Da hast Du Töne: Wenn Ostfriesen alle Register ziehen

Für Orgelfans ist Ostfriesland ein einziges Paradies. Es gibt wohl kaum einen anderen Landstrich auf der Welt, der reicher ist an Orgelbauten und das gesamte Spektum unterschiedlichster Instrumente aus sieben Jahrhunderten vorweisen kann. 150 Exemplare verteilen sich über die einmalige Orgellandschaft Ostfriesland. Besonders hoch ist der Bestand an noch bespielbaren historischen Orgeln: Rund 60 der ostfriesischen Orgeln wurden bereits vor 1850 gebaut. Diese Kostbarkeiten verdankt Ostfriesland im Prinzip seinen immer knappen Kassen. Denn die Gemeinden hatten meist kein Geld für eine neue Orgel, so hegten und pflegten sie ihren alten Bestand – oft über Jahrhunderte hinweg. Was früher aus reiner Not geschah, erweist sich heute als Glücksfall: ein ganz besonderer kultureller Schatz, nicht nur für die Region, sondern auch für Deutschland.

Dass sich ausgerechnet in dieser nördlichen Ecke des Landes die Orgel so stark verbreitete, liegt sicherlich auch an der ausgesprochenen Kirchendichte Ostfrieslands. Über unzählige kleine Orte und Warfdörfer erheben sich auch heute zum Teil imposante Backsteinkirchen, die vom Siegeszug des Christentums im ehemaligen Land der Heiden und Sachsen zeugen. Als dann der Gemeindegesang in der christlichen Liturgie zunehmend auf die Orgel als Begleitung und Hauptinstrument zurückgriff, leisteten sich immer mehr Gemeinden in Ostfriesland einen Orgeleinbau. Schon früh, in spätgotischer Zeit im 15. Jahrhundert, ist für Ostfriesland eine blühende Orgelkultur dokumentiert.

Das Zentrum des Orgelbaus lag lange in in den Niederlanden, im 17. und 18. Jahrhundert prägten dann Orgelbauer aus Hamburg und Westfalen die Zunft und errichteten ihre berühmten Orgeln nach barocken Konstruktionsprinzipien. Eine Liste der historischen Orgeln Ostfrieslands führt die Orte und Erbauer der bedeutendsten Orgeln aus der gesamten Region auf. Dabei sind besonders in der Krummhörn, direkt neben den Niederlanden gelegen, viele Instrumente aus der Frühzeit des Orgelbaus zu finden.

Dass fast alle Orgeln heute wieder im Originalklang zu hören sind, liegt vor allen Dingen an Jürgen Ahrend, der weltweit Maßstäbe in der Restaurierung von Orgeln gesetzt hat. Mit seiner gleichnamigen Firma im ostfriesischen Leer-Loga, die seit 2005 von der nächsten Generation geführt wird, hat er unzählige ostfriesische Orgeln restauriert. Sein Ruf als Experte für Barockorgeln ist aber in besonderem Maße auf die Restaurierung von Orgeln des berühmten Arp Schnitger zurückzuführen. Insbesondere war und ist es aber Harald Vogel, Professor an der Hochschule für Künste Bremen, der sich seit Jahrzehnten für das kostbare Orgelgut Ostfrieslands einsetzt. Auf ihn geht auch die bereits 1972 gegründete Norddeutsche Orgelakademie zurück, die bis heute internationale Meisterkurse für Organisten anbietet. Denn was nützt die schönste historische Orgel, wenn sie nur noch von wenigen in originaler Spielart beherrscht wird?

Vogel ist auch Gründer des 1997 ins Leben gerufenen ORGANEUM in Weener. Dort, unweit der niederländischen Grenze im Rheiderland, befindet sich heute das wichtigste Orgelzentrum zur Erforschung und Förderung der regionalen Orgelkultur. Es ist in einer Villa aus dem Jahre 1870 beheimatet und beherbergt eine bedeutende Sammlung historischer Tasteninstrumente – neben Orgeln auch Cembali, Clavichorde, Hammerklaviere und Harmonien. Unter dem Dach des ORGANEUM befindet sich eine bedeutende Bibliothek für Forschungszwecke sowie die Orgelakademie Ostfriesland. Das klingende Museum ist innerhalb der Öffnungszeiten für jedermann zugänglich. Regelmäßig werden Führungen im ORGANEUM und Exkursionen zu bedeutenden Orgeln der Umgebung angeboten. Ein Schwerpunkt liegt auch auf der Musikvermittlung für Schulen.

Das ORGANEUM wird von der Ostfriesland-Stiftung der Ostfriesischen Landschaft, der Evangelisch-reformierten Kirche und der Stadt Weener in Kooperation getragen. Zudem unterstützen ein Förderkreis und private Stifter. Direktor des ORGANEUM ist Winfried Dahlke, Landeskirchenmusikdirektor der Evangelisch-reformierten Kirche und Organist an der Großen Kirche in Leer, und ebenfalls einer der prägenden Figuren in Wissenschaft und Praxis historischer ostfriesicher Kirchenorgeln.

Eine weitere Plattform und Koordinierungsstelle ist NOMINE (Norddeutsche Orgelmusikkultur in Niedersachsen und Europa). Sie betreut neben Ostfriesland noch die norddeutschen Regionen Oldenburg, Stade und Lüneburg. Hier arbeiten die verschiedenen Orgelzentren zusammen, das cd2_orgeln-in-ostfrieslandORGANEUM ist für Ostfriesland selbstverständlich auch mit von der Partie. Gerade jetzt erst hat man gemeinsam im Rahmen der CD-Dokumentationsreihe Orgellandschaften die zweite CD nur mit Aufnahmen von ostfriesischen Orgeln herausgebracht. Bei den Klassik-Charts von Media Control ist man mit der ersten CD 2013 bereits auf Platz 12 vorgestoßen. Von daher ist man bei NOMINE zuversichtlich, dass auch die zweite Ausgabe ein Renner wird. Die Doppel-CD mit Musik von acht unterschiedlichen Instrumenten kostet 9,80 Euro und kann sowohl beim ORGANEUM als auch bei NOMINE bestellt werden.

Ansonsten gibt es jede Menge Live-Konzerte: In der St. Ludgerikirche in Norden, der Lutherkirche und der Großen Kirche in Leer oder der St. Georgs-Kirche in Weener werden regelmäßig Orgel-Konzertreihen veranstaltet. Eine besonders schöne ist auch die Nachtorgel bei Kerzenschein in der Kirche von Dornum, die im Sommer unter der künstlerischen Leitung von Andreas Liebig mit Orgelkonzerten internationaler Künstler verzaubert. Eine feste Größe im Jahr ist auch der Krummhörner Orgelfrühling. Beim überregional bekannten Festival Musikalischer Sommer in Ostfriesland finden sich ebenfalls regelmäßig exquisite Orgelkonzerte im Programm. Gelegenheiten, sich in dem besonderen Sound der alten Orgeln zu baden, gibt es also genug!

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