Am Gefährlichsten lebt es sich auf Baltrum. Auf der allerkleinsten der sieben Ostfriesischen Inseln geschehen die meisten Verbrechen. Jedenfalls, wenn man nach der Statistik des Leda Verlag aus Leer geht. Der ist spezialisiert auf Krimis aus dem Mordwesten und muss es schließlich wissen, welcher Fleck der Region geradezu nach einem Verbrechen schreit. Im Falle von Baltrum liegt es an der Autorin Ulrike Barow, der das Mini-Eiland in der Nordsee bis heute Stoff für sage und schreibe zehn Krimis lieferte. Auch Langeoog ist demnach ein gefährliches Pflaster. Acht Fälle sind es hier insgesamt im Verlagskatalog 2017, doch die teilen sich gleich mehrere Ermittler und Autoren. Darunter sind auch Hauptkommisar Stahnke und sein Erfinder Peter Gerdes.
Gerdes ist einer der führenden Figuren der ostfriesischen Krimiszene. Er schreibt seit 1995 Kriminalliteratur und ist sei 1999 Leiter der Ostfriesischen Krimitage, die alle zwei Jahre die besten Krimiautoren live vor ein begeistertes Publikum führen. Im November ist Jubiläum, dann findet das bekannte Festival zum 10. Male statt. Passend zum Termin gibt es “Feinste Friesenmorde”, eine Sammlung der besten Kurzkrimis, die gerade in einem großen Wettbewerb um den 1. Ostfriesischen Krimipreis eine Vorauswahl durchlaufen. Die drei besten werden am 10. November in der Emder Nordseehalle von einer prominenten Fernsehkrimi-Stimme live vorgetragen. Der Gewinner wird dann direkt vom Publikum bestimmt. Spannung bis zum Schluss, also!
Wer nicht erst bis November warten will, der hat in Ostfriesland eine einmalige Institution um sich mit dem besten Krimistoff für die nächsten Monate zu versorgen. Denn Leer hat mit dem Tatort Taraxacum eine Buchhandlung, die sich nur auf Krimis spezialisiert hat. Dahinter steckt auch wieder der Name Gerdes, genauer die Verlegerin Heike Gerdes, die neben dem Leda Verlag auch diese besondere Buchhandlung führt. Der Name Taraxacum klingt zwar geheimnisvoll, ist aber nur das lateinische Wort für Löwenzahn. Ein etablierter Name für einen literarisch-kulturellen Begegnungsort, den das Geschäft schon lange vor seinen heutigen Eigentümern trug, bevor es dann in 2011 unter der Regie des Ehepaar Gerdes zum Tatort mutierte.
Die denkmalgeschützten Geschäftsräume in der Rathausstraße 23 sind nach aufwändiger Sanierung ein wahres Schmuckstück der Altstadt. Es war aber wohl nicht nur das architektonische Element, das die Jury vom Börsenblatt, dem Fachmagazin der deutschen Buchbranche bei der Auswahl der besten Läden im Land überzeugte, sondern das einmalige Gesamtkonzept aus Buchhandlung, Gastronomie und Veranstaltungsort. Das wird je nach Anlaß im Tatort Taraxacum neu gemixt: sei es zu den Mörderischen Menüs und Dinner-Krimis, den Lesungen bekannter Krimi-Autoren, den Blues und Folk Konzerten. Ganz frisch ist sie noch, die Auszeichnung zu “Deutschlands Schönste Buchhandlung 2016”.
Viel Liebe zum Detail steckt auch in der Gestaltung der Innenräume, die ursprünglich mal einen Tuchhandel beherbergten, von dem noch die restaurierten Holzsäulen und -regale zeugen. Hier schlägt das Herz der ostfriesischen Krimiwelt, aus dem Land von Ebbe und Blut, wie es so schön beim Leda Verlag heißt. Ausgezeichnet. Wegweisend für ganz Deutschland.
Klaus-Peter Wolf – ein solidarischer Macher und genialer Selbstvermarkter
Und natürlich hat hier auch Klaus-Peter Wolf seine Auftritte. Man kennt sich schon seit langem. Der Wolf. Man gönnt ihm seinen unglaublichen Erfolg: wieder sofort auf Platz eins der Spiegel-Bestsellerliste, zum vierten Mal hintereinander mit seinen Ostfrieslandkrimis, die Verfilmungen durch das ZDF mit Emmy-Preisträgerin Christiane Paul. Gerade eben ist er zurückgekehrt aus München mit der MIMI 2017, wo er den Krimi-Publikumspreis des Buchhandels für seinen Ostfriesenschwur erhalten hat, Krimi Nummer zehn der Reihe. Der Bestsellergarant hat einen regelrechten Lauf.

Und der Wolf nimmt sie irgendwie ja auch alle mit: macht Werbung, wo er nur kann für seine Kollegen, baut sie sogar in seine Krimis ein. Etwa in Ostfriesenwut, dem neunten Fall: Da werden die Ostfriesischen Krimitage des Peter Gerdes sogar zum Schauplatz seiner Geschichte, die auch dem Krimikollegen Manfred C. Schmidt aus Esens und anderen Schriftstellern ganz selbstverständlich Platz in der Rahmenhandlung bietet.
Ein wenig Publicity für die anderen, an der es ihm auch mangelte, bevor er es einfach selbst in die Hand nahm. Klaus-Peter Wolf ist über all die Jahre ein wahrer Meister der Selbstvermarktung geworden. Denn es war nicht allein die Flüsterpropaganda seiner Leser, die ihn bekannt machte. Dafür hat er schon tüchtig selbst gesorgt. Er hat irgendwann nicht mehr auf die Aufmerksamkeit von Journalisten und snobistischen Literaturkritikern gewartet, sondern angefangen über sich selbst mit den Mitteln des Journalismus zu schreiben. Er ist Redakteur und Verleger in eigener Sache geworden, hat sich inzwischen einen richtigen Kosmos an eigenen Kommunikationskanälen erschaffen. Dazu gehört natürlich die eigene Internetseite mit integriertem Facebook und Twitter für die schnelle und direkte Leser-Autoren-Bindung.
Doch der große Kommunikator geht noch weiter: Er produziert sogar eine eigene Zeitung über sich selbst, das Ostfrieslandkrimis Extrablatt, die Klaus-Peter Wolf Zeitung, wie es so treffend im Untertitel heißt. Bisher sind acht Jahrgänge erschienen.
Advertorials wird das in der PR-Branche genannt, die Werber kennen es unter dem Fachbegriff Native Advertising: Wenn etwas Werbung ist und von einem Werbebudget bezahlt wird, aber bloß nicht wie schnöde Werbung aussehen soll, sondern wie redaktionelle Berichterstattung oder wie eine gut erzählte Geschichte.
Publishing in eigener Sache. Das machen auch Unternehmen heute gerne, nehmen einfach das journalistische Schreiben über sich selbst in die Hand und nennen das Corporate Publishing. Wie nennt man das, wenn es ein Schriftsteller tut – quasi über sich selbst berichtet oder gegen Bezahlung berichten lässt? Writer’s Publishing? Da es sich hier ja wohl um einen Präzedenzfall handelt, könnte man dieses neue Prinzip auch gleich nach seinem Erfinder benennen: Wolf’s Publishing. Eine erfolgreiche Strategie, wie es scheint. Sie hat ihn auf jeden Fall bekannt gemacht in einer Zeit, in der Aufmerksamkeit die wichtigste Währung für ihn war. Heute ist das jährliche Extrablatt von Klaus-Peter Wolf Kult und wird in einer Auflage von 1,2 Millionen Exemplaren verteilt, aber nicht mehr zum Aufbau, sondern zur Pflege seines immer größer werdenden Leserstamms.

Auch in der Märzausgabe des Ostfriesland Magazins schreibt er in eigener Sache, über seinen steinigen Weg in die Bestseller-Etagen. Wie gut, dass er zu dem Chefredakteur Holger Bloem vom wichtigsten Monatsmagazin der Region bereits im fiktiven wie im richtigen Leben eine gute Beziehung aufgebaut hat (die diesem sogar eine Fernsehrolle bescherte). Da reserviert man doch gerne mal sechs Seiten für die Selbstdarstellung des berühmten Autors, die dann fast schon zu einem verzweifelten “Trotzdem” gegen die anhaltende Mißachtung der Literaturkritik gerät:
Ich wollte zeigen, wie falsch die Behauptungen der oben zitierten, selbst ernannten Literaturkritiker und Krimipäpste sind.
Klaus-Peter Wolf gebührt großer Respekt und Anerkennung für die Leistung und Innovationskraft in Sachen Buch- und Autorenmarketing. Denn gutes Handwerk allein hat wohl noch in den seltensten Fällen zu der notwendigen Aufmerksamkeit geführt, die man nun Mal braucht um als schreibender Mensch Erfolg zu haben. Das gilt insbesondere für die Gattung Krimis, die ja schon immer darunter leidet wie ein Schmuddelkind von der Buchkritik behandelt zu werden. Das hat auch die Bestsellerautorin Charlotte Link lange gespürt. Wie sie dem stern Anfang Januar diesen Jahres in einer Reportage über den besonders großen Krimihunger der Deutschen sagte, habe sich aber auch das Feuilleton längst in die Niederungen des scheinbar trivialen Genres herabgelassen, wenn auch zähneknirschend: Die Kritiker können den größten Teil des Publikums ja nicht einfach für blöd erklären.

Das ist auch genau das Argument von Klaus-Peter Wolf. Doch der kämpft noch zusätzlich mit dem Präfix “Regional”. Wenn das vor “Krimi” steht, wird es meistens ganz schlimm und herablassend. Dann kann es sich nach den Regeln der deutschen Kritikerzunft nicht um Literatur handeln. Dabei ist jeder Krimi im Grunde genommen regional, denn irgendwo muss die Story ja spielen und angesiedelt sein. Die Frage ist, ob mit regional nicht eigentlich provinziell gemeint ist. Nicht weltmännisch genug. Aber wird etwas besser, nur weil es im Ausland spielt? Weil es dann amerikanische Gangster und keine deutschen Ganoven sind? Das war vielleicht im Nachkriegsdeutschland der Fall, aber heute sind es vor allen Dingen die regionalen Stücke, die sich bei uns ausgesprochener Beliebtheit erfreuen: Daheim graust es sich doch am schönsten, so der stern.
Peter Gerdes meinte in einem Autorengespräch mit BuchMarkt im letzten Sommer dazu: Auf jeden Fall ist es Unsinn, aus regional und nicht regional so etwas wie ein Ligen-System ableiten zu wollen. In allen Sub-Genres des Krimis gibt es gute und schlechte Bücher. Regional wie überregional.
Kein anderes Land als Deutschland hat ein solches Faible für Verbrechen und Tote: Rund ein Viertel des gesamten Buchumsatzes bei Belletristik verbuchte die so genannte Spannungsliteratur in 2015, das letzte Jahr für das uns Zahlen zum nationalen Markt momentan vorliegen. Eine Nation, die sich sonntags kollektiv vor dem Fernseher zum “Tatort” versammelt, ein Land, das sogar ein eigenes Krimi-Magazin, wie das “True-Crime-Magazin” Crime besitzt. Fragt man die langjährige Krimi-Verlegerin und Buchhändlerin Heike Gerdes nach aktuellen Trends, so ist es die zunehmende Gewalt in den Neuerscheinungen, die ihr besonders auffalle. Da werde gemeuchelmordet, zerstückelt und zerhackt, wahre Gewaltorgien zelebriert. Auch Beschreibungen von Obduktionen und verwesten Leichenteilen oder Thriller aus dem Feld der Pathologie stünden hoch im Kurs.
Übrigens, Krimileser sind meistens Frauen. Woher kommt eigentlich diese Sehnsucht nach derartigem Blutvergießen und Zerfallsprozessen beim schwachen Geschlecht?
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