landwirten erlaubten Schädlingsbekämpfer schwächen die Bienenvölker. Im Konflikt zwischen Landwirtschaft und Imkerei kann der Dialog zwischen beiden helfen: Der NDR berichtete jünst von erfolgreicher Zusammenarbeit in den gelben Rapsfeldern Norddeutschlands: Da wird etwa der Zeitpunkt für die Schädlingsbekämpfung auf abends gesetzt, wenn die Bienen nicht mehr so aktiv sind.
Honigbienen scheinen heute aber offenbar generell anfälliger gegenüber Krankheiten und Parasiten zu sein. Schon seit längerer Zeit untersuchen Forscher verschiedene Faktoren wie den weltweit gestiegenen Anbau von Monokulturen und den Transportstress der Völker. Denn die Bienen – vor allen Dingen in den USA – werden mittlerweile zum Bestäuben häufig über Tausende von Kilometern von einem riesigen Anbaufeld zum nächsten gefahren. Dem offensichtlich geschwächten Immunsystem der Honigbienen wie auch den bisher noch ungeklärten Gründen für einen kompletten Bienenkollaps eines Stockes, der Colony Collapse Disorder, widmet sich ein mehrfach preisgekrönter Dokumentarfilm aus dem Jahr 2012: More than Honey. Dem Schweizer Regisseur Markus Imhoof sind bei seiner weltumspannenden Reportage, die ihn auch nach Kalifornien und China führte, spektakuläre Aufnahmen zum Leben, Lieben und Sterben der Honigbienen gelungen – und gleichzeitig ein mahnender Blick auf die Gefahr, in der eines der wichtigsten Naturwunder unserer Erde schwebt: Das fleißigste aller Tiere, das verlässlich von Blüte zu Blüte fliegt, verschwindet langsam. Ein mysteriöses Sterben.
Der überaus sehenswerte Film hat nicht nur viele Preise gewonnen, sondern unzählige Menschen aufgerüttelt. Darüberhinaus machen natürlich das regionale Klima und die jeweiligen Wetterbedingungen im Jahresverlauf einen Unterschied beim Bienensterben. Wie die Karte links zeigt, ist eine Sterblichkeitsquote von 10-20 Prozent über den Winter für unsere Breitengerade zum Jahreswechsel 2012-2013 europaweit festgestellt worden. Je weiter nördlicher das Bienenvolk, umso mehr Verluste sind im Winter zu verzeichnen, auch deutlich über 20 Prozent wie etwa in Finnland. 2017 hat für die Imker Deutschlands beispielsweise nicht gut angefangen: Anfang April war es ausgesprochen warm, die Brut schon weiter entwickelt als gewöhnlich. Dann kam der Kälteeinbruch mit Frost bis teilweise in den Mai. Wenn die jungen Bienen nicht erfroren, dann verhungerten sie: Denn viele Pflanzen traf der Schock der plötzlichen Tiefsttemperaturen ebenfalls hart – sie verloren die frischen Blüten und damit die lebenswichtige Nahrung für die Honigbienen. Diese, jedes Jahr unterschiedlichen Bedingungen schlagen sich natürlich in den Sterberaten der Honigbienen nieder.
Last but not least: der Faktor Mensch. Denn auch unsachgemäße Behandlung durch un- oder schlecht geschulte Imker führt sehr häufig zum Bienensterben. Für manchen Insider ist dieser Faktor mindestens genauso schlimm wie die allseits beschuldigte kleine Varroamilbe, die unter dem Mikroskop betrachtet eigentlich gar nicht so fürchterlich aussieht wie das Massacker, das sie unter den Bienen anrichtet:
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