In einer Gruft waren sie tatsächlich alle mal begraben, die Herrscher von Ostfriesland. Doch die stand ständig unter Wasser und bevor alles endgültig vermoderte baute man den Regenten von einst ein prachtvolles Mausoleum in Aurich. Dort, in einem Rundbau aus massiven Backstein, haben sie über zwei Stockwerke verteilt ihre letzte Ruhestätte gefunden: das Who is Who der Cirksena, die über Jahrhunderte die Häuptlinge, Grafen und Fürsten von Ostfriesland stellten. Egal ob einst katholisch, evangelisch reformiert oder lutherischen Glaubens – im Tode sind sie nun allesamt vereint, quasi hinter Schloss und Riegel gesetzt für alle Ewigkeit.
Die beiden prächtigsten Zinnsärge des Familiengrabes befinden sich im Zentrum des Rundbaus. Sie sind besonders aufwändig gearbeitet mit großen Eckfiguren, kunstvoll gedrehten Halbsäulen und dicken Blumengirlanden. In diesen Prunksärgen ruhen zwei Frauen. In dem linken Sarg liegt die auch im wahren Leben stets auf Repräsentation bedachte Regentin Christine Charlotte. Sie hatte über Ostfriesland 25 Jahre lang im absolutistischen Sinne geherrscht und war 1699 gestorben. Nur ein Jahr später folgte ihr die Schwiegertochter Eberhardine Sophie, die in einem fast identischen Sarg rechts neben ihr ruht. Das kostbare Gewand, in dem sie beerdigt wurde, ist aufwändig restauriert worden und kann heute im Historischen Museum von Aurich bewundert werden.
1588 hatte die dem lutherischen Glauben anhängende Grafenfamilie entschieden ihr Erbbegräbnis zu verlegen. Der erste Herrscher der Cirksena, der nicht im reformierten Emden, sondern im lutherischen Aurich seine letzte Ruhestättte erhielt, war 1599 Graf Edzard II. von Ostfriesland. Der neue fürstliche Begräbniskeller wurde unter der Lamberti-Kirche eingerichtet. Dort wurden im Laufe der folgenden Jahrhunderte bis ins Jahr 1750 insgesamt 46 Särge bestattet, darunter 15 Kindersärge und 31 Särge von erwachsenen Personen. Insgesamt acht regierende Grafen und Fürsten und zwei vormundschaftliche Regentinnen wurden hier feierlich beerdigt. Dies sagt uns eine alte Holztafel aus dem Jahre 1832, die mit den handschriftlichen Namen, Geburts- und Sterbedaten aller Bestatteten späteren Generationen eine genaue Bestandsliste der alten Gruft lieferte. Die schwarze Tafel ist erhalten geblieben und befindet sich heute im Eingangsbereich des neuen Mausoleums.
Die beeindruckende Zahl von zehn ehemaligen Machthabern über Ostfriesland war somit an einem einzigen Ort versammelt, der allerdings zunehmend feuchter wurde. Laut historischen Quellen aus dem Jahr 1866 “hat die schlechte Beschaffenheit des letzten Gewölbes, der Mangel an Raum und Luft, das Grundwasser, welches zu gewißen Zeiten des Jahres oft 2 Fuß hoch stieg, wesentlich dazu beigetragen, das Zerstörungswerk, namentlich an den Holzsärgen, nur noch zu beschleunigen.”
Es musste dringend etwas geschehen! Und so beschloss und baute man von 1875 bis 1880 ein neues Mausoleum für das alte Herrschergeschlecht. Diesmal nicht eine unterirdische Gruft, sondern eine oberirdische Grab- und Gedenkstätte, die der Bedeutung des mächtigsten Herrscherhauses Ostfrieslands angemessen war: Rund 17 Meter in der Höhe, zweigeschossig mit einer Rundhalle, die von einem Kranz aus tiefen Backsteinnischen umgeben und von einer Kuppel gekrönt ist. Ein massiver Zentralbau erhebt sich seitdem über dem Friedhof von Aurich. Durch die Blickachse am Ende der zentralen Baumallee ist das Mausoleum der Cirksena heute nur noch schwer auszumachen. Von der Seite erschließen sich jedoch die gewaltigen Dimensionen dieses Grabmals.
Mit Erschütterung stellte man nach Fertigstellung des Neubaus 1880 fest, dass von den 46 Särgen des alten Kirchenkellers in der Lamberti-Kirche nur noch elf Särge transportfähig waren. Alle anderen Särge waren mittlerweile zerfallen, korrodiert, zerbröselt und mit ihnen ihr Innenleben. Weitere sieben Leichname waren erhalten, mussten jedoch in neue Särge umgebettet werden. Alle restlichen Knochenteile in den Särgen und weitere im alten Gewölbe noch gefundene Gebeine wurden in zwei neuen Sammelsärgen zusammengelegt. Die namentliche Zuordnung fällt hier naturgemäß schwer. Es gilt jedoch als sehr sicher, dass einer der Schädel aus den beiden Sammelsärgen der ostfriesischen Gräfin und Königstochter Katharina Wasa, Prinzessin von Schweden, zuzuordnen ist.
“Die Überführung der Särge aus dem Gewölbe der Kirche konnte erst, nachdem die erforderlichen neuen Särge angefertigt waren, … stattfinden, sie geschah in der Stille der Nacht in würdiger Weise”, berichten Augenzeugen aus jener Zeit.
Insgesamt waren es also 20 Särge, die 1880 ihren neuen Platz im neuen Mausoleum einnahmen: 18 in den Backsteinnischen oben und unten sowie die zwei Prunksärge in der Mitte. Da stehen sie heute noch, sorgfältig in den achtziger Jahren restauriert, und mit ihnen eine kleine Truhe aus poliertem Holz: die Emder Truhe. Diese kam erst sehr viel später dazu. Denn in ihr befindet sich das, was nach dem Bombenangriff auf Emden 1944 an Überresten von der ehemaligen und älteren Grablege der reformierten Cirksena nach der kompletten Zerstörung der Großen Kirche in Emden übrig geblieben war. Diese hatten bereits die uralten Gebeine ihrer noch älteren katholischen Vorfahren aus dem zerstörten Kloster Marienthal bei Norden in ihrer Kirche aufgenommen – unter anderem die des ersten ostfriesischen Grafen Ulrich I. und seiner Frau Theda.
In der kleinen Truhe und in den 20 Särgen, in der Rotunde aus rotem Backstein in Aurich sind sie also nun alle wieder vereint. Losgelöst von Zeit und Raum bündelt sich im Mausoleum der Cirksena das jahrhundertealte Andenken an sämtliche Grafen und Fürsten Ostfrieslands. Und nur hier. Einen anderen Ort des zentralen Gedenkens an das einst so mächtige ostfriesische Herrschergeschlecht gibt es nirgendwo anders.
Aus Sicherheitsaspekten und klimatischen Gründen ist das Mausoleum der Cirksena an normalen Tagen geschlossen. Es ist aber im Rahmen einer Führung öffentlich zugänglich. Dann öffnen sich die Türen und Gitter dieses prachtvollen Familiengrabes, das in Ostfriesland seinesgleichen sucht. Die Kapuzinergruft der Ostfriesen kann zudem auch an besonderen Tagen im Jahr wie dem Tag des offenen Denkmals besichtigt werden.
Wenn man das Mausoleum der Cirksena denn findet, wie Ostfriesland Reloaded findet… Es wäre diesem einmaligen Ort auf jeden Fall eine bessere Ausschilderung zu wünschen. Selbst an der vorbeiführenden Durchgangsstraße in Aurich fehlt jeglicher Hinweis auf dieses für Ostfriesland so bedeutende wie einmalige Monument.
Führungen durch das Mausoleum der Cirksena in Aurich:
Die Führungen werden vom Verkehrsverein Aurich/Ostfriesland e.V. organisiert. Vom Mai bis September gibt es an jedem ersten Donnerstag im Monat um 17:00 Uhr eine Führung. Dauer: 1 Stunde / Preis: 4,00 Euro. Treffpunkt ist direkt am Mausoleum auf dem Auricher Friedhof. Die beste Parkmöglichkeit ist der Parkplatz vor der Sparkassen-Arena an der Emder Straße. Von dort sind es nur noch wenige Meter bis zu dem Eingang des Friedhofs, der dem Mausoleum am nächsten liegt.
Weitere Informationen zu Besichtigungsterminen sind erhältlich beim Verkehrsverein in Aurich (E-Mail: verkehrsverein@aurich.de / http://www.aurich-tourismus.de).
Literatur:
Viele Details zu den einzelnen Särgen, ihrer Gestaltung und Inschriften und ihrem Zustand im Laufe der Jahrhunderte liefert ein kleines Buch mit dem Titel: “Das Mausoleum zu Aurich. Die letzte Ruhestätte der Cirksena.” Der Autor Dr. Hermann Freese gibt zudem einen ausführlichen Überblick über die Begräbnisse sämtlicher Mitglieder aus dem gräflichen und fürstlichen Hause der Cirksena sowie über den Bau des Mausoleums. Das Buch ist im Historischen Museum in Aurich erhältlich (ISBN 3-928 160-08-7, 1995).
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