Es fing ganz friedlich an, doch sollte tödlich enden: Am 15. April 1628 war die Burg Berum Schauplatz eines der tragischsten Ereignisse, das in der Geschichte Ostfrieslands überliefert ist. Der junge Graf von Ostfriesland, Rudolf Christian, noch nicht ganz drei Jahre in Amt und Würden, war vom Regierungssitz in Aurich herüber gekommen zu der belagerten Burg. Es war mitten im Dreißigjährigen Krieg. Ostfriesland war neutral in diesem Konflikt, aber wieder einmal hatten sich fremde Truppen den Landstrich abseits der Konflikte als Quartier genommen. Dieses Mal waren es die kaiserlichen Truppen unter Tilly, die in Ostfriesland einzogen. Ihr Oberst Graf Gallas machte Schloss Berum zu seinem Hauptquartier und verlangte von Ostfriesland sogenannte Kontributionen, um seine Soldaten und seinen Aufenthalt zu finanzieren.
Die einzigen, die sich dagegen wehrten und wehren konnten, das waren die Emder mit ihrer Festung und ihren eigenen Kompanien. Doch das ist eine andere Geschichte… Graf Rudolf Christian begab sich also an jenem Tag in Begleitung seines jüngeren Brudes Ulrich sowie einiger Hofangestellter nach Berum, um auf dem Verhandlungswege die künftigen Zahlungsverpflichtungen Ostfrieslands an die Besatzer möglichst niedrig zu halten. Dort wurde man von Graf Gallas auf das Freundlichste empfangen: vormittags gab es zunächst ritterliche Übungen und Belustigungen draußen, gegen Mittag dann ein köstliches Festmahl drinnen. Hier nahm das Unglück wohl seinen Lauf. Wie vermutet wird, hatte der junge Graf nach der Sitte der Zeit nicht nur gut gegessen, sondern wohl auch etwas zuviel getrunken. Denn wie damals üblich wurde an Wein nicht gespart, das Ganze artete aus in einem wilden Zechgelage.

Jedenfalls kam es schon kurz nach dem Essen bei einem Würfelspiel zu einem Geplänkel zwischen dem Grafen, der seinen Hofjunker in Schutz nahm, und einem Hauptmann der kaiserlichen Armeen. Graf Rudolf Christian reagierte äußerst hitzig, die anwesende Gesellschaft konnte ein Duell zwischen den beiden gerade noch verhindern.
Doch nur für kurze Zeit. Denn nur wenig später begaben sich der Hofjunker Rudolf Christians, wohl auf Anweisung seines Herrn, und der Hauptmann aus dem Heer Gallas auf eine Wiese vor die Burg und lieferten sich ein Gefecht. Der Hauptmann verlor dies, allerdings nur mit einer kleinen Verwundung.
Mittlerweile hatten sich jedoch immer mehr von Gallas Soldaten vor der Burg eingefunden, zunächst als Schaulustige, später aber auch als Beteiligte, die vermutlich die Niederlage des Hauptmannes rächen wollten. Das Blut eines jeden geriet immer mehr in Wallung und so entwickelte sich aus einer kleinen persönlichen Auseinandersetzung – fast wie im Western – eine große Schlägerei oder besser Degenfechterei, bei der wahrscheinlich keiner mehr genau wußte, womit eigentlich alles mal angefangen hat. Graf Gallas wollte Ruhe in dieses Chaos bringen und schickte ein Kommando von 30 Mann unter der Führung eines Leutnants namens Thomas Streif zur Wiederherstellung der Ordnung.
Der merkt erst gar nicht, wie er mitten im Gedränge plötzlich dem Herrn des Landes persönlich gegenübersteht. Graf Rudolf Christian fühlt sich von Streif nicht entsprechend gewürdigt. Es kommt zunächst zu einem Wortgefecht, doch erhitzt wie die Stimmung zu dem Zeitpunkt war und so heißblütig der junge Graf, unweigerlich auch zu einer Auseinandersetzung mit den Waffen. Was jetzt passierte beschreiben Historiker so:
Als der Graf gegen ihn den Degen zieht, weicht er [Leutnant Streif] zurück bis an einen Graben. Dort bleibt er, seinen eigenen Degen vorgestreckt, in Abwehrstellung stehen. Der Graf, dem die Sonne ins Gesicht scheint, will auch jetzt noch auf ihn eindringen und rennt sich den Degen ins linke Auge, und das mit solcher Gewalt, daß die Spitze sich am Schädelknochen krumm biegt. Wie man den zurück Taumelnden auffing, war keine Hilfe mehr. Noch ein paar Stunden rasenden Schmerzes und banger Sorge und in der Morgenfrühe des 16. April war Rudolf Christian von Ostfriesland ein toter Mann. (Quelle: Reimers P.Dr. In: Was das alte Berumer Schloß erzählt, Heim und Herd, 1922)
Bei seinem Tod war Rudolf Christian, der als Hoffnungsträger für eine bessere Zeit auf den Thron Ostfrieslands gekommen war, noch nicht mal 26 Jahre alt. Der Alkohol und seine jugendliche Hitzigkeit sind ihm wohl zum Verhängnis geworden – und die ostfriesische Sonne (!), die ihn blendete. Nachfolger auf dem Thron wurde sein Bruder Ulrich, der auf diese Aufgabe vollkommen unvorbereitet war, wie er später selbst zugab. Vom Alkohol hat Graf Ulrich II. von Ostfriesland aber später auch nicht lassen können. Das tragische Schicksal seines Bruders, dessen Augenzeuge er immerhin war, war ihm in dieser Hinsicht keine Mahnung.
Rudolf Christian hat nur kurz regiert, doch Bleibendes hinterlassen, nämlich das gräfliche Wappen, das er 1626 in seiner endgültigen Form einführte. Es zeigt auf sechs Feldern die Wappen der ostfriesischen Häuptlingsfamilien, in deren Nachfolge sich die Grafen und später dann auch die Fürsten von Ostfriesland sahen. Unter den sechs Wappen befinden sich auch die von Esens und dem Harlingerland, die sein Vater Graf Enno III. im Berumer Vergleich 1600 unter seine Herrschaft brachte und nach langem Kampf für Ostfriesland sicherte. Das gräfliche Wappen von Rudolf Christian war noch bis 1744 gültig, bis zur Übernahme Ostfrieslands durch die Preußen, und hatte damit noch weit mehr als hundert Jahre nach seinem Tod Bestand.
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