Viele Bilder gibt es nicht mehr vom originalen Schloss Berum. Genaugenommen: Keines. Das Wenige ist verschwunden und auch bei dem hier oben handelt es sich um eine Rekonstruktion der einst prächtigen Residenz am Rande von Hage. So war die Wissenschaft bisher auf schriftliche Quellen angewiesen, um aus unzähligen kleinen Hinweisen nach und nach eine Vorstellung von der ehemaligen, riesigen Anlage zu gewinnen. Das hat sich vor zwei Jahren durch einen großen Zufall schlagartig geändert.
Der langjährige Direktor der Ostfriesischen Landschaft in Aurich, Dr. Hajo van Lengen, war in Berlin-Dahlem um in den preußischen Akten über Ostfriesland zum Kloster Ihlow zu forschen. Er studierte gerade ein historisches Dokument zu diesem Thema als ihm weiter hinten in dem Aktenbündel plötzlich mehrere Grundrisszeichnungen auffielen. Der Experte sah sofort, was er da vor sich hatte: Pläne des alten Schlosses Berum. Eine kleine Sensation. Zum ersten Mal war genau zu sehen, wie das von Friedrich dem Großen 1768 geschleifte Schloss in seiner vollen Ausbaustufe um 1700 tatsächlich gebaut war und genutzt wurde.
Ein außergewöhnlicher Zufallsfund, der es dem renommierten Wissenschaftler aus Aurich und dem ehemaligen niedersächsischen Denkmalpfleger Hermann Schiefer aus Rastede, erlaubte, Rückschlüsse auf die verschiedenen Bauphasen des Berumer Schlosses vom alten Häuptlingsgemäuer bis zur barocken Residenz zu ziehen. Die Ergebnisse ihrer gemeinsamen Arbeit stellten sie nun im November am 16. Tag der Ostfriesischen Geschichte im Forum der Ostfriesischen Landschaft in Aurich öffentlich vor und unternahmen in sieben Zeichnungen, die Schiefer auf Basis des Quellenmaterials von Dr. van Lengen anfertigte, den “Versuch einer Rekonstruktion”.
Nach Ansicht der Historiker hat alles mit einem relativ kompakten Steinhaus an der Ostflanke der späteren Anlage angefangen, das um 1400 als Häuptlingsburg an kluger Stelle gesetzt wurde. Von drei Seiten durch sumpfiges Gebiet und Morast geschützt, war es nur von der Vorderseite aus anzugreifen (unten grau markiert). 1435 ist es wohl zur ersten Erweiterung gekommen, dem Anbau eines Saalbaus (unten orange markiert).
Mit dem ersten Grafen Ostfrieslands, Ulrich I., erhielt das Schloss entscheidende Impulse. Dieser errichtete 1446 den sogenannten Ulrichsbau (unten rosa markiert). Dabei handelt es sich um einen gewaltigen Querriegel im Westen, der direkt mit einem massiven runden, bergfriedartigen Turm, der vier Meter dicke Mauern besaß, verbunden war. Der Querriegel hatte eine Mauerstärke von 1,5 Metern und war 35 Meter lang. Er erhob sich über zwei Geschosse und bot Platz für einen großen Saal, in dem vermutlich Ulrich I. seine später berühmt gewordene Gemahlin Theda vor den Traualtar führte.
Die alten Grundrißzeichnungen zeigen deutlich, dass der Turm, der als früher Batterieturm genutzt wurde, zeitgleich mit dem Westflügel gebaut worden sein muß. Beide Bauelemente sind konstruktiv sehr miteinander verwoben, bilden eine untrennbare Einheit. Der gewaltige Rundturm kann also nicht der älteste Teil der alten Häuptlingsburg gewesen sein, wie manch einer vor dem Zufallsfund aus Berlin auch schon vermutet hatte.
Durch die Erweiterungen von Ulrich I. entstand ein Gebäudekomplex mit drei Flügeln und einem zentralen Innenhof. Dieser war damals schon durch einen doppelten Wassergraben und einem Wall nach drei Seiten befestigt. Die vierte Seite nach Westen wurde durch die Vorburg geschützt, die ein wenig tiefer lag als die Hauptburg. Die Vorburg streckte sich von Norden nach Süden über die gesamte Länge des Areals mit zwei Türmen am Nord- und am Südende der Vorburgfront und als Abschluss zum Wall. Der Zugang zur gesamten Anlage führte über eine Zug- oder Klappbrücke durch einen Torbogen im nördlichen Turm, der in historischen Dokumenten auch Wachtmeisterturm genannt wird und heute noch steht. Die gesamte Vorburg entlang zog sich oben ein Wehrgang, der acht Falltüren und Klappen zur Verteidigung hatte. Um 1530 war Berum von allen Burgen in Ostfriesland am stärksten befestigt und bestens mit Kanonen ausgestattet, das berichten historische Quellen. Doch zurück zur Öberburg, wie die Hauptburg auch genannt wurde, und ihrer weiteren Entwicklung in den folgenden Jahrhunderten.
Um 1600 haben Graf Edzard II. und seine Frau Katharina den Ostflügel zu einem ansehnlichen Renaissancebau ausgebaut: So wurde das alte Steinhaus zu einem großen Saal erweitert, der die Lücke zum Bergfried schloss (in der Konstruktion oben nicht farblich markiert, aber sichtbar). Dieser Saal muss mit seinen vielen Fenstern ganz besonders prächtig und beeindruckend gewesen sein. Es ist sehr wahrscheinlich, dass genau dort der Berumer Vergleich geschlossen wurde, der die Grenzen Ostfrieslands inklusive des Harlingerlandes endgültig steckte. Vor der gesamten Front des Saals zog sich später ganz im Stil der Zeit eine mehrstöckige Galerie aus Holz, die sowohl über den alten Rundturm im Norden als auch über die neue Wendeltreppe am Südende zu erreichen war.
Nach dem Tod Edzards 1599 wandelte Katharina, die schwedische Königstochter aus dem Hause Wasa, den alten Saal im Westen zu einer Schlosskirche um. Sie lebte nach dem Ableben ihres Mannes mit eigenem Hofprediger bis zu ihrem Tod 1610 im Schloss und machte erstmals die Anlage in Berum zu einem Witwensitz – einem Beispiel, dem später noch viele Gräfinnen und Fürstinnen von Ostfriesland folgen sollten.
Der Ausbau zu einer prächtigen und in sich geschlossenen Vierflügelanlage erfolgte unter Fürstin Christine Charlotte, die im Südteil für sich und ihren Sohn repräsentative Privat- und Audienzräume baute und exquisit einrichtete. Sie war es auch, die den Eingang der Wasserburg weg vom nördlichen Eckturm der Burg in die Mitte der langgestreckten Vorburg verlegte. Durch ein barockes Hoftor mit vorgelagerter Brücke gelangte man fortan von dort über den ersten Wassergraben in das Innere des Wasserschlosses. Ihr Enkel Georg Albrecht und seine erste Frau Christiane Louise erweiterten 1712 das Schloss Berum dann nochmals um einen prächtigen Barockgarten.
Und so sehen wir Anfang des 18. Jahrhunderts das Schloss Berum in seiner ganzen Pracht – wie die Rekonstruktion im Titelbild, die eine Vogelperspektive auf den gesamten herrschaftlichen Komplex wirft mit dem dreistöckigen Schloss in der Mitte, seinen zwei Wassergräben, dem großen Wall und der Vorburg im Westen, dem Barockgarten, der Reitbahn und den Pferdeställen.
Dr. Hajo van Lengen und Hermann Schiefer werden ihre Ergebnisse gemeinsam mit der Historikerin Gretje Schreiber aus Norden in einer Schrift im Detail dokumentieren. Diese wird voraussichtlich im Sommer 2017 erhältlich sein. Ostfriesland Reloaded bedankt sich auf jeden Fall sehr bei Hermann Schiefer, der eine seiner Konstruktionen sowie die Rekonstruktion der Anlage in ihrer Glanzzeit vorab zur Verfügung stellte, und ist schon ganz gespannt auf die Publikation der Experten, die das Schloss Berum vor unser aller Augen wieder lebendig werden lässt.
Schön wäre es, wenn nach den alten Grundrissplänen auch einmal originalgetreue Ansichten vom Schloss Berum wieder auftauchen würden. Doch auf soviel Zufall darf man wohl nicht hoffen. Bis dahin müssen wir uns weiterhin mit klitzekleinen stilisierten, im Detail nicht ganz genauen Zeichnungen von Kartografen begnügen wie beispielsweise dieser, die uns David Fabricius 1613 auf einer Karte vom alten Oostfrieslandt hinterlassen hat:
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