Irgendwo hier liegt es verbuddelt, das berühmte Transatlantische Telefonkabel Nr. 14, das auch in der internationalen Whistleblower-Affäre um Edward Snowdon eine wichtige Rolle gespielt hat. Im ostfriesischen Schlick kommt das in Deutschland an, was im 21. Jahrhundert den Pulsschlag unserer Gesellschaft ausmacht: Telefon- und Internetdaten aus der ganzen Welt. Nicht virtuell, sondern ganz real im armdicken Kabel.
Durch das Hochgeschwindigkeits-Seekabel TAT-14, das in bis zu 7.000 Meter tiefen Furchen auf dem Meeresboden des Atlantiks vergraben ist, laufen die meisten Internetverbindungen zwischen Deutschland und Amerika.
So gut wie alle Telefonate und E-Mails, die wir nach Übersee schicken oder empfangen, haben ihr kontinentales Ende oder den Anfang an einem einsamen Küstenabschnitt bei Norden. Dort, ganz im Westen Ostfrieslands und damit am nordwestlichsten Ende Deutschlands ist das Kabel im Watt verbuddelt.
Unterirdisch geht es dann weiter in die Stadt zu einer Verteilerstation, der Seekabelendstelle, um von dort die Daten an die Internetknoten in Deutschland weiterzuleiten. Über die insgesamt vier Glasfaserpaare von TAT-14 kann die unvorstellbare Datenmenge von 160 Gigabyte pro Sekunde übertragen werden. „Der Ort mit dem höchsten Verkehrsaufkommen Deutschlands heißt Norden.“ So formulierte es mal sehr treffend Die Zeit. Das amerikanische Außenministerium hat das beschauliche kleine Norden sogar auf eine Liste von schützenswerten Einrichtungen gesetzt, die bei einem Angriff die nationale Sicherheit der USA bedrohen könnten.
15 000 Kilometer ist das Trans Atlantic Telephonecable No. 14 lang. Die Deutsche Telekom AG ist Mitglied eines großen Konsortiums aus 50 europäischen und amerikanischen Telekommunikationsfirmen, die TAT-14 mit insgesamt 1,3 Milliarden Dollar finanziert haben und gemeinsam betreiben. Die Verbindung wurde 2001 in Betrieb genommen und ist über zwei Strecken als Ring angelegt. Fällt die eine Strecke über den Atlantik aus, kann der Datenverkehr über die andere umgelenkt werden. Eine Trasse beginnt im deutschen Norden und führt über das niederländische Katwijk, Saint-Valéry-en-Caux in Frankreich sowie Bude in Großbritannien nach Tuckerton und Manasquan (New Jersey, USA). Die zweite Trasse beginnt ebenfalls in Norden und führt über Blåbjerg in Dänemark und die Shetland-Inseln nach Manasquan und Tuckerton.

Dieses Kabel wurde im Zuge der Unterlagen, die der US-Geheimdienstler Edward Snowdon an die Öffentlichkeit gebracht hat, 2013 zum Mittelpunkt einer Spionageaffäre. Um genauer zu sein, stand die südliche Trasse des TAT-14-Kabels im Blickpunkt des Interesses. Denn diese läuft über die Niederlande und Frankreich nach Bude in Großbritannien und von dort weiter in die USA. Dort in Bude, im idyllischen Cornwall, soll der britische Geheimdienst GCHQ, das Government Communications Headquarters, das Kabel angezapft und über einen Monat lang Daten gespeichert haben. Das Ganze in Zusammenarbeit mit der NSA, der National Security Agency der USA, unter dem Codenamen Tempora.
Ob und wie der große Lauschangriff gelang, darüber streiten sich die Fachleute. Doch eines steht auf jeden Fall fest: Die deutschen Küstengebiete – und damit insbesondere auch die ostfriesischen Küsten – sind hochkritische Bereiche für die nationale Kommunikationsfähigkeit und damit auch für unsere Sicherheit. Spiegel Online schrieb 2015 in einer Reportage über “Die fragilen Lebensadern des Internets”: Wahrscheinlich sind die Kabelwege unter allen kritischen Infrastrukturen diejenigen, bei denen man mit dem niedrigsten Aufwand den höchsten Schaden verursachen kann. Über nur fünf Seekabel-Zugangspunkte ist Deutschland mit dem Internet verbunden.
Achillesferse Seekabel
In der Seekabelendstelle in Norden kommt nicht nur das TAT-14 an, sondern beispielsweise auch unsere zentrale Verbindung zu Asien und Australien: Das SEA-MME-WE 3-Kabel ist mit 39 000 Kilometern und einem Verlauf über vier Kontinente sogar noch um einiges länger als das so berühmt gewordene TAT-14-Kabel. Die Brisanz der Lage und der beteiligten Personen hat sich verschärft. Trat der Leiter der Seekabelendstelle, Jochen Ridder, vor wenigen Jahren noch vor TV-Kameras oder empfing Journalisten zum Interview, hält man sich heute bei der Deutschen Telekom eher bedeckt.
Im Gegensatz zum Meer können die Kabel an den Küsten durch Boote, Anker oder Schleppnetze beschädigt werden. Daher müssen sie an den Küsten eingeschlemmt werden und im Reparaturfalle auch wieder leicht auszubuddeln sein. Das geht am besten an Orten mit wenig oder keinem Schiffsverkehr, wie etwa am Hilgenriedersiel bei Norden, dass im Gegensatz zu den meisten Sielorten der ostfriesischen Küste keine Fährverbindung zu den Inseln hat, aber dennoch über eine asphaltierte Straße gut zu erreichen ist.
Die Seekabelendstelle der Deutschen Telekom heißt neudeutsch: Competence Center Submarine Cables (CCSC). Mit ein wenig Spürsinn ist das Gebäude hinter dem alten Postamt recht schnell zu finden. Der Norder „Informant“ von Ostfriesland Reloaded konnte schmunzelnd versichern, dass das Internet hier immer rasend schnell läuft, die Glasfaserkabel sehr sicher unterirdisch in einem Bunker ankommen, der praktisch nicht zerstörbar sei – und – dass die Telekom bald einen Neubau plane.
Die Immobilie, indem das CCSC momentan noch residiert, ist von außen ein relativ schmuckloser Betonbau aus den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, geschützt durch Gitter, Kameras und Schilder, die vor einem Nähertreten warnen. Der Berichterstattung von Bild.de, Focus.de, Süddeutsche.de und anderen Medien zu Folge, scheint es im Gebäude selber auch nicht sehr viel spektakulärer zuzugehen. Kabel über Kabel, die in mehreren Metern Tiefe aus der Wand kommen, Verstärker, Verteilerkästen, Messgeräte. Das TAT-14-Kabel selbst ist etwa fünf Zentimeter dick und kostet den Meter etwa 4.000 US-Dollar, wie ein investigativer Bild-Reporter herausgefunden hat.
Ja, die Wirklichkeit ist so banal. Dafür ist aber Norden, und damit auch Ostfriesland, das sich in all den Jahrhunderten eher durch seine Randlage auszeichnete, in der virtuellen Welt des neuen, dritten Jahrtausends nun eine echte Metropole.
Hintergrundinformationen:
The Undersea Network – Porträt der weltweiten Kabelwege (Nicole Starosielski, 2015)
Surfacing – Webprojekt und Informationsdatenbank zum Thema Seekabel
Trevor Paglens Fotografien: Die Kunst der Geheimdienste – Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.6.2015. Auszug:
Trevor Paglen macht sichtbar, was nach dem Willen der NSA unsichtbar bleiben soll. Der Frankfurter Kunstverein zeigt sein jüngstes Werk. Es führt uns zu den Urlaubsinseln in der Nordsee.
Paglens jüngste Arbeit handelt von Deutschland. Eine Karte zeigt die Nordseeküste, davor die Inseln, von Juist bis Langeoog, mit denen wir vor allem eines verbinden: Ferien. Bei der NSA steht die Region für etwas anderes: Überwachungsstationen. Ein Foto zeigt einen winzigen Windsurfer auf der Nordsee. Daneben hängt eine Schifffahrtskarte, in der die Inseln auf roten Fäden aufgeschnürt scheinen, die sich zum Festland ziehen. Die Linien bezeichnen die Glasfaserleitungen, die auf dem Meeresgrund von Amerika aus nach Deutschland führen und dort auf das Festlandnetz treffen. An den Verbindungspunkten – auf der Karte mit roten Stecknadeln markiert – greift die NSA Daten ab. Wir nennen es Urlaub. Sie nennen es Arbeit.
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Ein Gedanke zu „Unter der Erde strömen Daten“