Ach, der November ist ein herrlicher Monat für die morbiden Themen. Wenn der Nebel übers Land schwabert, auch die letzten Blätter fallen und nur noch kahle Äste in den grauen Himmel ragen, ergreift die Ahnung vom Ende die Seelen: vom Ende des Jahres und des ewigen Kreislaufs der Jahreszeiten und ganz dumpf hinten vielleicht vom eigenen. Irgendwann. Ostfriesland Reloaded kümmert sich in diesem Schwerpunkt um’s Ende – um Beerdigungen auf die traditionelle Art, Bestattungen zu Wasser, Grabstätten großer Herrscher und Ruhestätten am brausenden Meer. Es sind unterschiedliche Perspektiven auf das immer gleiche Dilemma: Wir kommen hier lebend nicht mehr raus. Aber vielleicht ein wenig schlauer.
Was sie schon immer über Hügelgräber wissen wollten …
Ostfriesland ist geradezu spezialisiert auf diese Form der Bestattung. Mehr als 3000 Jahre war ein Hügel südlich von Dunum ein geheiligter Ort und Bestattungsplatz für die Toten. Der Sage nach soll hier auch der friesische König Radbod begraben sein. Der auch Rabbelsberg genannte Hügel in der Gemarkung Brill ist heute drei Meter hoch und hatte bei Grabungen vor hundert Jahren einen Durchmesser von 25 bis 30 Metern. In dem größten urgeschichtlichen Hügel Ostfrieslands fand man sechs Urnengräber, zehn Brandgräber ohne Urnen, ein Körpergrab, eine Steinkiste und einen Pferdeschädel.
Ebenfalls aus der Steinzeit stammt ein urgeschichtliches Denkmal bei Aurich: Butter, Brot und Käse nennt der Volksmund das Großsteingrab im Ortsteil Tannenhausen. Zwei Trägersteine und ein Deckstein sind noch übrig geblieben von der ehemals riesigen Steinanlage aus gewaltigen Findlingen. Ursprünglich waren es einmal zwei begehbare Steingräber, jedes etwa 12 mal 2,5 Meter groß und 1,3 Meter hoch. Die beiden Gräber wurden jeweils von einem Hügel bedeckt, so dass sich zwei nebeneinander aus der Ebene wölbten. So ging es bei den Ostfriesen der Steinzeit quasi zurück in den Busen von Mutter Natur.
Hügelgräber prägen bis heute das Landschaftsbild der ostfriesischen Halbinsel. Denn was anderes sind die Friedhöfe rund um die vielen Warftkirchen aus Granit und Backstein als in Hügel gesetzte Gräber? Entstanden sind sie zu einer Zeit als es noch keine feste Deichlinie gab, die Ostfriesland vor der Nordsee schützten. Überall erhoben sich kleine Inseln aus dem immer wieder heranflutenden Wasser, die den Lebenden Schutz boten, aber eben auch den Toten die ewige Ruhe sicherten. So finden sich noch heute rund um die auf Warften errichteten Gotteshäuser zum Teil uralte Friedhöfe. Ein besonders schöner befindet sich in Hage.
Rund um die St.-Ansgari-Kirche und besonders an deren Südfront stehen viele Grabsteine, die mehrere hundert Jahre alt sind. Sie sind nicht nur auffällig schön, sondern auch sehr variantenreich gestaltet: Es finden sich Grabsteine in Form von Obelisken, erhöht auf Sockeln oder flach als Platte, Kreuze aus rostigem Kupfer oder blankem Stein. Einige Grabdenkmäler haben auch auffällige Verzierungen – wie etwa eine Schlange, die sich in den Schwanz beisst und den ewigen Kreislauf des Lebens und Sterbens symbolisiert. Der alte Warftenfriedhof in Hage ist ein absolut romantischer Friedshofsgarten mit efeuberankten Inschriften und prächtigen Wappen einst mächtiger Menschen, deren Leben so endlich war wie noch jedes auf dieser Welt.
Nur knapp zehn Kilometer östlich von Hage befindet sich in dem uralten Flecken Arle, das heute zur Gemeinde Großheide gehört, eine der ältesten Kirchen Ostfrieslands. Auch diese steht erhöht auf einer Warft, die über Jahrhunderte als Friedhof genutzt wurde. Hier stehen noch vereinzelt Grabsteine, der heute betriebene Friedhof findet sich allerdings schon lange einige hundert Meter weiter in flacher Ebene am Rande des Ortes.
Es gäbe einige Orte zu nennen, die noch die klassische Erdbestattung auf einem Kirchenhügel durchführen und damit eine uralte ostfriesische Tradition fortsetzen: zum Beispiel Dornum mit seinem herrlichen Friedhofs-Stilleben aus moosbegrünten Kreuzen am dicken Stamm einer Buche, im Titelbild dieses Artikels zu sehen. Auch Stedesdorf, Nesse, Osteel oder Suurhusen seien hier beispielhaft aufgeführt. Doch das Hügelgrab ist heute längst nicht mehr die vorherrschende Friedhofsform in Ostfriesland, die meisten Bestattungsplätze sind auf dem flachen Land. Zudem hat sich eine ähnliche Bandbreite an Bestattungsarten etabliert wie in ganz Deutschland: Urnenbegräbnisse nehmen gegenüber den klassischen Bestattungen im Sarg stark zu. Auch die Anzahl anonymer Gräber oder Wiesenbestattungen, bei denen keine Grabpflege mehr erforderlich ist, wächst stetig.
Vergangen sind auch die Zeiten, in denen sich eine Kutsche mit offenem Leichenwagen langsam über die Dörfer Ostfrieslands zur nächsten Kirche bewegte. Als alle bei der Feldarbeit kurz innehielten, die Männer ihre Mützen und die Frauen ihren Sonnenschutz abnahmen und dem Leichnam ihre Referenz erwiesen. Dem schwarzen Gefährt folgte ein langer Leichenzug aus Nachbarn, Freunden und Verwandten, die für die Beerdigung teilweise mehrere Kilometer zu Fuß zurücklegen mussten. In Esens, im Turmmuseum der St.-Magnus-Kirche, steht heute noch eines dieser seltenen Exemplare: Ein originaler Leichenwagen aus der Mitte des 20. Jahrhunderts, der noch bis in die 60er Jahre zum Einsatz kam, gehört zu den beeindruckensten Ausstellungsstücken. Er erinnert an längst vergangene Zeiten, die nur noch in Kinofilmen ab und an wieder auferstehen.
Das Turmmuseum der St.-Magnus-Kirche in Esens ist von April bis Ende Oktober dienstags und donnerstags von 15 bis 17 Uhr geöffnet, sonntags von 11 bis 12 Uhr. Außerhalb der Saison nach Vereinbarung, Führungen auf Anfrage: Tel: 04971 / 919 712. Der Eintritt ist frei, Spenden sind willkommen.
Besonders lohnenswert ist auch ein Aufstieg auf den Kirchturm zu den Schalluken des Glockengeläuts. Durch diese hat man einen fantastischen Rundumblick über das Harlingerland und die vorgelagerten Ostfriesischen Inseln Langeoog und Spiekeroog. Adresse: Am Kirchplatz 5 -7, 26427 Esens, http://www.kirche-esens.de.
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Schlusspunkt