Ostfriesland Reloaded unternimmt in diesem Themenschwerpunkt den Versuch einer Landvermessung. Das kann eigentlich nur scheitern. Denn das Objekt der Betrachtung ist nicht so leicht zu fassen.
Da ist einmal das historisch-politische Ostfriesland in seinen engeren Grenzen und ohne das Wanger- und Jeverland im Osten, das sich Friesland nennt. Nimmt man diese dazu und einigt sich auf die geographischen Grenzen der Ostfriesischen Halbinsel entsteht der Kunstbegriff Ost-Friesland – eine Mischung aus Ostfriesland und Friesland. Und das gibt es auch noch in einem “engeren” und einem “weiteren” Sinne. Da zieht sich Ost-Friesland noch um den Jadebusen von Rüstringen bis nördlich der Wesermündung nach Wursten und schließt auch das friesische Saterland ganz im Süden mit ein. Die “extended” Version ist eine Definition, die im Prinzip alles, was nicht nordfriesisch ist, zusammenfasst. Im allgemeinen verständigen sich die meisten heute auf die geographische Definition der Halbinsel. Auch die Ostfriesland-Reiseführer ignorieren nicht Wangerooge, Wilhelmshaven oder Jever obwohl sie streng genommen nie unter ostfriesischer Herrschaft waren.
Ostfriesland ist ein flaches Land. Berge im eigentlichen Sinne gibt es nicht. Auch wenn die ein oder andere Erhebung dies vollmundig von sich behauptet, wie beispielsweise der Kugelberg in der Nähe von Leer. Der misst stolze 18,6 Meter und ist der höchste Punkt auf dem Festland. Der “Berg” ist eigentlich eine hohe Sanddüne. Wie auch die höchste Erhebung von ganz Ostfriesland: Die heißt Walter-Großmann-Düne und befindet sich auf der ostfriesischen Insel Norderney. Sie liegt nicht weit vom Zentrum im Bereich der Weißen Dünen und misst jedenfalls in Ostfriesland unschlagbare 24,4 Meter! Das ist Rekord.
Die tiefste Stelle Ostfrieslands befindet sich ganz im Südwesten, fast schon in den Niederlanden. Im flachen Rheiderland in Ditzumerhammrich markiert der Wynhamster Kolk, ein altes Teichgebiet, den Minusrekord von 2,5 Metern unter NN. Das ist zugleich auch der tiefste Punkt von ganz Niedersachsen.
Die Mitte Ostfrieslands: der Ostfriesland-Äquator
Der nördlichste Punkt Ostfrieslands liegt auf der Insel Spiekeroog bei 53°46’56“ N, der südlichste in der Gemeinde Rhauderfehn bei 53,033847 N oder 53°02’02 N. Der Äquator, der Ostfriesland halbiert, verläuft somit bei 53°24’29“ N. Die Mitte der Halbinsel haben Tourismusmanager aber kurzerhand ein wenig nördlicher verlegt, auf 53° 30′ nördlicher Breite. So überquert, wer auf dem Ostfriesland-Wanderweg von Aurich aus Richtung Küste unterwegs ist, zwischen Sandhorst und Plaggenburg den sogenannten Ostfriesland-Äquator. Oder besser gesagt: Er unterquert ihn: Ein hölzernes Tor weist in großen Lettern auf die Mitte Ostfrieslands hin. Korrekt müßte das aber nicht bei Aurich stehen, sondern zwischen Ostgroßefehn und Aurich-Oldendorf wie findige Leute mal berechnet haben.
Sei’s drum. Der Ostfriesland-Wanderweg ist auf jedenfall eine wunderschöne Art, Ostfriesland längs zu durchqueren. Er fängt am Meer in Bensersiel an und führt in 69 Kilometern ganz in den Süden der Halbinsel nach Leer. Nimmt man Städte, Straßen und Schienen mal weg und betrachtet den geografischen Rohling bevor der Mensch das Land mit Deichbau und Entwässerung nachhaltig verändert hat, ergibt sich für die ostfriesische Halbinsel zwischen Ems und Jade das folgende Bild:
In der Mitte ein harter Kern aus der Eiszeit, die Geest, umrandet von einem Gürtel aus Niedermoor- und Marschgebieten. Im Süden wird sie begrenzt von einem Hochmoor, das sich über den langen Geestrücken legt. Im Norden geht sie über in eine amphibische, weltweit einmalige Landschaft: das Wattenmeer und seine Inseln.
Hier zerronnen, dort gewonnen: Dynamische Landschaften
Der Übergang zwischen Festland und Meer, das Beschreiben der Küste oder gar das Zeichnen einer Küstenlinie gestaltet sich im Falle von Ostfriesland ebenfalls als einigermaßen schwierig. Selbst die Ostfriesischen Inseln sind nicht fest zu verorten. Sie sind eigentlich fragile Sanddünen, vom Winde angeweht, verweht, äußerst mobil. So hat sich beispielsweise die Insel Wangerooge in drei Jahrhunderten um genau eine Insellänge weiter östlich bewegt, die Leuchttürme kamen mit dem Umziehen kaum nach.
Auch der Begriff Festland ist an der ostfriesischen Küste nicht wirklich zutreffend. Fest ist hier nämlich gar nichts. Wie sehr sich das Leben am Meer im Laufe der Jahrhunderte verändert hat, das zeigt auch sehr anschaulich das Museum gleichen Namens in der Peldemühle in Esens: „Das Harlingerland erinnert an ein Atlantis an der Nordsee.“ Ganze Dörfer sind untergegangen, Teile der Marschenlandschaft dem steigenden Meeresspiegel zum Opfer gefallen.
Im Watt zwischen Bensersiel und Neuharlingersiel finden sich auch heute noch immer wieder Beweise aus jener Zeit, Hausgrundrisse, Brunnen, Gräber, Keramik, die die Ebbe manchmal freilegt und für das geschulte Auge sichtbar macht. Nicht im ewigen Eis, sondern im ewigen Watt fand sich das Skelett von „Bensi“, die ostfriesische Variante der berühmten Tiroler Mumie. Auf Blumen gebettet und mit kostbaren Fibeln geschmückt wurde die stattliche Frau vor vielen Jahrhunderten mit dem Kopf nach Süden zur ewigen Ruhe gebettet, bevor Sturmfluten und gewaltige Wassermassen ihr Dorf verschlangen.
Während der eine Küstenabschnitt buchstäblich im Wasser versank, bildete sich an anderer Stelle neuer Grund. So reichte die Harlebucht im Mittelalter noch bis Wittmund, das heute mehr als 16 Kilometer im Landesinnern liegt. Über Jahrhunderte rang man der Nordsee dieses Land mit Sielbauwerken wieder ab. Es entstanden und verlandeten nacheinander Altfunnixsiel, Neufunnixsiel und Carolinensiel. Von der riesigen Harlebucht ist heute nichts mehr zu sehen. Stattdessen gelangt man über gewonnenes Land und die Friedrichschleuse zum neuen Hafen von Harlesiel, der Ablegestelle für die Fähren nach Wangerooge.
Kreuz und Quer: Expeditionen an der Küste und im Land
Um Ostfriesland kreuz und quer zu erobern gibt es viele Wege – ob mit dem Auto, dem Fahrrad oder zu Fuß. Fehlen darf natürlich nicht ein Ausflug entlang der Küste, ob wandernd oder radelnd immer entlang des Störtebekerwegs oder ganz sportlich als Teilnehmer des EWE Nordseelaufes. Immer entlang des Ostfrieslandwanderwegs orientiert sich der Ossiloop, bei dem ganz Ostfriesland mitfiebert. Wer das Landesinnere nicht längs, sondern horizontal erkunden möchte, für den ist eine Fahrt auf dem Ems-Jade-Kanal ideal. Die Wasserader Ostfrieslands ist eine der schönsten Wege die uralte Kulturlandschaft zu entdecken.